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Alt 08.01.2018, 13:10   #1  
G.Nem.
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Alt 26.10.2019, 16:28   #2  
Servalan
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Standard Warum soll das Wissen in die Geschichte? (Teil 3)

Nachdem ich das Publikum habe lange schmoren lassen, folgt hier meine Interpretation von Stieg Larssons Millenium-Trilogie. Die Lagercrantz-Fortsetzungen lasse ich mal außen vor. Bei Larsson entwickeln sich Figuren, allerdings ziemlich subtil, so daß diese ihr Verhalten ändern; bei den Fortsetzungen handelt es sich bloß um ein Fall für Lisbeth Salander, die Meisterdetektivin. So primitiv hätte Larsson seine Serie nie fortgesetzt.

Natürlich habe ich nicht die Wahrheit mit Löffeln gefressen, aber meine Erklärung läßt einige Vorgänge im anderen Licht erscheinen. Außerdem paßt sie in das Schema feministischer Verweise, die gut das Bild von Larsson erklären. Wir sollten nicht vergessen, daß der erste Band im schwedischen Original "Männer, die Frauen hassen" heißt. Larsson nutzt dazu Wissen, das übersehen wurde, weil es von den 1970er Jahren bis vor wenigen Jahrzehnten üblich war, Männer per se aus feministischen Debatten auszuschließen. Es gab feministische Buchhandlungen, die männlichen Lesern kategorisch den Zutritt verweigerten. Dadurch ist dieses Wissen heute obskur und verfemt. Vieles gerät durch diese Barriere in einen blinden Fleck, der bei den meisten Interpreten unbemerkt bleibt; denn diese Leute sind sich des blinden Flecks nicht bewußt und so bleibt vieles rätselhaft. Es geht mir um einen Begriff, der einiges erhellt und eine neue Perspektive zuläßt.

Die Schlüsselszene dafür ist Mikael Blomkvists Gespräch mit Holger Palmgren über Lisbeth Salanders Vater, den kriminellen Zalachenko (die gibt es im zweiten Band der Romane sowie in beiden Filmfassungen). Palmgren sagt, daß Lisbeth Salanders Mutter ihren Namen aus Liebe zu Zalachenko von Sjölander in Salander geändert hat. Blomkvist raunt dabei gedankenverloren "Sala, Zala ...". Diese jeweils zwei Silben klingen überflüssig und kryptisch, dabei haben sie eine tiefere Bedeutung. Daß Sala ein konkretes Wort ist, ein exakter Begriff, wissen nur die wenigsten.
Um niemanden zu verprellen, verschwindet mein Beitrag nun hinter Spoilerkacheln.




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Alt 01.11.2019, 16:49   #3  
Servalan
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Standard Warum soll das Wissen in die Geschichte? (Teil 4)

In der populären Kultur gibt es auffällige Ähnlichkeiten und Strukturen, die über einzelne Bücher, Autoren und Genres hinausreichen. Das sind keine sonderbaren Zufälle, sondern eher unbewußte Strömungen, in denen sich gemeinsame Ideen und Gedanken widerspiegeln. Vieles davon ergibt sich aus dem Zeitgeist und wächst organisch wie von selbst. Die einzelnen Autorinnen und Autoren brauchen sich dessen nicht bewußt zu sein; eher sind es Redakteure, Chefredakteure und Herausgeber von Reihen oder Serien, die übergeordnete Konzepte entwickeln und entscheiden, ob ein Manuskript im Verlagsprogramm erscheint oder abgelehnt wird, die dafür verantwortlich sind.

Mir geht es um die Gnostik in der populären Kultur, vor allem im Genre von Fantasy und Science Fiction sowie in den Comics, dort insbesondere im Superheldengenre. Gnostik ist eigentlich ein religionswissenschaftlicher Begriff, der eine bestimmte Art des Christentums meint. Darum geht es hier nicht.
Es geht mir um gnostische Ideen, die ähnlich wie Joseph Campbells Heldenreise, in mal kleineren, mal größeren Versatzstücken in erfolgreichen Büchern, Filmen und Serien auftauchen - der religiöse Weihrauch hat sich dabei verflüchtigt.

Bestimmte Elemente kommen dabei häufiger vor als andere, einige Elemente fallen komplett unter den Tisch; ich zeichne nur eine grobe Skizze mit den Kernelementen, die zum Verständnis notwendig sind.

Die gnostische Interpretation der Welt, geht von einer klaren Unterscheidung in gut und böse. Die materielle Welt ist böse, weil sie nicht vom ursprünglichen Gott geschaffen wurde, sondern von einer schadhaften Gottkopie, dem Demiurgen. Der ursprüngliche Gott hat sieben Kinder, Aeonen genannt, von denen der höchste der (männliche) Logos ist und die niedrigste die (weibliche) Sophia. Sophia wollte beweisen, daß sie so gut ist wie der ursprüngliche Gott und schuf dabei den Demiurgen, doch das ging schief. Nur das Wissen hilft in dieser korrupten Welt.
Jesus Christus ist in dieser Version nicht der einzige leibliche Sohn Gottes und letzte Instanz für alle Gläubigen, sondern bloß ein Beispiel für die Menschheit, die dadurch zu einem rettenden Weg inspiriert wird. Danach muß jeder sich wie im leuchtenden Vorbild und Beispiel selbst durch Wissen befreien.

In der populären Kultur sind das normale Menschen, die durch ein Ereignis zu Superhelden werden. Diese Superhelden haben etwas Göttliches an sich und in sich. Durch ihre Taten wird die Welt besser, weil die Bösewichte vernichtet oder besiegt werden. Diese Superhelden werden zu Vorbildern, zu Rollenmodellen, mit denen sich das Publikum identifizieren kann.

Es gibt allerdings auch Leute, die solche Ideen ablehnen: Leute, die antignostisch sind. Ein Teil von denen stammt aus christlich-religiösen Kreisen, Pfingstler, Adventisten und andere Bibelkundige, die in gnostischen Ideen etwas Böses sehen und Gnostik vehement ablehnen. In diesen Kreisen existiert eine Art Literatur, die wie ein Gegenmodell funktionieren soll. Diese Fiktionen gedeihen im Schatten des Mainstreams. Teilweise sehen sie in gnostischer Populärkultur ein Zeichen für eine Endzeit, für die Apokalypse.

Literaturtipp:
Bernd Gräfrath: Es fällt nicht leicht, ein Gott zu sein. Ethik für Weltenschöpfer von Leibniz bis Lem (Ethik im technischen Zeitalter, hrsg. von Vittorio Hösle, Beck'sche Reihe 1265), München: C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) 1998

Geändert von Servalan (05.02.2020 um 19:08 Uhr)
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Alt 10.04.2022, 17:08   #4  
Servalan
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Standard Erfolg ist nicht alles

Stefan Zweig war nach Thomas Mann der populärste deutschsprachige Schriftsteller seiner Zeit und wurde quer über den Globus gelesen. Nach dem sogenannten Anschluß wurde der erklärte Pazifist 1934 denunziert, woraufhin sein Haus durchsucht wurde. Zweig reiste mit dem Zug nach London und nahm die britische Staatsbürgerschaft an. Über New York, Argentinien und Paraguay gelangte er 1940 nach Brasilien, das von dem antisemitischen Diktator Getúlio Vargas regiert wurde. Weil Zweig ein lobendes Buch über Brasilien verfaßte, erhielt er ein Dauervisum.

Vor kurzem lief der biographische Spielfilm Vor der Morgenröte (Deutschland / Frankreich / Österreich 2016), Regie: Maria Schrader, im Fernsehen und war in der Mediathek abrufbar. Der österreichische Kabarettist, Regisseur und Schauspieler Josef Hader - er verkörperte den Simon Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen von Wolfgang Murnberger - stellt Stefan Zweig im Exil sehr sachlich und zurückhaltend dar.
Wegen seines finanziellen Erfolges und seiner zahlreichen Kontakte zählte er einerseits zu den privilegierten Flüchtlingen. Andererseits wandten sich zahlreiche Bekannte in Not an ihn, darunter auch alte Rivalen. Um ihnen diese Hilfe zukommen zu lassen, mußte sich Zweig zu Gegenleistungen für seine Unterstützer verpflichten, meist waren das Lesungen, Vorträge oder Feste, auf denen mit seiner Anwesenheit gerechnet wurde. Der Film zeichnet diese Zerrissenheit im Exil in sechs Episoden zwischen 1936 und dem Doppelsebstmord des Ehepaars Zweig 1942 in vier Episoden sowie einem Prolog und einem Epilog nach.

Eine bittere Ironie der Geschichte ist, wie ich finde, die Tatsache, daß er heutzutage für sein letztes zu Lebzeiten erschienenes Werk berühmt ist: Aus Zweigs Sicht war die Schachnovelle zu lang für einen Zeitungsartikel und zu kurz für einen Roman, eine ungeliebte Veröffentlichung aus purer Not. Heute ist sie Schullektüre.

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Alt 26.06.2022, 20:12   #5  
Servalan
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2003 erschien von Meg Wolitzer ein Roman mit dem schlichten Titel The Wife; darin geht es um Joan Archer, die 1958 von ihrem Professor Joseph Castleman fasziniert ist und ihm ihren ersten Schreibversuch zeigt. Natürlich ist der junge Englischprofessor, der auch Kreatives Schreiben unterrichtet, nicht zufrieden zu stellen und schlägt weitere Überarbeitungen vor. Darüber hinaus unterbreitet er seiner Studentin das Angebot, sein Kind zu hüten. Joan verarbeitet ihr Erlebnis zu einer weiteren Kurzgeschichte. Joan und ihr Professor haben eine Affäre, die bekannt wird; Castleman wird deswegen entlassen.
Zwei Jahre später arbeitet Joan Archer als Verlagssekretärin und kann beobachten, wie die Männerrunde der Redakteure, Manuskripte von Frauen verächtlich aussortiert. Einen weiteren Dämpfer bekommt sie bei der Lesung einer ehemaligen Kommilitonin in der Universitätsbibliothek, die ihr zynisch klarmacht, daß Joans literarische Werke im Regal der weiblichen Alumnis landen werden, wo sie ungelesen Staub sammeln. Das könne Joan hören, wenn ein Buch zum ersten Mal geöffnet werde.
Joseph Castleman hat literarische Ambitionen und bittet Joan, sich "Die Walnuß" einmal anzusehen. Sie kritisiert offen die Schwächen seines Textes, was er als persönlichen Angriff auffaßt. Joan muß ihn erstmal besänftigen und versichert ihm, daß sie ihn schätzt. Dann bietet ihm an, sein Manuskript gründlich zu überarbeiten. Zu ihrer beiderseitigen Verwunderung nimmt ein Verlag das Manuskript an, und der Roman wird ein Bestseller.
1992 erhält der inzwischen wohlhabende Joseph Castleman einen Anruf aus Stockholm, er habe den Literaturnobelpreis gewonnen, weil er den Roman auf eine neue Stufe gehoben hat. Mittlerweile versucht sich auch David Castleman, der Sohn, literarisch und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Anerkennung seines Talents durch seinen Vater.
Auf der Reise ins winterliche Stockholm hat die Familie einen Stalker, den Möchtegernbiographen Nathaniel Bone, der eine fixe Idee hat. Er kennt das Frühwerk sowohl von Joseph Castleman als auch von Joan Archer, deren literarische Qualitäten er schätzt. Bone ist davon überzeugt, daß Joan in Wahrheit die Ghostwriterin von Joseph Castleman ist, und will seine These am liebsten öffentlich machen. Joan, die zweite Frau des Nobelpreisträgers, ist jedoch kategorisch dagegen ...

2017 wurde der Roman von dem schwedischen Regisseur Björn Runge mit Glenn Close in der Hauptrolle verfilmt: Die Frau des Nobelpreisträgers heißt er auf deutsch.
Mir gefällt er, weil er keine einfachen Lösungen bietet. Der feministische Grundtenor bietet zwar eine Baseline, die Musik selbst wird jedoch von einem ruhigen Rhythmus und leisen Tönen bestimmt. Vor dem historischen Hintergrund hätte Joan Archer bestenfalls ein Werk veröffentlicht, dann wäre sie in Vergessenheit geraten; Joseph Castleman allein wäre ohne fremde Hilfe wohl jemand geblieben, der für die Schublade geschrieben hätte. Mit all dem Vorwissen ist der Nobelpreisträger "Joseph Castleman" ein Amalgam von Joan und Joseph, etwas Drittes, das über die beiden menschlichen Komponenten des Erfolges hinausreicht.
Auf der Ebene wird "Joseph Castleman" zu einer Marke, einem Logo, bei dem Joseph Castleman nur die öffentliche Fassade ist. Sein lüsternes Verhalten gegenüber jüngeren Frauen ist dabei weniger ein Makel, sondern erfüllt eher ein Klischee.
Der entscheidende Schritt liegt hier zwischen dem eigenen zwanghaften Schreiben, um ein elementares Bedürfnis auszudrücken, und dem Erscheinen des physischen Buches im Handel, auf dem Markt, wo es ein Publikum findet. Insofern bestimmt die Konferenz der Verlagsredakteure als Mise en abyme ständig das Geschehen: obwohl sie abwesend sind und unsichtbar bleiben, bestimmen letztendlich sie, was Literatur ist und was nicht.

Geändert von Servalan (31.05.2023 um 18:09 Uhr)
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Alt 23.10.2023, 19:55   #6  
mile
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Das Autoren noch auf Verlage angewiesen sind halte ich mittlerweile für eine Legende. Klar hat es gewisse Vorteile im Verlag zu veröffentlichen, aber für den eigenen Geldbeutel ist es schöner, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Frau Silberhorn kenne ich zwar nicht, aber dass sie mit der Thematik weder bei Verlag noch Lesern auf offene Arme stoßen würde, muss ihr doch klar gewesen sein. Rein wirtschaftlich betrachtet macht ein Krimi mit diesem Thema von einer Midlist Autorin keinen Sinn. Viele Leser reagieren schon bei wenigen Absätzen über Corona, Masken etc. allergisch. Sogar Stephen King bekommt das zu spüren bei seinem neuen Roman ("Holly").
Deshalb jetzt gleich die Autorinnenkarriere aufzugeben? Na ja, scheinbar war das eh nur nebenberuflich, sonst wäre das nicht so leichtfertig geschrieben.
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Alt 28.10.2023, 14:09   #7  
Servalan
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Der Artikel von Sonja Silberhorn erschien nach den Nachdenkseiten in der Schweizer Weltwoche.
Zitat:
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Frau Silberhorn kenne ich zwar nicht, aber dass sie mit der Thematik weder bei Verlag noch Lesern auf offene Arme stoßen würde, muss ihr doch klar gewesen sein. Rein wirtschaftlich betrachtet macht ein Krimi mit diesem Thema von einer Midlist Autorin keinen Sinn. Viele Leser reagieren schon bei wenigen Absätzen über Corona, Masken etc. allergisch. Sogar Stephen King bekommt das zu spüren bei seinem neuen Roman ("Holly").
Heute hat sie nachgelegt. Auf dem Portal apolut wird sie von Eugen Zentner interviewt. Dort macht sie zum einen deutlich, dass sie für ihren Krimi einen Markt sieht:
Zitat:
Diejenigen jedoch, die Zweifel an der Pandemiepolitik hatten, beurteilen die Notwendigkeit einer gründlichen Reflexion aus meiner Sicht völlig anders. Gerne wird dies negiert oder die Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe kleingeredet, als könne man bereitwillig auf sie verzichten. (...)
Addiert man nun noch diejenigen hinzu, die sich nur aufgrund des erheblichen sozialen und in vielen Fällen auch beruflichen Drucks, also nicht aus Überzeugung und freiem Willen, zur Impfung durchgerungen haben, so sprechen wir sicher nicht mehr von einer irrelevant kleinen Minderheit (...)
Für meine Begriffe sehr viele und zum Teil auch sehr berührende Reaktionen, die von der Hoffnung, dass der Roman doch noch seinen Weg in den Handel findet, über Dank für meinen Schritt in die Öffentlichkeit bis hin zu den Schilderungen persönlicher Schicksale, teils traurig, teils aber auch ermutigend, reichen. Ich habe das Gefühl, vielen Leuten aus der Seele gesprochen zu haben, und bin immer noch ziemlich überwältigt von diesem Feedback. (...)
Eben die Nachfrage, die, da bin ich mir auch recht sicher, durchaus vorhanden ist.
Auf dem Sachbuchmarkt gibt es ja ein Segment von Bestsellern (teilweise auf der Liste des Spiegel), die sich kritisch mit der Corona-Zeit auseinandergesetzt haben. Häufig geschieht dies unter schlechteren Bedingungen als üblich, wenn die Titel trotz der offensiv ausgestellten Bestsellerliste im Buchhandel nicht offen ausliegen, sondern vom Publikum erst explizit nachgefragt werden mußten. Außerdem lief die Werbung auf Sparflamme, weil die Titel nicht in den obligatorischen Mitteln vertreten waren. Aber Zentner merkt auch an, dass etwas Vergleichbares im Segment Belletristik fehlt beziehungsweise jetzt noch nicht existiert.
Zitat:
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Deshalb jetzt gleich die Autorinnenkarriere aufzugeben? Na ja, scheinbar war das eh nur nebenberuflich, sonst wäre das nicht so leichtfertig geschrieben.
In ihrem Interview geht Silberhorn darauf ein, welchen Stellenwert das Schreiben und Veröffentlichen für sie hat:
Zitat:
Grundlegend ist das Schreiben, selbst wenn man sich im Laufe der Zeit natürlich professionalisiert, eine Herzensangelegenheit – wenigstens für mich ist es das immer geblieben. Nur wenn ich etwas zu sagen habe, kann ich auch überzeugend Geschichten erzählen. (...) So bleibt mir also nur, darüber zu schreiben. Wenn man dann mit dem Geschriebenen niemanden erreicht, sei es, weil die Veröffentlichungsmöglichkeit fehlt, oder aber weil die Fronten viel zu verhärtet sind, um damit auch nur ein klein wenig Reflexion anzustoßen, kommen einem natürlich große Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns.
Silberhorn bleibt ja nicht untätig und legt verzweifelt ihre Hände in Schoß, vielmehr sehe ich ihren Artikel und ihr Interview als eigene Initiative, um ihr Manuskript doch noch zu veröffentlichen. Sie hat eine gewisse Resonanz von ihrem möglichen Publikum erhalten, und das empfindet sie als positiv. Insofern scheint sich da doch noch eine alternative Möglichkeit der Veröffentlichung anzudeuten - entweder durch Crowdfunding oder durch eine ähnliche Initiative wie den Finix-Verein im Comicsektor.
Das letzte Wort ist in der Hinsicht nocht nicht gesprochen. Warten wir es ab.

Geändert von Servalan (28.10.2023 um 14:35 Uhr)
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Alt 28.10.2023, 14:23   #8  
underduck
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Glückwunsch zu deinen jetzt über 10.000 interessanten und gehaltvollen Beiträgen, liebe Servalan.
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Alt 28.10.2023, 14:49   #9  
Servalan
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Gern geschehen. War mir ein Vergnügen.
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Alt 26.03.2024, 12:31   #10  
Servalan
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In den letzten 50 Jahren hat sich der Buchmarkt gewaltig verändert, so dass heute andere Prinzipien gelten und Mechanismen greifen als damals. Wer gut zwei Stunden erübrigen kann, dem empfehle ich zwei Videos, in denen diese Umbrüche plastisch geschildert werden.

Oben hatte ich ja schon einmal das (alte) Literarische Quartett erwähnt, die ZDF-Sondersendung zum Buchmarkt, soweit ich mich erinnere, immer freitags auf dem Sendeplatz der Kultursendung aspekte. Üblicherweise wurden dort drei bis sechs belletristische Bücher, meist Romane, von professionellen Literaturkritikern unter der Schirmherrschaft des bärbeißigen Marcel Reich-Ranicki rezensiert; allerdings gestattete sich diese Reihe einige Freiheiten.
Davon zeugt die vierte Ausgabe vom 16. Dezember 1988 (76:32 min) aus Hamburg, in der Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek und Jürgen Busche über das Verlagswesen und den Literaturbetrieb im allgemeinen diskutieren. Sie sehen den Handel mit Büchern, den Umgang mit der kulturellen Ware, natürlich aus der Sicht der Literaturkritik und kommen zum Beispiel auf das Thema Übersetzungen.
Mein Hauptaugenmerk liegt auf dem damals noch rein analogen Buchhandel, und in der Hinsicht betonen die Kritiker zum einen den Einfluß von den kleinen Buchhändlern vor Ort, die ihren Kunden bestimmte Titel empfehlen und so das Kaufverhalten beeinflussen können. Zum anderen gibt es eine Stufe höher die Verlagsvertreter bei den Buchhändlern, die mit ihren Freiexemplaren gewisse Titel des Verlags ins Rampenlicht rücken und so eine wohlgesonnene Atmosphäre aufbauen können.

Das ernüchternde Pendant über den Zustand des Buchhandels von heute liefern die beiden Wirtschaftsblogger Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt in Episode 240 (März 2024, 50:51 min) ihrer Reihe Wohlstand für Alle: Adorno, TikTok und der Buchmarkt. Wer ein Buch auf den Markt bringen möchte, sollte sich das anhören, um einen realistischen Eindruck von seinen Chancen und Möglichkeiten zu bekommen, ein größeres Publikum zu erreichen.
Denn auf der einen Seite setzt der Sektor Buchmarkt heute in Deutschland 130 Milliarden Euro um, aber einen nicht geringen Anteil an dieser Tendenz tragen gestiegene Preise für Papier und Druck. Zudem sind im letzten Jahrzehnt 10 Millionen Leser verloren gegangen.
Verstärkt wird dieser Effekt noch durch das Matthäus-Prinzip: Wer anderswo prominent ist, hat es leichter, auf dem Markt zu reüssieren und der kann auch mit besserer Werbung rechnen. Hinzu kommt, dass große Verlage den Markt beherrschen, und selbst diese sind meist nur Filialen von internationalen Medienkonzernen, wie zum Beispiel der Carlsen Verlag, der zum schwedischen Bonnier-Konzern gehört.
Agenturen haben heute einen großen Einfluß, und die immer weitere Aufsplitterung in Subgenres werden Romane kleinteilig standardisiert, damit das Publikum das bekommt, was es erwartet. Entsprechend ernüchternd ist das Berufsbild Schriftstellerei, denn 80 % der Autoren benötigen einen Brotberuf, um nicht am Hungertuch zu nagen. Die meisten Autoren verdienen nur 1.000 Euro - im Jahr!
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Alt 26.03.2024, 13:47   #11  
mile
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Auf der LBM wurden gefühlt 50% des erwähnten Jahresumsatzes gemacht. Es ist schon teilweise unglaublich zu sehen, was manche für Unsummen für bedrucktes Papier ausgeben. Wenn das Buch dann noch einen Farbschnitt hat und schon auf TikTok zu sehen war, setzt das Stammhirn aus und die Scheine fliegen nur so über den Tresen. Ach ja, der Inhalt der Bücher ist (fast) egal. Hauptsache spicy und so …
Das Schriftstellerei selten zum Leben reicht, ist ja nix neues. Aber ich habe das Glück, zu den anderen 20% zu gehören.
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Alt 26.03.2024, 14:45   #12  
Peter L. Opmann
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Der Widerspruch von Kunst und der Verwertbarkeit einer Ware ist wohl in den seltensten Fällen aufzulösen. Wenn ich mit meiner Kunst Einnahmen erzielen will, brauche ich zwingend ein Publikum, das gewillt ist, sie zu kaufen. Es ist nun mal ein seltener Glücksfall, wenn die Leute das kaufen, was für mich individueller künstlerischer Ausdruck ist.

Also muß ich mich damit abfinden, daß meine künstlerische Arbeit wenig - oder kein - Geld einbringt, und mich anderweitig finanziell über Wasser halten. Oder ich werde nur dann Künstler, wenn mir das meine finanzielle Situation ohnehin gestattet (auch dafür gibt es viele Beispiele). Ein problematischer Weg ist, als Künstler von Subventionen zu leben. Die bessere Alternative war vielleicht der Mäzen katholische Kirche bis Ende des 18. Jahrhunderts; da war der Künstler (ich rede jetzt hauptsächlich von bildender Kunst und Musik) zwar inhaltlich eingeschränkt, aber zumindest im Formalen ziemlich frei.

Ich lebe zwar selbst vom Schreiben, aber nur in Form von Gebrauchstexten, mit denen ich mich nicht künstlerisch ausdrücke.

Nachsatz: Natürlich kann künstlerischer Ausdruck im Internet niemals ein Ersatz für ein gedrucktes Werk sein.
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Alt 04.04.2024, 13:53   #13  
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Die aktuelle Ausgabe (3. April 2024) von kulturzeit auf 3sat macht mit dem Thema "Autoren und KI - die Angst ums Urheberrecht" auf. Nach dem Beitrag folgt ein Interview mit der Autorin Nina George, einer erfolgreichen Schriftstellerin, die im Berufsverband European Writers Council und bei VG Wort als Funktionärin einen gewissen Einfluß hat.
Denn bislang hat der Einsatz von KI-Programmen in der Kreativwirtschaft in den USA zu einer Klagewelle geführt, und in der EU in einem halben Jahr mit dem AI Act eine ähnliche Regelung, die weiteres Chaos verursachen wird. Am 26. Januar 2024 veröffentlichten die 44 Verbände der Initiative Urheberrecht ihren Offenen Brief der Kreativwirtschaft an die Bundesregierung, um auf die Probleme aufmerksam zu machen.

Jeder menschliche Autor kennt zumindest das Urheberrecht und den Begriff des geistigen Eigentums, bei dem eine gewisse Schöpfungshöhe vorausgesetzt wird, um ein eigenes Werk als solches bezeichnen zu dürfen. Natürlich beziehen sich Texte immer auf andere Texte, aber die Details regeln ja die Vereinbarungen zu den gemeinfreien Werken, zum Zitatrecht oder bei satirischen Verfremdungen im Bereich Hommage und Parodie. Andernfalls sind die literarischen Werke bloß Plagiate oder epigonale Kopien.
Nina George und der Offene Brief weisen nun darauf hin, dass hinsichtlich der KI eine Doppelmoral praktiziert werde. Denn KI-Programme wie Midjourney oder Meta werden mit Datensätzen gefüttert, die teilweise aus dubiosen Quellen stammen, also digitalen Raubdrucken von Piratenseiten, so dass hier ein mehrfacher Verstoß gegen geltendes Urheberrecht vorliegt. Jetzt wird also eine Diskussion angestoßen, damit in wenigen Monaten in der EU keine Klagewelle losbricht.

Die KI liefert zur Zeit so beeindruckende Ergebnisse, weil sie einen Freibrief zum Wildern hat. Aber gilt nicht die Regel, dass Gesetze für alle Beteiligten verpflichtend sind ...
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Alt 09.06.2024, 15:26   #14  
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Standard Bekannte Stoffe frisch durchgelüftet

Es gibt mehrere Arten, sich mit bekannten Stoffen zu beschäftigen.
Wenn es um bewußte Hommagen geht, zum Beispiel um das Vorbild zu einem Jubiläum zu ehren, werden jüngere Autoren meist eingeladen und um kürzere Texte gebeten. Dann sind da natürlich bei berühmten Stoffen die unvermeidlichen Parodien, die sich die Vorbilder in der Regel gefallen lassen müssen, auch wenn die Parodien nicht immer schmeichelhaft sind.

Darüber hinaus existiert ein weiterer Ansatz, nämlich die Intertextualität, wenn bekannte Stoffe - häufig sobald mit dem Copyright das Urheberrecht abgelaufen ist - in neue Formen gegossen werden. Zu den bekannteren Beispielen hierfür aus dem deutschen Sprachraum zählt die Neubearbeitung von Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter durch Robert Habeck und Andrea Paluch in ihrem Roman Hauke Haiens Tod. Habeck und Paluch haben den Stoff modernisiert, indem sie ihn in die Gegenwart verlegt haben - alle weiteren Änderungen ergaben sich dann als Konsequenzen ihrer Prämisse.
Die kreative Freiheit bietet insofern einen breiten Spielraum, wenn für die Stoffe neue Textformen gefunden werden. Jede neue Fassung ist zugleich eine Interpretation, eine frische Version, und bei der hängt es wie bei jeder ernsthaften literarischen Arbeit von der Qualität der Sprache ab, ob sie Zuspruch beim Publikum und der Kritik findet, beziehungsweise ob sie eine eigene Duftmarke setzen kann, die sie aus der Masse der epigonalen Werke erhebt.
Ein gutes Beispiel für diesen kritisch-reflexiven Ansatz liefert Percival Everetts gegen den Strich gebürstete Version von Mark Twains Klassiker Huckleberry Finn in seinem Roman James. A Novel (Doubleday Publishers 2024) | James (Hanser 2024). Obwohl Everett sich in weiten Teilen der Handlung an seinem Vorbild orientiert, verändert er die Perspektive, indem er aus der Nebenfigur des Sklaven Jim seinen Protagonisten James macht, und auf diese Weise in einem leicht lesbaren Abenteuerbuch für Erwachsene eine Kritik an der Sklaverei äußert, die sich an konkreten Vorfällen belegen läßt und deshalb umso eindrucksvoller wirkt.

Das Spiel mit bekannten und berühmten Stoffen kann also weitaus mehr sein als eine Fingerübung in einem Workshop Kreatives Schreiben. Wie das Potential genutzt wird, hängt einzig und allein von der literarischen Versiertheit des Autors ab, denn zum Schluß muß das Werk für sich allein stehen können.
Wie heißt es so schön: Frechheit siegt!
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Alt 11.06.2024, 16:55   #15  
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Standard Das juristische Drumherum für Kreative und Autoren

Natürlich gibt es auch bei kreativen Tätigkeiten wie dem Verfassen von literarischen Werke juristische Fallstricke, die man lieber kennen sollte, bevor man aktiv wird. Da die wenigsten juristische Vollprofis sind, die sich im Fachchinesisch auskennen, stoßen gute Ratgeber in diese Lücke.
Hier folgt eine Empfehlung.
  • Gernot Schulze: Meine Rechte als Urheber. Urheber- und Verlagsrechte schützen und durchsetzen (Beck im dtv 2020, 7. Auflage), 416 Seiten, 26,90 €
    Leicht verständlich, anschaulich, übersichtlich und aktuell: Dr. Gernot Schlulze ist ein Anwalt der Münchner Kanzlei Schulze Küster Müller Mueller Jangl, sein Partner Christopher Mueller, LL.M., widmet sich dem Urheberrecht im Internet. Insgesamt sind das 22 Kapitel, die sich mit einem 16-seitigen, detaillierten Stichwortverzeichnis hilfreich nachschlagen lassen.
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