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28.06.2017, 23:14 | #1 |
Mitglied
Ort: Hessen
Beiträge: 5.628
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Das ist mein voller Ernst.
Aber mir ist schon bewußt, daß es inzwischen nicht mehr nur sowas wie RTL II im Fernsehen gibt, und ich weiß auch, daß man sich viele Sachen gut am PC angucken kann. Ich habe nur von früher her immer noch eine gewisse Abneigung gegens TV (Nina Hagen: "Alles so schön bunt hier!"). Wenn's sechs Stunden sein sollen, dann lieber ein sechsstündiger Kinofilm. Aber bitte in einem Saal ohne chipsessende Jugendliche... |
29.06.2017, 19:25 | #2 | |
Moderatorin Internationale Comics
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Zitat:
Vielleicht lag es an Gerhard Försters Bericht in der Sprechblase, aber seit meiner zweiten Begegnung mit Allein gegen die Mafia bin ich vorsichtiger geworden. Deshalb schaue ich alte Serien von gestern mit Vorbehalt. Bei den John le Carré-Verfilmungen mit Alec Guinness als George Smiley habe ich erwartet, daß die mächtig Staub angesetzt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Smiley's People | Agent in eigener Sache, das Finale mit dem Showdown an der Oberbaumbrücke funktioniert heute noch. Möglicherweise sogar besser. Die gut sechs Stunden bilden eine unterhaltsame und anregende Mischung aus Action, Suspense und schönen Bildern in prachtvollen Kulissen. Im Bonus-Interview erzählt Le Carré, Smiley habe er als Anti-James-Bond aufgebaut. Für die erste Smiley-Serie hat das gestimmt. Aber allein die illustren Schauplätze (aus britischer Sicht): Paris, Hamburg, Thun am See - das hat Kinoqualität. Tinker Tailor Soldier Spy | Dame, König, As, Spion empfehle ich eher zum Binge-Watching. Der Plot ist ziemlich vertrackt - wie ein Rätsel in der Times oder wie Matrjoschka-Puppen, in der immer noch eine steckt. Der Rhythmus ist langsam, und die Geschichte baut sich erst langsam auf. Die ersten beiden Episoden wird ein Nebenstrang nach dem nächsten in den Ring geworfen, so daß manche wohl den Überblick verlieren. Die Miniserie ähnelt in vielem einer Staffel von The Wire, mehr Arthouse als Action. Vom Optischen ist das auch ein Stück Zeitgeschichte. Mich hat es von den Socken gerissen. Das fühlt sich an wie verfilmte Hochliteratur, keine Unterhaltung für zwischendurch. Geändert von Servalan (21.08.2020 um 17:06 Uhr) |
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09.07.2017, 13:48 | #3 | |
Moderatorin Internationale Comics
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Welche Rolle spielt eigentlich das eigene Alter, wenn wir Verfilmungen sehen?
Menschen können ja nur das sehen, was sie wissen. Wenn das nicht der Fall ist, werden solche Dinge entweder ausgeblendet oder übersehen. Im schlimmsten Fall reimt sich das Hirn selbst was zusammen, was zu den eigenen Erfahrungen und dem Wissen über den Lauf der Welt paßt. Je mehr jemand weiß, umso mehr läßt sich erkennen. Zitat:
Mit Agent in eigener Sache konnte ich schon mehr anfangen. Einerseits war ich älter, andererseits war der Plot kompakter. Allerdings merke ich erst heute als Erwachsene, wie dicht der Stiff gewebt ist. Jetzt schaue ich das Original natürlich auch, um Alec Guinness, Barry Foster, Michael Gough, Curd Jürgens und Mario Adorf im Original zu hören. Zum Beispiel fiel mir auf, daß sich Smiley in der Schweiz unter dem Decknamen Mr. Standfast ein Quartier gemietet hat. Dabei mußte ich schmunzeln, denn Standfast ist hier deutlich mehr als ein simples Wortspiel: Klar, Smiley wird seine Position verteidigen und keinen Millimeter zurückweichen. Hinzu kommt die Anspielung auf einen anderen Klassiker der britischen Spionageliteratur, nämlich den dritten Roman in John Buchans Serie um Richard Hannay: Mr Standfast (Hodder & Struoghton 1919). Die bekannteste Hannay-Verfilmung dürfte wohl Afred Hitchcocks Version des ersten Romans (1915) sein: The Thirty Nine Steps | Die neununddreißig Stufen (1939) ... Kindern entgehen solche feinen Anspielungen. Geändert von Servalan (21.08.2020 um 17:08 Uhr) |
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28.08.2017, 13:37 | #4 |
Moderatorin Internationale Comics
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Literaturverfilmung ist ja nicht gleich Literaturverfilmung.
Hinzu kommt, daß der Status je nach Kulturkreis variiert. Die zeitnahe Umsetzung eines umstrittenen Bestsellers (Feuchtgebiete, Schoßgebete) ist schon etwas anderes als die Verfilmung eines Klassikers aus dem Kanon, der sowieso auf dem Lehrplan der meisten Schulen steht. Sichtbar wird das Beispiel an Dickens-Verfilmungen: Roman Polanskis Oliver Twist konnte weltweit vermarktet werden, weil die Story international zu den Standards gehört. Der Stoff konzentriert sich (wie ein Pitch) gewissermaßen in einer ikonischen Szene, die schon im Trailer ausgespielt wird: Oliver Twist bittet im Armenhaus um Nachschlag und erntet von den Honoratioren an der übervollen Tafel bloß höhnisches Gelächter. Dickens Spätwerk Our Mutual Friend | Unser gemeinsamer Freund (1864-1865), wurde von der BBC seit den Kindertagen des Fernsehens für jede Generation neu verfilmt: 1958, 1976 und zuletzt 1998. Außerhalb des angelsächsischen Sprachraums fällt diese Verfilmung durch das Raster und dürfte eine deutlich geringere Verbreitung erfahren haben. Der Stoff ist zu sperrig und zu unbekannt, da er nicht reflexhaft mit Dickens verbunden wird. |
01.09.2017, 23:35 | #5 |
Moderatorin Internationale Comics
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Kennt jemand von euch die Ivanhoe-Miniserie von 1997?
Die britisch-us-amerikanische Koproduktion setzt den Stoff als historische Erzählung aus dem Jahre 1192 um. Dabei verzichtet die Produktion auf Hochglanz und zeigt ein ärmliches England, in dem nicht nur Robin von Locksley und seine Bande in Lumpen herumlaufen. Einerseits fand ich den Realismus schon beeindruckend (ohne den Erfolg wäre Game of Thrones möglicherweise zahmer umgesetzt worden), aber bei dem riesigen Ensemble fiel es mir in der Episode schwer, die einzelnen Charktere voneinander zu unterscheiden. Die gesamte zweite (der sechs) Episode(n) dreht sich um das Turnier mit Tjosten und Pfeilschießen - für mich der eigentliche Höhepunkt. Insofern bleibt die Hollywood-Version von 1952 mit Robert Taylor und Elizabeth Taylor einer der Filmklassiker, weil sie ihre künstlerische Freiheit für prächtige Bilder nutzt. Danach habe ich auch J.R.R. Tolkiens und Peter Jacksons Herr der Ringe mit anderen Augen gesehen. Sir Walter Scott muß Tolkien geprägt und Spuren in seinem Unterbewußtsein hinterlassen haben. |
02.12.2017, 00:42 | #6 |
Moderatorin Internationale Comics
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Dennis Schecks Interview mit Sven Regener in der Novemberausgabe von Druckfrisch liefert interessante Anhaltspunkte. Scheck fragt Regener nämlich, ob sich der Autor eine Verfilmung seines neuesten Romans um Herrn Lehmann vorstellen könne, und erhält eine Antwort, die tief blicken läßt.
Wegen der zahlreichen reflexiven Passagen hat Regener starke Bedenken und meint, das ließe sich nur durch etliche Kommentare aus dem Off umsetzen. Aus meiner Sicht spricht da die Betriebsblindheit des Spracharbeiters. Film hat zahlreiche Register, und wenn die gut genutzt werden, kann der Film als Medium sogar das Unmögliche vollbringen. Casting, Ausstattung, Lichtregie, Tondesign, ein subtiler Einsatz von Musik - was damit auf die Beine gestellt werden kann, liegt für Regener im toten Winkel. Er hat schlicht und einfach keine Vorstellung davon. Muß er auch nicht. Das Drehbuch sollte jedoch jemand schreiben, der filmische Qualitäten einsetzt, um etwas Neues über Herrn Lehmann zu erzählen, das die Romanvorlage nicht kann. |
25.01.2018, 18:24 | #7 |
Moderatorin Internationale Comics
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Als Fan der Geschichten von Stanisław Lem konnte ich der Verfilmung seines genialen Romans Der futurologische Kongreß natürlich nicht widerstehen. Den Roman habe ich jedenfalls gelesen. Als damals ein Schuber mit allem, was sich um Ijon Tichy dreht, erschien, habe ich mir das Teil gegönnt.
Lem sprüht nur so vor Ideen, gleitet gern ins Philosophische ab und verliert sich gern mal in verstiegenen Theorien - allerdings nutzt er dafür teilweise ein überschaubares Register von Erzählweisen, das sich nach einer Weile förmlich aufdrängt. Deshalb lese ich ihn am liebsten in geringen Dosen, hier mal einige Kurzgeschichten, dort mal ein Roman. Wegen seiner theoretischen Fülle gehört eine Portion Mut dazu, daraus ein Drehbuch zu machen. Als klassische Verfilmung ist mein Favorit bislang Testflug zum Saturn | Der Testflug des Piloten Pirx | Test pilota Pirxa (Polen / Sowjetunion 1978, Regie: Marek Piestrak). Von der Dramaturgie gibt es deutliche Parallelen zum Androiden-Subplot in Ridley Scotts Alien (1979). Lem hätte Ari Folmans Neuinterpretation The Congress (Israel 2013) wahrscheinlich nicht gefallen, tippe ich. Wenn Lem schon Tarkowskis Solaris (1972) seine Gnade versagt hat, hätte er sich für The Congress wohl geschämt. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, Tarkowskis Solaris halte ich für ein filmisches Meisterwerk - auch weil es etwas Eigenes ist. Am besten wirkt der Klassikier auf einer riesigen Kinoleinwand. The Congress empfinde ich eher zwiespältig. Die Einleitung finde ich ein wenig zu lang, aber dann wird die Vorlage deutlich. Aus meiner Sicht ist der Film nicht zu Ende gedacht und wirkt dadurch zu plakativ. Als ob Folman das Publikum überwältigen will, damit es ja nicht auf eigene Gedanken kommt. Im Gegensatz den eher leeren Sets im Real-Life-Teil haben die Animationssequenzen Wimmelbildcharakter: prima Futter für Fans, die im Freeze-Frame-Modus jedes Einzelbild analysieren wollen. Der VFX-Orgie steht jedoch ein dürrer Plot gegenüber. Und Folman macht meines Erachtens den gleichen Fehler wie Tarkowski: Was bei Lem eine Leerstelle bleibt, wird pseudoreligiös zugekleistert. Bei Tarkowski habe ich vollstes Verständnis, nicht zuletzt wegen der historischen Situation in der atheistischen Sowjetunion. Aber bei Folman wirkt die Masche platt, pathetisch und oft nur peinlich. Wenn dann in einer Schlüsselszene ein Horus am Nebentisch sitzt, ist das Gnostik mit dem Holzhammer. Da gefielen mir die Szenen besser, die aus Mamoru Oshiis Avalon – Spiel um dein Leben | アヴァロン (Polen / Japan 2001) hätten stammen können. Found Footage und echte Filmzitate wären aus meiner Sicht eine Alternative gewesen. Geändert von Servalan (25.01.2018 um 19:07 Uhr) |
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