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Alt 16.05.2024, 11:40   #2076  
Servalan
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Kennst du die Bücher von Frans Masereel? Die sind zur selben Zeit entstanden wie der Film von Ruttmann und zwischen beiden finden sich erstaunliche Parallelen, zum Beispiel der Beginn mit dem einfahrenden Zug. Eigentlich gibt es mehr als genug gleiche Motive und Rhythmisierungen der Bilderfolgen, aber wie es aussieht, sind „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ und Masereels „Die Stadt. Hundert Holzschnitte“ oder „Mein Stundenbuch“ unabhängig voneinander entstanden. Da muß etwas in der Luft gelegen haben, das ähnliche kreative Vorgänge so dicht beieinander ausgelöst hat. Trotz frappierender Motivketten sind das Entwicklungen gewesen, die nichts miteinander gemein hatten - das nennt sich wohl Zeitgeist.
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Alt 16.05.2024, 12:04   #2077  
Peter L. Opmann
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Danke für den Hinweis.

Hab' mich mit Masereel schon mal beschäftigt, aber ich wußte gar nicht, daß er mit Holzschnitten gewissermaßen sequentielle Kunst machte. Die Parallele zu Ruttmann habe ich auch nicht gesehen. Gut, ich kenne vermutlich nur einen kleinen Ausschnitt aus seinem Werk.

"Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" wird in meinen Filmbüchern teilweise der Neuen Sachlichkeit zugerechnet, was durch die Distanziertheit gegenüber Menschen plausibel wäre. Bei Masereel finde ich dagegen nichts, was auf Neue Sachlichkeit hinweist. Was aber nicht heißt, daß es da nicht eine Inspiration gegeben haben könnte.
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Alt 16.05.2024, 14:28   #2078  
Servalan
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Antiquarisch habe ich mir die Masereel-Gesamtausgabe von Zweitausendeins zugelegt; das sind drei Schuber und ein Interviewband von Pierre Vorms. Wann immer mir einer begegnet ist, habe ich zugeschlagen; und ich fand die für den Umfang ziemlich günstig. Einzeln sind die Werke sicherlich teurer.
Für meinen Geschmack liegen Masereels Bilderfolgen irgendwo zwischen Stummfilm und Comic. Das meiste sind sequentielle Erzählungen im Sinne Will Eisners, allerdings gibt es darunter auch einige klassische Bilderzyklen.
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Alt 16.05.2024, 14:57   #2079  
Peter L. Opmann
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Klingt so, als müßte man diese Gesamtausgabe schon haben zur Vervollständigung der Comicsammlung.
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Alt 18.05.2024, 08:37   #2080  
Peter L. Opmann
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Weil ich jetzt zu Pfingsten viel unterwegs bin, muß ich mich auf eine Not-Besprechung beschränken. Dieser Kurzfilm fiel mir ein, als ich „Berlin Alexanderplatz“ sah: „Unter Null“ (1930) von James Parrott, ein Laurel-und Hardy-Film. Er hatte im Fernsehen sehr unterschiedliche Titel, etwa „Unterschlagene Noten“, „Dick und Doof als Musikanten“ oder „…in tausend Nöten“. Es ist etwas schwierig, diese Groteske zutreffend zu benennen, weil es eine ziemlich logikfreie Aneinanderreihung von – allerdings ungewöhnlichen und wirklich witzigen – Gags ist. Mir hat „Unter Null“ eigentlich nicht so gut wie einige andere Laurel-und-Hardy-Filme gefallen, aber wenn man akzeptiert, daß der Film im Ganzen keinen Sinn ergibt, ist er doch ziemlich anrührend – und dazu originell.

Wir sind also wieder in der Zeit der Wirtschaftskrise. Laurel und Hardy schlagen sich mitten im Winter als Straßenmusiker (in der Kombination Kontrabaß und Harmonium) durch. Die Instrumente zeigen schon: Diese Männer tun einfach irgendwas, um an Geld zu kommen. Zunächst spielen sie vor einem Taubstummenheim, was erklärt, daß ihnen niemand etwas für ihre Darbietungen gibt. Eine Frau wirft ihnen 50 Cent zu, damit sie woanders hingehen. Ein Schneeschipper (Charlie Hall) will sie mit Schneebällen vertreiben. Ein Blinder findet direkt vor ihnen ein Geldstück im Schnee, das ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. In die Auseinandersetzung mit Hall mischt sich eine Frau (Blanche Payson) ein, die Hardy tüchtig einreibt und schließlich ihre Instrumente zerstört. Dann machen sie aber einen Fund: eine verlorene Geldbörse mit einem dicken Bündel Scheine. Ein brutal wirkender Gauner (Leo Willis) verfolgt sie, um sie ihnen abzunehmen, aber ein Polizist (Frank Holliday) springt ihnen bei und warnt sie, in der Gegend wimmele es von Gangstern und Halsabschneidern.

Zum Dank laden sie ihn zum Essen ein. Sie gehen in ein heruntergekommenes Lokal, wo Hardy seine ausgesuchten Tischmanieren und sein perfektes Französisch demonstriert. Immerhin bekommen sie drei offenbar vorzügliche Riesensteaks mit reichlich Beilagen. Hardy nimmt dazu noch eine Brühe und ein Dessert. Als es ans Bezahlen geht, stellt sich heraus, daß die Geldbörse dem Polizisten gehört. Ohne sich eine Erklärung anzuhören, nimmt er sie an sich, bezahlt sein Steak und überläßt Laurel und Hardy, die nun natürlich kein Geld mehr haben, dem sadistischen Oberkellner („Tiny“ Sandford). Wir haben vorher schon mitbekommen, daß es einigen Gästen, die ihre Rechnung nicht bezahlen konnten, schlecht erging. Hier muß noch der Gag mit Stan Laurels Geldbörse erwähnt werden: Sie hat gleichsam unzählig viele Fächer, aber in keinem von ihnen ist auch nur ein müder Cent. Sandford wirft sie raus. Hardy scheint er vorher ordentlich vermöbelt zu haben. Laurel wirft er in ein Faß mit Eiswasser. Der Schlußgag ist extrem absurd: Laurel trinkt sämtliches Wasser im Faß aus und bekommt einen immensen Ballonbauch. Während das Duo noch überlegt, was zu tun ist, beginnt Laurel von einem Bein auf das andere zu hüpfen und zu klagen: „Ich muß mal…“

Mit Fragen wie: Wie kommt ein Streifenpolizist zu so einer dicken Geldbörse? oder: Warum läßt sich ein Polizeibeamter von einer Zufallsbekanntschaft auf der Straße zum Essen einladen? oder: Warum wartet eine Spelunke, in der die Gewalt regiert, mit so exquisitem Essen auf? darf man sich bei diesem Film nicht aufhalten. Die Gags sind aber alle vom üblichen Team mit Leo McCarey und H. M. Walker vorzüglich ausgedacht, und sie sind nicht wiederverwertet, sondern zum Großteil neu und überraschend. Der Film wirkt trotzdem insgesamt ein wenig bitter. Ich denke, weil er die Situation der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit um 1930 widerspiegelt. Viele mußten sich mit Tätigkeiten im Bereich des Bettelns über Wasser halten – oder mit krummen Touren, ein Restaurantbesuch war für sie normalerweise außerhalb jeglicher Reichweite. Mit Leuten, die ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen konnten, wurde ziemlich unsanft umgesprungen. Und man fragte dann nicht viel nach Schuld oder Unschuld. Es gibt Laurel-und-Hardy-Filme, über die ich unbeschwerter lachen kann, aber sehenswert ist „Unter Null“ allemal.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.05.2024, 19:56   #2081  
Rusty
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Mit Fragen wie: Wie kommt ein Streifenpolizist zu so einer dicken Geldbörse?
Durch das einsammeln von Bestechungsgeldern. Damals gab es reichlich korrupte Polizisten in den großen Cities der USA.

Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
oder: Warum läßt sich ein Polizeibeamter von einer Zufallsbekanntschaft auf der Straße zum Essen einladen?
Weil es im Film Winter und kalt ist und ein Streifenpolizist einfach mal Aufwärm- bzw. Mittagspause macht.

Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
oder: Warum wartet eine Spelunke, in der die Gewalt regiert, mit so exquisitem Essen auf?
Weil einem Polizisten in einer Halsabschneider-Spelunke kein schlechtes Essen serviert wird, sondern das Beste was man grade auf Lager hat. Bevor einem der Bulle den Laden dicht machen lässt.

Viele der Laurel+Hardy-Gags von damals versteht man heute nicht mehr, weil der Kontext dazu fehlt. Denk ich mir mal so.
Rusty ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.05.2024, 21:22   #2082  
Peter L. Opmann
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Danke für die Aufklärung.

In dem Film steckt also noch mehr Wirtschaftskrise, als ich dachte.

Es gibt ja eine spanische Version dieses Films, und da ist tatsächlich eine Szene hinzugefügt worden, in der Holliday von seinem Polizeichef das Geld zugesteckt bekommt.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2024, 15:19   #2083  
Rusty
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Es gibt ja eine spanische Version dieses Films, und da ist tatsächlich eine Szene hinzugefügt worden, in der Holliday von seinem Polizeichef das Geld zugesteckt bekommt.
Danke auch für den Hinweis. Diese spanische Version kenne ich gar nicht.
Generell – in den Laurel+Hardy-Filmen steckt reichlich mehr drin als man denkt.
Sachen die man erst auf den zweiten und dritten Blick sieht.
Rusty ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2024, 22:10   #2084  
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Das habe ich nur bei wikipedia gelesen:

Zitat:
Gedreht wurde zugleich ein spanischer Versionenfilm von Below Zero mit dem Titel Tiembla y Titubea. Dieser ist sogar mit 27 Minuten noch etwas länger und enthält unter anderem zusätzlich eine Szene, in der sich der Polizist mit seinem Vorgesetzten unterhält und von diesem Geld in seine Geldbörse zugesteckt bekommt.
Seltsam ist, daß es keinen Eintrag in der spanischen wikipedia gibt. Denn der Polizist wurde sicher nicht von Frank Holliday, sondern von einem spanischen Schauspieler gespielt. Aber keine Ahnung, wie der hieß. Vielleicht existiert dieser spanische Film nicht mehr.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2024, 15:42   #2085  
Rusty
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Vielleicht existiert dieser spanische Film nicht mehr.
In der Tube findet sich vieles.
STAN LAUREL & OLIVER HARDY
EN TIEMBLA y TITUBEA(SPANISH)1930
guckst du unter >
https://www.youtube.com/watch?v=yB73LBWGWpo
Rusty ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2024, 18:21   #2086  
Peter L. Opmann
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Ganz interessant. Es sind wohl nur Frank Holliday, der Polizist, und Tiny Sandford, der Oberkellner, durch spanische Darsteller ersetzt. (Die Frau, die die beiden wegschickt, ist mir noch aufgefallen - sie hat offenbar Zahnschmerzen). Leider kann ich nicht sagen, ob Laurel und Hardy annehmbar spanisch sprechen. Sie haben ihre Dialoge sicher phonetisch von Tafeln abgelesen.

Die Szene zu Beginn kommt mir so vor, als würde der Polizist von seinem Vorgesetzten belobigt und erhalte dafür eine Prämie. Aber vielleicht wird ja im Dialog doch Korruption deutlich.

Manche Szenen sind mehr ausgespielt als in der US-Version. Vielleicht mußte dieser Film auf einen Zweiakter zusammengekürzt werden. Die Story ist aber in meinen Augen tatsächlich eher einen Zwei- als einen Dreiakter wert.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2024, 19:33   #2087  
Rusty
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Die Szene zu Beginn kommt mir so vor, als würde der Polizist von seinem Vorgesetzten belobigt und erhalte dafür eine Prämie. Aber vielleicht wird ja im Dialog doch Korruption deutlich.
Ich vermute das wurde gezielt von den Spaniern eingebaut, um den dicken Geldbeutel zu erklären,
und damit die Polizei generell nicht als korrupt aussehen zu lassen.
Sie bekommen viel Geld und eine Belobigung für treue Dienste, nicht weil sie bestechlich sind.
War ja in Spanien die Zeit der Franco-Faschisten als diese Version entstand.
Rusty ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2024, 20:27   #2088  
Nante
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Nein, 1930 war es noch die Monarchie, die allerdings in den letzten Zügen lag und im Folgejahr gestürzt und durch die zweite Republik abgelöst wurde.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 20.05.2024, 21:20   #2089  
Peter L. Opmann
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War sicher gewagt, die Bestechung eines Polizisten in einem Unterhaltungsfilm zu zeigen.
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Alt 21.05.2024, 06:12   #2090  
Peter L. Opmann
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Weiter mit dem nächsten Buster-Keaton-Film: „Sherlock jr.“ (1924). Er verkaufte sich damals nicht so gut wie die Vorgänger, und ich meine, man kann sehen, warum. Keaton konzentrierte sich ziemlich auf sehr technische Gags, für die der Film heute berühmt ist, die das zeitgenössische Publikum aber wohl eher irritierten. Allerdings enthält „Sherlock jr.“ auch eine Menge Action, vor allem ein wirklich atemberaubende Motorrad- und Autoverfolgungsjagd. Aber die Handlung leidet unter den vielen special effects. Und offenbar wollten die Leute im Kino noch lieber etwas Anrührendes oder Mitreißendes sehen als Effekte, bei denen man sich fragt, wie sie gemacht sind. Keaton zeigt hier, wie eine Figur in einen Film ein-, beziehungsweise aus ihm aussteigt. Das wurde später, soweit ich weiß, fast nur noch in Animationsfilmen gemacht. Technisch war das bei Keaton eigentlich simpel, aber doch bewundernswert gemacht. Er wird durch den Filmschnitt immer wieder in andere Szenen versetzt, in denen er sich von neuem zurechtfinden muß. Dazu maß er seine Körperstellung und –haltung unmittelbar davor aus; dann wurde die Szene umgebaut, er nahm dieselbe Haltung wieder an und befand sich somit plötzlich in einer völlig anderen Umgebung. Da er im Mittelgrund des Bildes stand, sah man den Schnitt bei seiner Figur kaum. Die angebliche Leinwand, auf der er erscheint, dürfte eine Bühne sein. Schwer zu erklären ist nur, daß sich Keaton einmal auf einem meerumbrausten Felsen wiederfindet; das kann man – denke ich – auf einer Bühne nicht machen.

Worum geht’s? Keaton liebt eine Frau (Kathryn McGuire) und hält mit einem Ring um ihre Hand an. Ein Konkurrent (Ward Crane) beklaut ihren Vater, um ihr ein wertvolleres Geschenk machen zu können. Den Diebstahl schiebt er Keaton in die Schuhe, der daraufhin des Hauses verwiesen wird. Traurig geht er weg. Er ist Kinovorführer. Beim Abspielen des neuesten Films, „Hearts & Pearls“, schläft er ein und wird im Traum Hauptfigur dieses Films. Als Sherlock jr. untersucht er den Diebstahl einer Perlenkette. Crane und seine Kumpane stellen dem weltberühmten Detektiv jedoch Fallen, um ihn umzubringen, denen er mit schlafwandlerischer Sicherheit immer entkommt. McGuire haben sie entführt, aber Keaton, der einen verkleidungsfreudigen Assistenten hat, kann sie befreien und mit ihr fliehen. Kurz vor Ende des Films wacht er wieder auf, und da kommt McGuire zu ihm, um ihm zu sagen, daß sich seine Unschuld herausgestellt hat. Der Schluß ist lustig und medienkritisch zugleich: Keaton spielt das Happy End des Films nach, den er gerade vorführt, weil er offenbar keine Ahnung hat, wie man mit einer Frau umgeht: Handkuß – Umarmung – inniger Kuß. Dann gibt es noch einmal einen Schnitt: Man sieht das glückliche Filmpaar mit zwei kleinen Kindern; das läßt sich freilich auf die Schnelle nicht nachahmen.

Bei den üblichen previews lachte das Publikum 1924 nur wenig. Keaton versuchte, den Film durch Kürzungen lustiger zu machen, bis er schließlich nur noch 45 Minuten lang war. Produzent Joe Schenck verlangte, daß wenigstens zehn Minuten nachgedreht werden, aber Keaton weigerte sich. Doch das Problem war offenbar nicht die Gagdichte, sondern daß die Gags nicht die Story unterstützen. Heute sieht man das anders. Es wird hervorgehoben, daß die Tricks mit der Figur vor und auf der Leinwand in der Filmgeschichte kaum je wiederholt wurden. Sie sind perfekt, obwohl die Tricktechnik noch eher in den Kinderschuhen steckte. Mir fiel Woody Allens „The Purple Rose of Cairo“ ein, wo sich Realität und Filmwirklichkeit ebenfalls gegenseitig durchdringen. Den Film kann ich mir demnächst zum Vergleich nochmal ansehen. Bei „Sherlock jr.“ ist jedenfalls festzuhalten, daß die Story keinen abendfüllenden Film trägt. Ich finde diese Slapstick-Komödie natürlich nicht schlecht, sondern nur auf hohem Niveau mißglückt. Aber Keaton hat Filme mit klarerer und bedeutsamerer Handlung gedreht. Hier schätze ich die einzelnen berühmten Szenen mehr als das Werk als Ganzes.
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Alt 22.05.2024, 11:33   #2091  
Servalan
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Bis zum 25. Mai steht „Die Reifeprüfung“ noch in der 3sat-Mediathek.
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Alt 22.05.2024, 12:13   #2092  
Peter L. Opmann
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...besprochen in Post # 394, bei mir auf Seite 16.
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Alt Gestern, 06:11   #2093  
Peter L. Opmann
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Außer der Grundidee hat „The Purple Rose of Cairo“ (1985) von Woody Allen wenig mit „Sherlock jr.“ gemeinsam. Im Gegensatz zu Buster Keaton interessiert Allen, der auch das Drehbuch schrieb, was genau passieren würde, wenn Filmwirklichkeit und die Realität des Publikums aufeinandertreffen würden. Dazu fällt ihm eine Menge ein, und das macht diese Komödie reizvoll. Im Gegensatz dazu mangelt es ihr an äußerer Handlung. Eine Filmfigur steigt von der Leinwand herab und verbringt einige Zeit mit einem echten Menschen, während Hollywood – einschließlich dem Darsteller dieser Figur – alles daransetzt, das Durcheinander wieder in Ordnung zu bringen. Am Ende kehrt die Figur in ihren Film und der Schauspieler nach Hollywood zurück, während die Kinobesucherin sich in den nächsten Film hineinträumt. Doch atmosphärisch ist „Purple Rose“ gut gelungen, und man sieht ihn sich gern an, auch wenn die Story nicht viel hergibt.

Mia Farrow ist mit einem groben, egoistischen Mann (Danny Aiello) verheiratet und muß auch noch als Bedienung in einem Imbiß das Geld heranschaffen. Es ist wieder die Depressionszeit der frühen 1930er Jahre, und wir sind in New Jersey. In jeder freien Minute geht sie ins Kino, um ihrem tristen Alltag zu entfliehen. Im Moment läuft gerade „The Purple Rose of Cairo“, ein Film mit reichlich Glamour. Eines Tages fällt einer Filmfigur, einem romantischen Ägyptenforscher (Jeff Daniels), beim Blick in den Saal auf, daß sie den Film schon fünfmal gesehen hat, und er steigt zu ihr herunter. Damit stockt die Filmhandlung. Die übrigen Schauspieler können nur warten, bis er zurückkehrt und seine Rolle fortsetzt. Das Publikum wartet vorläufig darauf, daß der Film weitergeht. Aber Daniels und Farrow verlassen gemeinsam das Kino – für ihn ist die Welt draußen eine völlig neue, aufregende Erfahrung. Nach einiger Zeit bekommt die Produktionsfirma (RKO) mit, daß mit ihrem Film etwas nicht stimmt – zumindest mit der Kopie in New Jersey. Der Schauspieler Daniels reist an, zunächst, weil er sich Publicity erhofft, dann, um seine Figur dazu zu bringen, wieder in ihre Rolle zu schlüpfen, weil das Publikum zunehmend unwillig wird.

Farrow verliebt sich zuerst in den abenteuerlichen Held, wobei sie versucht, ihr Treffen mit ihm vor ihrem Mann geheimzuhalten. Dann lernt sie zufällig auch den Schauspieler Daniels kennen, dessen Fan sie schon lange ist. Nun ist sie nicht mehr sicher, ob sie die Filmfigur liebt, die traumhaft küssen kann, oder den Star, der sich auch um sie bemüht. Allerdings vergißt sie nie, daß sie verheiratet ist. Dann mischt sich aber auch ihr Mann ein. Er schlägt, weil er unfair kämpft (was in Filmen nie vorkommt), die Filmfigur Daniels nieder, aber er kann sie nicht verletzen, weil ein Filmheld aus jedem Kampf mit perfekter Frisur hervorgeht. Farrow ist freilich nun entschlossen, Aiello zu verlassen. Dann aber gelingt es den RKO-Leuten mit vereinten Kräften, Daniels zur Rückkehr in seinen Film zu bewegen. Und als das geschehen ist, nimmt Schauspieler Daniels sofort das nächste Flugzeug zurück nach Hollywood, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Kurz darauf wechselt das Kinoprogramm – „The Purple Rose of Cairo“ verschwindet, und dafür wird jetzt „Ich tanze mich in dein Herz hinein“ mit Fred Astaire und Ginger Rogers gezeigt – den sich Farrow natürlich auch wieder mehrfach ansehen wird.

Der Fischer Film Almanach erwähnt den russischen Stummfilm „Im Banne des Films“ (1918), in dem bereits die Liebe zwischen einem Maler und einer weiblichen Filmfigur geschildert wird. Es dürfte in der Filmgeschichte also durchaus ein paar Versuche gegeben haben, das Leben auf und vor der Leinwand zu vermischen. Ich könnte mir aber vorstellen, daß niemand diesen Gedanken so konsequent durchgespielt hat wie Allen in „Purple Rose of Cairo“. Beim Wechsel zwischen beiden Welten gibt es für Daniels – anders als bei Buster Keaton – keine Stolpersteine; dafür hat sich Allen bei der Begegnung von Filmfigur und Filmstar viel Mühe gegeben. Teils wird der zweite Daniels wohl von einem Doppelgänger gespielt, teils arbeitet Allen vermutlich mit Splitscreen. Die Schauspielerleistungen sagen mir einerseits zu, andererseits agieren sie häufiger ziemlich unmotiviert (siehe Danny Aiello, der zwar den gewalttätigen Ehemann spielt, aber Mia Farrow nie ein Haar krümmt und sie an nichts hindern kann). Realismus war sicher nicht Woody Allens Absicht – kein Wunder bei diesem Stoff. Als bittersüße Hommage an die Traumwelt Kino führt an diesem Film natürlich für Cineasten kein Weg vorbei.

Geändert von Peter L. Opmann (Gestern um 06:20 Uhr)
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Alt Gestern, 09:06   #2094  
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Kennst du „Last Action Hero“ (1993)? Der Film würde zum einen in dein Beuteschema fallen, was Klassiker betrifft, und zum anderen gibt es deutliche Parallelen zu „The Purple Rose of Cairo“. Der lief erst vor kurzem im Fernsehen, und da habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Deshalb ist meine Erinnerung daran noch frisch, und ich finde, er wäre geeignet, ihn in diesem Zusammenhang zu besprechen.
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Alt Gestern, 09:21   #2095  
Peter L. Opmann
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"Last Action Hero"? Ich erinnere mich, daß ich den 1993 im Kino in Rodgau gesehen habe. Damals war ich ziemlicher Arnold-Schwarzenegger-Fan. Aber das kühlte mit diesem Film merklich ab. Ich habe den Film nicht auf Video oder DVD, aber ich habe ein "Filmbuch" von Bastei-Lübbe, das ich irgendwann mal auf dem Flohmarkt mitgenommen habe.

Ich werde in den Band reinschauen und testen, ob meine Erinnerung wieder in Gang kommt.
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Alt Gestern, 09:52   #2096  
Peter L. Opmann
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Noch ein Nachtrag: Der erwähnte russische Stummfilm "Im Banne des Films" heißt im Original "Sakowannaja filmoi". Regisseur war N. Turkin. Bedeutender scheint der Drehbuchautor zu sein: Wladimir Majakowski. Der Film ist verschollen, wird aber auch in Toeplitz' "Geschichte des Films" angeführt.
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