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Alt 31.01.2017, 09:38   #187  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Nummer 50

Richard Löwenherz, Kreuz gegen Halbmond






Mit diesem Heft liegt ein kleines Jubiläum vor: immerhin ist es das 50ste einer damals beliebten Comicreihe. Zum zweiten Male ist hier der englische König Richard Plantagenet, so sein Familienname, titelgebend. Dieser König hat auch im deutschen Sprachraum einen ziemlich untadligen Ruf, seine Taten werden verklärt und in Verbindung mit Robin Hood und Sir Lancelot in einem Atemzug genannt. Volkssagen (Robin Hood) und Historienromane (Walter Scott) bereiteten den Nährboden für die Heroisierungen um Richard Löwenherz´ Leben. Leider sind diese Inhalte teilweise für das Heft übernommen, es ist sogar recht schludrig recherchiert worden. Fakten sind schlichtweg falsch, die sich in Jahrhunderten gebildete Mythen unreflektiert übernommen worden. Als ich auf vermehrte Fehler gestoßen bin, schaute ich ausführlicher hin und kam aus dem Staunen kaum heraus.








Text Seite 6: „Im August 1187 wird bekannt, dass der gerade zur Herrschaft gelangte Sultan Saladin ein Heer der Kreuzritter am 5. Juli in der Schlacht von Hattin am See Genezareth vernichtend geschlagen hat. Die Lawine der Türken schiebt sich unaufhaltsam gegen die Jerusalem vorgelagerten Plätze vor. (...) In diese Vorbereitungen (den 3. Kreuzzug) dringt die erschütternde Nachricht: die Mohammedaner haben am 3. Oktober 1187 die Mauern von Jerusalem erstiegen und das grüne Banner des Propheten gehißt.“

Ich habe mehrere Quellen gefunden – auch ältere – die vom 2. Oktober sprechen, aber das ist marginal, gravierender ist schon die Nennung der >>Türken<<, die gegen Jerusalem ziehen. Saladin mag türkische Söldner in seinen Reihen gehabt haben (Seldschuken), aber sein Heer bestand überwiegend aus Ägyptern, dessen Land sein Hauptherrschaftsgebiet war und Syrern und Irakern.

Der Text des ersten Comicbildes auf der Seite 7 nennt die Namen der Fürsten, die am 3. Kreuzzug beteiligt waren: „Unter dem Eindruck dieses Ereignisses (der Eroberung Jerusalems) beschließen die vier mächtigsten Fürsten des Abendlandes, Kaiser Friedrich Barbarossa, König Phillip II, August von Frankreich und König Richard Löwenherz von England, Heere für den Zug gegen die Feinde im Morgenlande aufzustellen.“

Von welchem Land ist eigentlich Phillip II Herrscher? Nun, genau genommen ist dessen kompletter Name Phillip II August von Frankreich. Also sind es nur DREI Herrscher!

Weiter geht es erst einmal mehrere Seiten mit den Erlebnissen, die Friedrich Barbarossa und sein Heer auf dem Weg ins >>Heilige Land<< erlebten oder erduldeten.

Seite 9: „Durch Serbien und Bulgarien geht es weiter. Aber hier verzögert sich der Weitermarsch erheblich, weil die Bewohner dieser Länder sich weigern, Lebensmittel herzugeben. Deshalb ordnet Friedrich an, diese Gebiete als feindlich zu betrachten.“

„Die Bewohner dieser Länder“ weigern sich nicht, es ist der Kaiser Isaak II von Konstantinopel, der die Kreuzfahrer nicht in seinem Lande haben will, zu dem Bulgarien und zeitweise Serbien gehört. Wie recht er mit seinen Vorbehalten haben sollte, zeigt sich wenige Jahre später, als der 4. Kreuzzuge unter der Führung Venedigs völlig aus dem Ruder lief, bzw. so geplant war und lediglich Konstantinopel erobert und geplündert, sowie dort an Stelle des Orthodoxen ein katholisches >>Lateinisches Kaiserreich<< errichtet wurde – aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls holten sich unsere Kreuzzügler ihren Nachschub infolge von Eroberungen der Städte Philipopel und Adrianopel. Sie plünderten auch die weitere Umgebung aus, töteten die Bewohner und benahmen sich insgesamt recht brutal. Als Friedrich gar mit Krieg gegen Isaak II drohte, lies dieser die Kreuzfahrer passieren.

Bei Laodikeias, oder Laodicea, westlich von Ephesus, „erreichte das Heer endlich türkischen Boden.“ ,so weit, so gut; hier herrschten tatsächlich bereits die Türken, genauer die türkischen Seldschuken. Auf den Seiten 10 und 11 sehen wir nun Schlachtenszenen, die die Kreuzritter mit den Seldschuken ausfochten.

Seite 10: „Schon meldet sich der Feind. Ein Tag nach dem Pfingstfest (1190) treffen die Reitergeschwader der Ritter auf eine Menge von, wie überliefert ist, 40 000 türkischen Reitern. Wie Heuschreckenschwärme (natürlich) überschwemmen sie die offene kleinasiatische Hochebene und versuchen, in einem Regen von Speeren und Pfeilen alles, was sich ihnen entgegenstellt, zu vernichten.“

Seite 11: „Weitere Kämpfe sind am 7. und 14. Mai (sowie am 18.Mai) bei Philomelion zu bestehen.“ Weiter unten ist von „über fast 100 000 Türken“ zu lesen, die der Kaiser (Friedrich) besiegte. „Jetzt erkennt Sultan Saladin die Stärke der Deutschen und unterwirft sich Barbarossa.“

Hier ist mehreres merkwürdig: Über den Zusammenstoß der Seldschuken und dem Kreuzfahrerheer auf der Seite 10 habe ich nichts gefunden. Die 40 000 Mann, die von nur 600 Rittern (die dauernd von Friedrich angespornt werden mussten) besiegt wurden, halte ich so für erfunden, bzw. mit dem Schlacht von Ikonium verwechselt, die allerdings erst nach der von Philomelion stattfand, nämlich am 18. Mai (!). Außerdem wird im Heft behauptet, Friedrichs Sohn hätte die Stadt im Sturm genommen. So wie es abgehandelt wird, muss angenommen werden, dass es sich um Philomelion handelt, denn Ikonium wird nirgends namentlich erwähnt, auch nicht auf den nächsten Seiten und diese wird vom Sohn erobert. Währenddessen Friedrich vor den Mauern der Stadt das seldschukische Heer in großer Zahl die Kreuzfahrer schwer bedrängte. Weiterhin wird auf Seite 11 ja von den geschlossenen Toren der Stadt (Philomenion) geschrieben, die war aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Ruinenstadt. Bleibt offen, was das für eine Schlacht auf der Seite 10 war.
Zum dem noch die Frage nach dem „Sultan Saladin, der die Stärke der Deutschen anerkennt und sich Barbarossa unterwirft“. Es ist sicherlich nicht DER Sultan Saladin gemeint, der Jerusalem erobert hat und die Kreuzfahrerstaaten in Palästina am Rande der endgültigen Niederlage hat, obwohl der Text es ja suggeriert . Wenn DER es dann sein sollte, wäre der 3. Kreuzzug damit ja am Ziel und beendet … Der einzige Saladin, der gegen das Heer Barbarossas im seldschukischen Reich etwas zu tun hatte, war ein Sohn DES Saladin, und ein Verbündeter der Seldschuken, mit sicherlich einigen Soldaten – mehr nicht.

Auf den nächsten beiden Seiten (12 und 13) wird vom Tode Friedrichs gezeigt und wie daraufhin vielen Kreuzfahrern der Mut verließ und sie nach Hause zurück kehrten. Es ist von nur 2000 Mann, die unter dem Oberbefehl von Friedrich von Schwaben zurückblieben und den Weg ins >>Heilige Land<< weiter fortsetzten.








Nun tritt auf der Seite 14 erst der Mann ins Blickfeld des Heftes, der auf der Titelseite die Leser zum Kauf animieren sollte. Gleich der erste Textblock verrät wieder etwas von den Ungereimtheiten, die sich durch das ganze Heft ziehen.

„Während nun der französische König im Frühjahr direkt nach Akkon (…) segelt, verweilt Richard Löwenherz noch längere Zeit auf Cypern, das er den Byzantinern entreißt.“

Richard war tatsächlich auf Cypern, um seine Braut Berengaria von Navarra aus den Händen des cyprischen Herrschers Isaak Momnenos zu befreien und in Limassol sogleich zu ehelichen. Sie und die Schwester Richards waren nach einem Schiffbruch auf der Insel gestrandet. Mit seinem überlegenen Heer besiegte Richard schließlich Isaak und Cypern wurde an die Johanniter übergeben. Kurz und gut, Cypern war zu diesem Zeitpunkt, Seite 14 des Heftes, nicht mehr zu Byzanz gehörig.

1191 wurde Akkon mit den Verstärkungen der Franzosen und Engländer (Richard war inzwischen von Cypern aus übergesetzt), erobert. Die Eroberer freuten sich, und wollten den Ruhm an ihre Fahnen heften (buchstäblich). Über der Zitadelle von Akkon wehten zuerst die Banner der Könige von Frankreich und Englands. Leopold, der Herzog von Österreich, hängte seinen mit der Begründung auf gleicher Höhe daneben, er sei schließlich der Befehlshaber des, wenn auch kleinen, deutschen Truppenverbandes. Vor allem Richard fand dies anmaßend und „den Bannerspeer umreißt, ihn zersplittert, das Panier auf den Boden wirft und es mit Füßen tritt.“ Etwas weniger prosaisch habe ich woanders gelesen, er solle lediglich einem Knappen beauftragt haben, es in den Burggraben zu werfen. Aber beides gefiel dem Herzog nicht und er zog, ohne sich zu entschuldigen (dazu aufgefordert, weil er sich angemaßt hatte, sich mit den beiden Königen als Herzog auf eine Stufe zu stellen), beleidigt mit seinen Soldaten nach Hause.
Was aus dieser Episode resultierte, ist mehr als bekannt, aber kurz vorher noch die Bemerkung, dass auch Phillip bald abzieht und Richard alleine, nur mit Hilfe der wenigen Kreuzfahrerstaatenheere, Jerusalem nicht zu gewinnen vermochte. Außerdem hörte er, dass sein Bruder Johann zu Hause immer mehr die Macht an sich riss. Ein Separatfrieden (u. a. werden unbewaffnete Pilger zu den >>heiligen Stätten<< eingelassen) mit Saladin stellte ihn zufrieden, dann eilte er im Oktober 1192 nach England zurück. Warum Richard nun den Weg das Donautal entlang wählte, wirft Fragen auf. Im Heft ist von einem Schiffbruch die Rede und dass er als Händler verkleidet alleine durch Leopolds Herzogtum wanderte. Anscheinend wählte er diese Route, weil ihm auch Phillip ans Leder wollte und damit das westliche Mittelmeer zu unsicher erschien. Dieser hatte sich mit Heinrich VI, dem neuen deutsch/römischen Kaiser verabredet, Richard gefangen zu nehmen. Die Gründe waren vielfältig, hauptsächlich wollte sich Phillip rächen, weil Richard das Verlöbnis mit der Halbschwester des Königs aufgelöst hatte und Heinrich ärgerte die Unterstützung des englischen Königs für Heinrich den Löwen, dem penetranten Widersacher des Kaisers. Am 21. Dezember 1192 fasste man Richard, der sich als Pilger mit großem Gefolge und Gehabe und großen Portemonnaie sehr auffällig verhalten hatte – im Gegensatz zum Hefttext - in Edberg in einem kleinen Gasthaus (klingt nach Hansudi Wäscher). Umgehend meldet Leopold die Gefangennahme und lieferte ihn im März 1193 in Speyer an den Kaiser aus, nachdem Richard der horrenden Lösegeldforderung, den Lehnseid und weiteren Forderungen nachgekommen war. Beschleunigend wurden die Verhandlungen schließlich, als Heinrichs drohte, ihn ansonsten an Phillip auszuliefern, was Richard kaum zufriedenstellend überlebt hätte. Das Lösegeld besorgte nun seine Mutter Eleonore von Aquitanien und nicht Robin Hood und auch nicht Ivanhoe; klingt zwar romantisch, ist aber unhistorisch.

Witziger weise konnte sich der Texter des Heftes den Sänger Blondel nicht verkneifen, der seinen Herrn suchte und überall seine Lieder anklingen lies, um ihn zu finden. Als er diesen an der Burg Dürnstein, die im Heft wie ein neogotisch restauriertes Schloss ausschaut, durch seinen Gesang erkennt, ist es hier unnötig, da die Geschichte im Rahmen des Heftes diesmal nicht zugunsten der Legende weiter umgeschrieben wurde. Es gab zwar um diese Zeit einen Blondel de Nesle, einen noch heute bekannten französischen Troubadour, aber ob er mit Richard befreundet oder ihn wenigstens persönlich kannte, ist nicht bekannt. Einen Blondel, einen relativ modernen gibt es aber doch: es ist Merry-Joseph Blondel (1781-1853), ein französischer Maler, der 1841 ein historisierendes Gemälde von Richard Löwenherz angefertigt hat. Es hängt im >>Saal der Kreuzzüge<< im Schloss Verseilles … und Walter Scott (Ivanhoe) kann es nicht gesehen haben, denn er starb fast 20 Jahre vorher.
Noch einmal zurück zum berühmten Vorgang auf den Mauern Akkons, der mit Sicherheit ins Reich der Legendbildung um Richard zurück zu führen ist. Und zwar deshalb, weil es ansonsten ziemlich unschlau von Richard gewesen wäre, durch das Gebiet des von ihm zurechtgewiesenen Herzogs zu reisen, selbst verkleidet als was auch immer.

Von Leopold gibt es noch etwas anderes zu berichten: er soll für die österreichischen Farben auf der Nationalflagge zuständig gewesen sein. Die Kreuzritter trugen in der Regel einen weißen Waffenrock. Leopold soll nach einer Schlacht ziemlich flächendeckend blutüberströmt gewesen sein. Als er seinen Gürtel abnahm, zeigte seine Kleidung an dieser Stelle einen weißen Streifen und rot – weiß – rot sind seit dieser Zeit die Farben der österreichischen Flagge. Jedenfalls soll ihm das Kaiser Heinrich angetragen haben, weil Leopold sein eigentliches Banner zwischenzeitlich abhanden gekommen war.

Auf der letzten Comicseite, wenn man sie denn so nennen will, denn sie zeigt nur eine Karte der >>Christenstaaten in Palästina 1098 – 1189<< erscheint ein Land mit Namen >>Assassan<<. Es liegt zwischen dem Fürstentum Antiochia und der Grafschaft Tripolis. Damit ist ein kleines Territorium gemeint, das die Sekte der >>Assassinen<< zu dieser Zeit beherrschte. Sie zeichneten sich vor allem durch die Opferbereitschaft ihrer Mitglieder aus, politische Morde zu begehen und dafür als Märtyrer ins Paradies zu gelangen – kommt irgend wie bekannt vor … Auf den Seiten 23 bis 25 wird von Bood ein derartiger Versuch, die Ermordung Richards, durch einen solchen Assassinen gezeigt. Allerdings habe ich dafür keine Belege gefunden, obwohl damals ein derartiges Attentat große Aufmerksamkeit hervor gerufen hätte.

Das wär´s dann von dieser Comicgeschichte, die ganz schön anstrengend zu beschreiben, zu bewerten und zu analysieren war. Dafür habe ich, glaube ich, den bisher umfangreichsten Text hier geschrieben. Die Geschichte selbst ist flott erzählt, die ausgelassenen Fakten fallen für den unbedarften Leser – und das waren in der Regel Kinder – nicht auf. Legende und Historie sind geschickt verknüpft, wobei ich vermute, dass der Texter es oft selber nicht besser wusste. Die zeichnerischen Darstellungen sind wieder etwas erfreulicher – kommt mir jedenfalls so vor.


Auf dem Titelbild ist vor einer Stadtmauer (Akkon?) ein Lanzenstechen zwischen einem Kreuzritter und einem muslimischen Reiter zu sehen. Ob dies je so stattgefunden hat, bin ich mir nicht klar. Wie weit es im mittelalterlichen Orient (nach unserer Zeitzählung) tatsächlich lanzenbewerte Reiter gegeben hat, bin ich noch am suchen, vielleicht gibt es bei den Lesern hier jemand, der Bildbeispiele bringen, oder meine Vermutung bestätigen kann.

Die zweite Seite zeigt Richard Löwenherz, von einem Glorienschein umgeben – ziemlich heroisierend.

„Ritter im friedlichen Turnier und blutigem Kampf, Rückblick ins Mittelalter“ Ein Artikel der Seiten 3 und 4 erzählt ein bisschen was übers Ritterleben, wie man Ritter wird und was man vom Kampfe halten kann; Fairness, Ehre udgl. mehr. Ganz interessant geschrieben.

„Euer Hans-Jürgen“ stellt erfüllt Themenwünsche und anders von namentlich genannten Lesern vor. Immer eine Freude, den eigenen Namen im Heft zu lesen – meiner war nicht dabei. An den Lehning-Verlag habe ich nur einmal geschrieben, als er bereits in der Abwicklung war.

Die Vorschau auf die kommenden Hefte zeigt noch immer für die Nummer 57 den selben Titel.

Die vorletzte Seite kündet für das folgende Heft mit „Die Hölle von Tsushima“ ein modernes Thema an, den Krieg 1905 zwischen Japan und Russland.
Die letzte Seite zeigt diesmal keine Reklame (-Zeichnung) für den Peligom-Kleber, Uhu-Alleskleber ist diesmal das Thema. Allerdings wird als Zeichnung eine zeitgemäße Wohnlandschaft dargestellt und kein Heftbezogenes Bild.

Das oben erwähnte kleine Jubiläum nutzte ich mal für eine ebenso kleine Pause in den Berichterstattungen für diese Reihe aus. Andere schreibende Verpflichtungen haben eine Zeit Vorrang.
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