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Alt 26.03.2015, 11:55   #62  
Servalan
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Georg Seeßlen (und Markus Metz) ergänzt eines seiner neuen Bücher (Seeßlen / Metz: Kunst frisst Geld – Geld frisst Kunst, Suhrkamp 2014) über das zwiespältige Verhältnis von Kunst und Markt mit einem Nachschlag in seinem Blog "Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn". Die meisten Schlußfolgerungen treffen wohl auch auf Autoren (Zeichner und Szenaristen) zu. Wenn im Text vom Galeristen die Rede ist, wird das in der Comicbranche durch Verlag und Comichandel ersetzt.

KUNST/ZEIT/SCHRIFT: Nachschrift zu „Kunst frisst Geld – Geld frisst Kunst“
Teil 1 (17.09.2014), Teil 2 (23.09.2014), Teil 3 (20.03.2015)

Zitat:
Was eigentlich wird dem Künstler für sein Werk entlohnt bzw. abgekauft? Die Idee? Die Arbeit? Oder das Objekt? Natürlich ging die klassische Vorstellung davon aus, dass in der Aura des Kunstwerkes alles drei vereint sei. Aber diese drei Dinge waren nie vollkommen in diesem mythischen Schöpfungsakt vereint; Arbeitsteilung in der Kunst, auch in einer hierarchischen (und durchaus ausbeuterischen) Form, ist keine Seltenheit.
Die Arbeit des Künstlers also ist nicht nur vom sozialen Status her in sich selbst widersprüchlich; sie hat Elemente der Lohnarbeit, der Sklaverei, des Unternehmertums, der Dienstleistung, des Zirkus, der Plünderungsökonomie, der Bettelei (der Prostitution auch, das begleitet als Seitenphantasie die melodramatische Kunstgeschichte), und mehr. Und was kauft der Bürger und Sammler, wenn er ein Kunstwerk kauft?
Auch die Arbeit des Künstlers und der Künstlerin unterliegen dem zum ersten Mal von David Ricardo aufgestellten doppelten Wert: „Der natürliche Preis der Arbeit ist jener Preis, welcher nötig ist, um die Arbeiter in den Stand zu setzen, sich zu erhalten und ihr Geschlecht fortzupflanzen ohne Vermehrung und Verminderung“. Um einen natürlichen Preis der künstlerischen Arbeit zu erzielen hat die „sozialdemokratische“ Fraktion des Kapitalismus einen sekundären Bereich geschaffen (Subvention und Kunstpädagogik zum Beispiel), den die neoliberale Fraktion wahlweise abzuschaffen oder zu „privatisieren“ trachtet. Für diesen neoliberalen Diskurs ist der Künstler nichts anderes als ein Unternehmer, der gefälligst jedes Risiko zu tragen hat, der dafür aber auch mit ungeheuren Profiten rechnen darf.
„Der Marktpreis der Arbeit ist derjenige Preis, der wirklich für sie aufgrund des natürlichen Wirkens des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage bezahlt wird“ (Ricardo). Worum es also geht ist der Unterschied zwischen dem natürlichen und dem Marktpreis der (künstlerischen) Arbeit.
Die „Verrücktheit“ des Kunstmarktes drückt auf eine vertrackte Weise die Abwertung der Arbeit im Neoliberalismus aus. Der Künstler kann für seine Arbeit so gut wie nichts, als „Urheber“ allerdings alles (oder wieder nichts) erwarten. Zur Selbstausbeutung (an die er gewöhnt ist) tritt nun etwas, was wir als „Selbstenteignung“ der Künstler bezeichnen könnten. Er tötet den Anteil der Arbeit in seinem Werk, um in das neu definierte Marktsegment zu gelangen.
Der Preis des Kunstwerks drückt also nicht mehr die dezentralen Informationen der Diskurse aus, sondern ist Maßstab für die Verwandlung von Arbeit in Verfügungsmacht. Der Künstler wird nicht mehr als arbeitender sondern als (mit sich selbst) spekulierender Mensch bezahlt. Damit entkoppelt sich der Wert seiner Produktion nicht nur von den klassischen Elementen des Arbeitsmarktes, Angebot und Nachfrage der Arbeitskraft, „Produktivität“ und Gesamtwert der durch die Arbeit erzeugten Produkte.
(aus: Teil 1)
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