Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 24.03.2015, 12:02   #57  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
Benutzerbild von Servalan
 
Ort: Südskandinavien
Beiträge: 10.321
Blog-Einträge: 3
Standard Der Nächste, der ausgestiegen ist: Yves Rodier

Der Frankokanadier Yves Rodier hat sich aus dem Comicmetier zurückgezogen. Seine Entscheidung hat er zunächst auf seiner Facebook-Seite begründet, die actuabd (18. März 2015) mit seiner Erlaubnis übernommen hat.
Rodier begann seine Laufbahn mit einer Fortsetzung des Fragments von Hergés Tintin et l'Alph-Art (deutscher Nachdruck im Comic-Jahrbuch bei Carlsen), womit er sich umgehend Ärger mit der Fondation Moulinsart eingehandelt hatte. Danach wirkte er in Kanada als Animationszeichner (Bob Morane, La Mouche, Le Marsupilami). Zu seinen Werken als professioneller Autor frankobelgischer Comics zählen seine beiden Serien Simon Nian (mit François Cortegianni, seit 2005 bei Glénat) und El Spectro (mit Frédéric Antoine, seit 2011 bei Le Lombard).

Comiczeichner zu werden, war ein Kindheitstraum von Rodier, der sich in einen Albtraum verwandelt hat. In der Zwischenzeit hat sich seine Einstellung zu Comics geändert: Er liest kaum noch welche und weicht der Comicszene aus, weil er persönlich andere Interessen hat.
Seinen Rückzug begründet Rodier mit den miesen Bedingungen der Comicindustrie, die rasches Arbeiten verlangen (mindestens ein Album pro Jahr), weil einen sonst das Publikum vergessen haben könnte. Unter diesen Voraussetzungen findet er den Großteil des veröffentlichten Material schlampig bis schlecht gezeichnet. Seinen Kolleginnen und Kollegen bleibt aber nichts anderes übrig: Aufwändige Recherchen, sorgfältige Überlegungen zum Layout, ein hoher Anspruch bei Details und notwendige Selbstkritik müssen unterbleiben, weil sonst die Deadlines nicht eingehalten werden können. Realistische Comics im klassischen Stil verbieten sich indirekt, denn all die Phasen (Idee, Skizze, Vorzeichnung, Koloration etc.) dauern zu lange und schmälern letztendlich das Honorar.
(In der Diskussion unten berichtet Badd von einer Runde, bei drei Zeichner 2010/2011 ihre Stündenlöhne verglichen haben: "Schnellzeichner" Badd ist dabei auf 6 € / Stunde gekommen, die anderen auf 2,61 € / Stunde.)
Jetzt, mit gut 50 Jahren, ist Rodier sich zu schade, seinen Verleger reich zu machen, während er von der Hand in den Mund leben soll. In seinem P.S. nimmt er allerdings seine eigenen Verleger bei Glénat und Le Lombard in Schutz, stattdessen beklagt er den Allgemeinzustand.
Comics werden auf eine "Message" reduziert (da stimmt er in JC Menus Lamento mit ein, siehe oben im Thread), nicht auf die Kunst. Die wird von den Marketing-Abteilung und Buchhaltungen nämlich nicht honoriert, nur Umsatz und Profit zählten. Mit Rodiers Comics aus seiner Kindheit hat das nichts mehr gemein. Was sich zur Zeit abspielt, das enttäuscht ihn, weil es von einem elitären Dünkel bestimmt ist, der sich intellektuell gibt.
Aufmerken läßt allerdings sein Zugeständnis, er hätte sich anders entschieden und wäre geblieben, wenn sich seine Comics zu Hunderttausenden verkauft hätten. Da ihm das nicht gelungen, sieht er keine Perspektive und weicht lieber auf andere Branchen aus.
(Daß Rodier kein Einzelfall belegen die Kommentare von Pierre und Pat: Pat beklagt die sinkenden Auflagenzahlen seiner eigenen Comicserie. Der erste Band 2003 war mit 26.000 Exemplaren noch verhältnismäßig gut sichtbar im Sortiment vertreten, der siebte Band 2014 verschwand mit 4.000 in der Unsichtbarkeit, weil Hypermarchés, fnac, cultura und der Buchhandel den Band nicht mehr im Regal vorrätig halten.
Pierre warnt Rodier davor, sich Illusionen zu machen. Wegen der Wirtschaftskrise sei die Lage in anderen Branchen kaum besser. Viele Werbefirmen und Videogame-Firmen wären vom Markt verschwunden, und nur wenige leisten sich noch ein Logo für 200 bis 300 €.
)

Geändert von Servalan (27.03.2015 um 10:37 Uhr)
Servalan ist offline   Mit Zitat antworten