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Alt 07.02.2016, 15:28   #34  
Servalan
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Standard Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit / Laus stultitiae / Moriae encomium (1511)

Der pure Text steht kostenlos im Projekt Gutenberg-DE bei Spiegel Online:
http://gutenberg.spiegel.de/autor/er...rotterdam-1457 (Autor: Erasmus von Rotterdam)
http://gutenberg.spiegel.de/buch/das...torheit-7105/1 (Lob der Torheit - Kapitel 1)

https://de.wikipedia.org/wiki/Lob_der_Torheit
http://www.deutschlandfunk.de/erasmu...icle_id=318666
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36166/1.html

Passend zu den Tollen Tagen der Fünften Jahreszeit möchte ich die Bühne einem kurzweiligen Klassiker geben, der im letzten halben Jahrtausend nichts von seinem Witz und seiner Ironie verloren hat.
Als die Satire erschien, wurde sie zu prompt zu einem Bestseller bei den wenigen Leuten, die entweder selbst lesen konnten oder sich jemanden leisteten, der ihnen vorlas (zu der Zeit existiert keine Schulpflicht!). Bücher waren sauteuer, die Druckindustrie mit beweglichen Lettern steckte in den Kinderschuhen (damals das Neue Medium), trotzdem verwandelte sich das Selbstlob der personifizierten Dummheit zu einem europäischen Bestseller.
Auf dem Konzil von Trient 1545 wanderte die Schmähschrift auf den Index der Römisch-Katholischen Kirche.

Erasmus von Rotterdam (irgendwann zwischen 1466 und 1469 - 1536) begann den Gepflogenheiten der damaligen Zeit entsprechend als Gelehrter und Priester unter dem Dach der Kirche. Wahrscheinlich wurde er in Rotterdam geboren und starb in Basel, die meiste Zeit seines Lebens reiste er quer durch den Kontinent und traf sich mit Geistesverwandten, daneben schwang er ständig die Gänsefeder: Er schrieb etwa 150 Bücher und verfaßte eine Unzahl Briefe, von denen über 2.000 erhalten sind.
Auf einer dieser Reisen begegnete er (Sir) Thomas Morus (1478-1535), den Verfasser des Staatsromans Utopia / De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia (1516), mit dem er sich anfreundete. Durch die historischen Fernsehserien Die Tudors und Wölfe hat der Ruf von Sir Thomas More gelitten, weil der Humanist buchstäblich über Leichen geht (er wirkt wie ein Vorläufer des "Tugendterroristen" Robespierre).
Erasmus von Rotterdam widmete More sein Lob der Torheit.

Der Theologe, Philosoph und Philologe Erasmus zog seinen Kopf durch einen Kunstgriff aus der Schlinge der Heiligen Inquisition, obwohl weiterhin das Risiko eines vernichtenden Prozesses bestand: Umständliche Widmungen der Verfasser jeglicher Schriften waren damals üblich, denn wer Theaterstücke, Sonette oder Prosa schrieb, wies so auf seinen Mäzen und Sponsor hin, der einen gewissen Schutz verhieß. Erasmus nutzt diese Mode, indem er deutlich macht, daß nicht er als Person aus Fleisch und Blut spricht, sondern seine fiktive Figur, die bloß auf dem Papier (oder Pergament) existiert. Außerdem tat er sein Werk als "Stilübung" ab.

In dem Buch entlarvt sich die Torheit, die aus dem Selbstlob gar nicht mehr herauskommt und sich ihrer grandiosen Weltherrschaft rühmt. Dabei unterstützen sie ihre Töchter (nein, nicht die Musen!), von denen jede eine christliche Todsünde verkörpert: Eigenliebe, Schmeichelei, Vergesslichkeit, Faulheit und Lust.
Diese Büttenrede hat nichts von ihrem Schmackes verloren, denn jeder bekommt sein Fett weg. Satiren bildeten damals einen Teil der völkstümlichen Unterhaltung, bei der sich auch das gewöhnliche Publikum auf die Schenkel klopfte (siehe de Costers Thyl Ulenspiegel oder Sebastian Brants Narrenschiff). Hier beginnt eine Tradition, die bis zum Kabarett und den Blogs reicht.

Viel Spaß beim Lesen!

Geändert von Servalan (07.02.2017 um 18:53 Uhr)
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