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Alt 10.03.2023, 22:05   #5  
God_W.
Captain Rezi
 
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Conan der Cimmerier: Ymirs Tochter



Zusammen mit Conan ziehe ich in den hohen Norden, nach Nordheim, wo auf einem lange zugefrorenen See ein wahrhaft blutiges Schlachtfeld auf uns wartet. Doch der härteste Kampf in der lebensfeindlichen Eiswüste wird nicht mit Schwert oder Axt ausgetragen, und auch nicht gegen waffenschwingende Hünen oder zähnefletschende Monstren ausgefochten. Nein, es ist eine zarte Gestalt mit wallender, roter Mähne und sinnlichen Kurven, die den stärksten aller Krieger in sein Verderben zu locken droht.

Führer auf dieser Reise in den nördlichsten Teil der Bekannten Welt im Hyborischen Zeitalter ist Robin Recht. Der Mann, der bereits Victor Hugos Klassiker Der Glöckner von Notre Dame in einer Art und Weise adaptierte, die mir persönlich außerordentlich zugesagt hat, ist hier nicht nur als Autor und Szenarist tätig, nein, er griff auch selbst zum Zeichenstift um seine gänzlich ihm eigene Version der schon mehrfach als Comic adaptierten Geschichte auf die Seiten zu bannen.

Was Monsieur Recht hier geschaffen hat ist mit meinen Augen nicht weniger als ein Meisterstück. Mit starkem Strich, kräftigen Kontrasten und in faszinierenden Bildern erzählt er eine Conan-Geschichte wie sie sich Robert E. Howard vielleicht gewünscht hätte, wären die Restriktionen durch Verleger und Zensur damals nicht so streng gewesen. Vielleicht wäre er mit Robin Rechts eigenwilliger Auslegung der Story auch ganz und gar nicht einverstanden, aber wer weiß das schon? Ich persönlich bin restlos begeistert. Der Autor und Zeichner in Personalunion ist tief in Howards Erzählung eingetaucht, hat ihre Seele erfasst und das ganze dann nochmal deutlich weitergetrieben. Zügel- und hemmungslos wird archaische Kraft und Leidenschaft entfesselt, die Urinstinkte werden geweckt und das Blut in Wallung gebracht. Ein wilder, atemloser Ritt durch Conans Natur, der es nicht zulässt das Buch vor dem Finale aus der Hand zu legen.

Ja, „Imyrs Tochter“, „Die Tochter des Frostriesen“ oder auch „Die Götter des Nordens“ ist eine wahrlich faszinierende und auch spezielle Geschichte aus Conans Welt. Rein von der Chronologie gesehen müsste sie die am frühesten spielende Conan-Erzählung von Robert E. Howard sein. Veröffentlicht wurde sie zu seinen Lebzeiten allerdings nicht. Zu viel nackte Haut, zu anrüchig und – vor allem – mit der zumindest unterschwellig stets drohenden Gefahr einer Vergewaltigung einfach viel zu brutal und obszön. Dennoch strotzt die Story vor erzählerischer Kraft und faszinierenden Bildern, weshalb es kein Wunder ist, dass auch Marvel sich bei ihren klassischen Conan-Comics aus der 70ern ausgerechnet „Die Tochter des Frostriesen“ als eine der ersten Adaptionen einer Original-Erzählung von Robert E. Howard ausgesucht haben – und das in Zeiten des Comic Codes! Aber das ist eine andere Geschichte – und soll in Kürze erzählt werden.

Was bleibt zu sagen? Zugegeben, Robin Rechts „Ymirs Tochter“ ist rein nüchtern betrachtet nicht so dicht an Howards Originalstory, wie es die bisherigen Autoren des „europäischen Conan“ handhabten. Für mich hat er jedoch die Seele der Geschichte freigelegt, von Schnee, Schlacke und weichen Moosüberwucherungen befreit und in wunderschöner, ungeschliffener, kantiger und roher Pracht präsentiert. Dass er sich dafür ganze 70 Seiten Zeit genommen hat, wo doch die ursprüngliche Geschichte mit gerade mal 12 Seiten Text auskommt zeigt, welche kreative Kraft die Tochter des Eisriesen in ihm geweckt hat. Diese dann auch noch in perfekter Splitter-Aufmachung in Händen halten zu dürfen ist einfach herausragend.

9,5-10/10

VG, God_W.
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