Thema: Filmklassiker
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Alt 05.04.2024, 06:20   #2007  
Peter L. Opmann
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Der nächste Film hat bei mir eine Reihe von Assoziationen ausgelöst: „Die phantastische Reise“ (1966) von Richard Fleischer. Gezeigt wird die Fahrt eines miniaturisierten U-Boots durch den Blutkreislauf eines Menschen. Konsolen, Schalter und blinkende Lampen in diesem Quasi-Raumschiff erinnern natürlich an „Raumschiff Enterprise“ (TOS). Die Rahmengeschichte – der Held muß sich in eine feindliche Umgebung begeben und in einer festen Frist eine Aufgabe erfüllen – könnte als Vorbild für John Carpenters „Klapperschlange“ gedient haben. Fahrten durch den menschlichen Körper hat es nach diesem Film in Film und anderen Medien etliche gegeben. Mir fällt besonders eine ein, die in der englischen wikipedia nicht erwähnt wird, aber sehr deutlich Anleihen bei der Vorlage nimmt: die im „Kree-Skrull-Krieg“ der „Avengers“. Daß ein sehr gutaussehender Geheimagent (Stephen Boyd) mitfährt, der allein dazu da ist, eine Verschwörung abzuwehren, verweist im Übrigen sehr deutlich auf „James Bond“.

A propos „gutaussehend“: Für sein Entstehungsjahr ist „Die phantastische Reise“ überraschend frauenfeindlich. Einer der beteiligten Wissenschaftler will seine Assistentin (Raquel Welch) mitnehmen, was bei seinen Kollegen helle Empörung auslöst: Sie ist allein deshalb völlig unqualifiziert, weil sie eine Frau ist (!). Welche Funktion sie hat (außer für ihren Chef Kaffee kochen), bleibt etwas unklar. Ich habe den Verdacht, daß sie hauptsächlich aus optischen Gründen dabei ist. Und wer hätte das gedacht: Sofort fängt Boyd einen heftigen Flirt mit ihr an. Aber noch eine weitere Assoziation möchte ich erwähnen: Ich habe gelegentlich mit einem Mediziner zu tun, der in der "interventionellen Neuroradiologie“ tätig ist und also genau das tut, was 1966 prinzipiell noch unmöglich war: Blutstauungen im Gehirn von innen her beseitigen.

Seit 1895 die Röntgenstrahlen entdeckt worden sind, weiß die Medizin über die innere Struktur des Organismus immer besser Bescheid. Seit wann es mit Kameras ausgerüstete Endoskope gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich bin kein Mediziner, gehe aber davon aus, daß dieser Film nicht sehr realistische Ansichten des Körperinneren liefert. Egal – man kann ja auch kein Fahrzeug so verkleinern, daß es durch ein Blutgefäß paßt. Was wir sehen, ist Fantasy; man muß eben daran glauben, und der Film schafft es, die Illusion zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.

Zur Zeit des Kalten Kriegs wird ein Anschlag auf einen übergelaufenen tschechischen Wissenschaftler verübt. Er überlebt, aber bei ihm bildet sich ein nicht operabler Thrombus (Blutpfropf) im Gehirn. Er ist an der bahnbrechenden Entdeckung der Verkleinerung von Dingen auf mikroskopische Größe beteiligt und daher für den Westen von unschätzbarem Wert. Prinzipiell funktioniert die Methode schon: Das U-Boot mit seiner fünfköpfigen Besatzung (ein Kapitän, zwei Wissenschaftler, die Assistentin und der Agent) wird in seinen Blutkreislauf injiziert und soll über die Halsschlagader ins Gehirn vorstoßen, um den Pfropf aufzulösen. (Heute gibt es dafür auch Medikamente.) Das Team verirrt sich zunächst über eine Fistel ins venöse System, das vom Gehirn wegführt, und muß daher den Umweg über das Herz nehmen, um wieder auf Kurs zu kommen. Dann fehlt Sauerstoff, den es sich einfach aus der Lunge des Patienten besorgt. Schließlich wird das U-Boot von Antikörpern angegriffen, die den Antrieb verstopfen.

Als dieses Problem gelöst ist und der Thrombus per Laserstrahl zerstört wird, läßt der Feind (Donald Pleasance) die Maske fallen und versucht, mit dem Schiff allein zu fliehen. Er verursacht jedoch eine Havarie und wird von eindringenden Antikörpern gefressen. Boyd, der ihn noch retten wollte, muß sich zurückziehen. Wie aber ohne U-Boot den Körper wieder verlassen? Die vier verbliebenen Besatzungsmitglieder schwimmen ins Auge des Patienten und gelangen mit Tränenflüssigkeit ins Freie (wie sie sich aus dem Gefäßsystem befreit haben, bleibt offen). Der Tscheche ist jedenfalls gerettet. Das Ganze ist durchaus spannend gemacht. Mir ist besonders die Farbdramaturgie aufgefallen: Die Militärbasis, wohin das Anschlagsopfer gebracht wird, ist ziemlich grau. Sobald wir uns im Körper befinden, wird alles leuchtend bunt, wie das von den 1960er Jahren zu erwarten ist.

Richard Fleischer, ein Sohn des Zeichentrickpioniers Max Fleischer, hat „20 000 Meilen unter dem Meer“ inszeniert (allerdings ein Disney-Werk) und sich wohl deshalb für den Job angeboten. Der Plot des Films wurde von Jay Lewis (Jerome) Bixby mitentwickelt, einem Autor der „Star Trek“-TV-Serie. Das Publikum des Jahres 1966 muß sehr beeindruckt gewesen sein. Jedenfalls gewann der 20th-Century-Fox-Film zwei technische Oscars (für Spezialeffekte und das Szenenbild). Weil er sehr teuer war, machte er allerdings erst Gewinn, als er nach der Kinoauswertung ans Fernsehen verkauft wurde.
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