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Alt 25.05.2017, 22:56   #3710  
Peter L. Opmann
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Spaß macht es, das stimmt. Aber ich merke, daß ich inzwischen 40 Jahre älter und nicht mehr so leicht zu beeindrucken bin. Unstimmigkeiten in der Story nehme ich Lee und Kirby nicht mehr so ohne weiteres ab.

Zur aktuellen Ausgabe:

Vorausschicken möchte ich, daß ich die nun folgenden fünf Ausgaben erst seit relativ kurzer Zeit kenne. Ich habe sie vor etwa zehn bis 15 Jahren nachgekauft und die Lücken endlich geschlossen. Kann sein, daß ich sie daher etwas negativer beurteile, als ich das sonst tun würde.

Hier erprobt Stan Lee das Modell eines Zweiteilers, dessen Teile nur locker zusammenhängen. Die Begegnung mit dem Wächter kann innerhalb der Story kurz nacherzählt werden. Die Überlegene Intelligenz der Kree, ein tentakelhaftes grünes Wesen, besucht die FV in ihren Träumen. Nach dem Aufstehen merken sie nach und nach, daß sie alle denselben Traum hatten. Nach ein paar Szenen aus dem Superhelden-Alltag schickt der grüne Klops auch schon Ronan den Ankläger los, um das Quartett dafür zu bestrafen, wie es mit dem Wächter umgesprungen ist.

Ronan ist eine eigenwillige Figur. Er ist nämlich nicht nur Ankläger, sondern in Personalunion auch Richter und Vollstrecker. Kaum sind die FV angeklagt, ist das Urteil auch schon gefunden, und Ronan schickt sich auch gleich an, sie auszulöschen. Kann man in einer Fantasy-Story natürlich so machen, aber es stellt sich die Frage: Warum tritt er überhaupt als Ankläger auf, wenn er ebensogut auch der Bestrafer heißen könnte (der dann etwas später bei Spider-Man auftritt). So verwirrt man nur das jugendliche Publikum: Ach so, so funktioniert also Justiz?!

Vielleicht hat es Ronan auch deshalb so eilig, weil Lee und Kirby einige Seiten dem FV-Familienleben widmen: Ding und Fackel baden. Nachdem Sue wieder mal auf ihr Recht auf ein Privatleben gepocht hat, geht sie mit Crystal einkaufen und später mit Reed essen, während Crystal mit Johnny eine Spritzfahrt unternimmt. Ding bekommt derweil ein Päckchen zugestellt. Nach längerer Zeit werden die Teammitglieder mal wieder als Berühmtheiten inszeniert, was abrupt damit endet, daß sie sich alle in Luft auflösen.

Die FV finden sich zusammen mit Ronan in einem „Konus der Undurchdringlichkeit“ wieder (klingt nicht sonderlich wissenschaftlich, aber man weiß, was Lee meint), wo der Kree-Jurist einen Prozeß durchzieht, der jedem Standgericht die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Die FV sind mit ihrem Urteil verständlicherweise nicht einverstanden und widersetzen sich ihrer Exekution. Ronan verfügt über eine „Universal-Waffe“, die am oberen Ende ein wenig Thors Hammer ähnelt; sie hat aber auch etwas von einem Zepter. Im Gerangel schafft es Ding schließlich, daß Ronan auf seine Universal-Waffe stürzt und sich sozusagen selbst exterminiert. Mit einem großen Knall verschwindet er, was nebenbei den Vorteil hat, daß sein Tod (?) nicht zu grausam wirkt.

Das hier noch einmal groß angekündigte Geheimnis von Alicia klingt auf einer knappen Comicseite an. Dings blinde Freundin wird von einem geheimnisvollen Wesen besucht, während sie auf ihren Freund wartet. Sie erschrickt, der Mann, von dem man praktisch nur seine rechte Hand und ein seltsames Armband sieht, beruhigt sie jedoch – und geht dann mit ihr durch die Wand.

Diese Story bleibt nach meinem Eindruck wieder mal unter ihren Möglichkeiten. Wir haben ja gerade hinten im Heft die Eule-Story von „Daredevil“ gelesen. Auch da findet ein Willkür-Prozeß statt. Die Eule machte sich jedoch ein Vergnügen daraus, das Gerichtsverfahren möglichst „echt“ ablaufen zu lassen, obwohl das Urteil natürlich ebenfalls von Anfang an feststeht. Es gibt Finten und Volten und mehrere überraschende Wendungen. All das fehlt beim Ankläger Ronan. Lee und Kirby setzen – nicht zu Unrecht – lieber auf die Action nach dem Urteil. Ich denke mir jedoch: Mit mehr Platz hätte man aus der Ronan-Episode viel mehr machen können.

Die Grafik finde ich diesmal zwiespältig. Erstmals seit längerer Zeit erleben wir, wie schon erwähnt, die FV in verschiedenen Alltagssituationen, und das macht Jack Kirby sehr gut. Er zeichnet zum Beispiel das Wohnzimmer im Baxter Building oder den Gourmet-Tempel, den Reed und Sue aufsuchen. Wenn man sich das etwas näher anschauen würde, würde man vielleicht typisches 60er-jahre-Design erkennen. Bei der Darstellung des Kampfs mit Ronan überzeugt er mich allerdings gar nicht. Ding wirkt teilweise wenig dynamisch, sogar krakelig. Sein Ringkampf mit Ronan sieht geradezu peinlich aus. Nicht alles ist schlecht, aber möglicherweise war Kirby, als er an diesen Seiten saß, unter großem Zeitdruck. Da kann dann auch Joe Sinnott nichts herausreißen. Und auch auf dem Cover sieht die Konfrontation der FV mit Ronan nicht viel besser aus.
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