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Alt 27.04.2024, 11:48   #249  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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  • Robert Habeck und Andrea Paluch: Hauke Haiens Tod. Historischer Roman (S. Fischer Verlag 2001, Kiepenheuer & Witsch 2023)
  • Die Flut – Tod am Deich (Deutschland 2023, Nordfilm), Drehbuch: Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb, Regie: Andreas Prochaska, 103 min
Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter (1888) gehört zurecht zu den Klassikern deutschsprachiger Literatur und ist an der Küste häufig Teil des Curriculums, entweder als verbindliche Lektüre im Deutschunterricht, als Referatsthema oder als Ausschnitt im Lesebuch. Mit dem verhaßten Deichgrafen Hauke Haien, der auf seinem Schimmel über den Deich reitet, hat Storm ein zeitloses Meme geschaffen, der die Furcht vor der Gewalt des Blanken Hans in einem treffenden Bild eingefangen hat.
Für ihr literarisches Debüt haben sich die beiden Jungautoren Robert Habeck und Andrea Paluch eine modernisierte Fassung einfallen lassen, die in der Gegenwart spielt und die nächste Mandränke durch den Klimawandel droht. Der neue Hauke Haien ist einer großen Sturmflut ums Leben gekommen, aber seine Tochter Wienke hat die Katastrophe überlebt und wuchs in einem Hamburger Kinderheim als Elisabeth Schmidt auf. Wienke bricht mit Hilfe eines Türstehers in ihre Heimat auf, um mehr über den Tod ihrer Eltern herauszufinden und fordert den Bauernhof der Haiens als ihr Erbe zurück.
Mit ihrer Aktualisierung konnten die Debütanten immerhin im renommierten Literaturverlag S. Fischer unterkommen.

Nach meinen Recherchen wurde der Stoff ziemlich schnell für eine Verfilmung gehandelt, denn Wikipedia verzeichnet im Artikel zu Andrea Paluch für 2002 ein Drehbuch unter dem Titel Die Schattenreiterin. Dann verschwindet der Stoff für Jahrzehnte in der Entwicklungshölle, bevor er im letzten Jahr auf dem Filmfest Hamburg urplötzlich seine Premiere feiert. Robert Habeck galt lange als Star seiner Partei, war unterdessen Minister im Land Schleswig-Holstein und ist jetzt Minister in der Bundesregierung sowie Vizekanzler. Das kann natürlich alles ein Zufall sein oder auch nicht.
Auf jeden Fall steht der Film jetzt in der ARD Mediathek, und ich habe ihn mir angetan. Was die Resonanz betrifft, so habe ich den Eindruck, dass sich niemand getraut hat, ihn zu verreißen. Das Roadmovie mit Windrädern, die Familienaufstellung hinterm Deich wirkt unausgegoren, unfertig, lieblos, hölzern und ist einfach nur peinlich. Das Machwerk mit Detlev Buck als Robert Habeck ... ähem, ich meine Hauke Haien, taugt nicht einmal als Schlefaz, weil es handwerklich mies gemacht ist und grauenhaft dilettantisch wirkt.
Indirekt liefert mir die Verfilmung eine Erklärung dafür, warum Habeck nichts mit den Bauern anfangen kann und die Bauern nichts mit ihm. Ich nehme an, der Murks versendet sich, und irgendwann wird er gnädigerweise vergessen.

Meine Empfehlung: Lest statt des Romans lieber Storms Original, und statt der vergurkten Verfilmung seht euch lieber eine Schimmelreiter-Verfilmung an

Geändert von Servalan (27.04.2024 um 13:16 Uhr)
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