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Alt 21.02.2016, 16:32   #57  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Die Fassung(en) bewahren

Was letzten Endes auf Papier oder online veröffentlicht wird, das ist lediglich die Spitze eines immensen Datenberges. Etwas zu wissen, reicht in den seltensten Fällen aus; in der Regel muß sich jeder in eine Materie einarbeiten, der kompetent darüber sprechen oder schreiben will. Wer vor Publikum tritt, muß mit seiner Materie vertraut sein, wenn die erste Frage nicht zum peinlichen Desaster werden soll.
Und Materie bedeutet in diesem Sinne zweierlei: Erstens die Sache, über die referiert oder in eine Geschichte verwandelt wird; zweitens das Konzept des Referats oder der Erzählung. Wer erzählt, muß die Figuren besser kennen als diese sich selbst.
Im grunde greift hier derselbe Effekt wie bei Referaten in der Schule, an der Uni oder bei Präsentationen. Durch die Vernetzung ist in den letzten Jahrzehnten ein gewaltiger Echoraum entstanden. Falls sich irgendwo Fehler eingeschlichen haben oder schlampig gearbeitet wurde, werden sich Experten (welcher Art auch immer) melden, und den Schnitzer ankreiden.

Sorgt in eurer Wohnung deshalb im voraus für ausreichend Platz, denn das Papier stapelt sich rasch. Am besten sind ein eigenes Büro und mehrere Handbreit Regale (oder Archivkartons) für Manuskripte, Ordner und Belegexemplare.
Ohne hilfreichen Agenten liegt das allein in eurer Verantwortung.

Dabei ergibt sich die Frage: Was muß ich aufheben? Was kann ins Altpapier?
Die klassische Antwort lautet: So einfach wie möglich, so kompliziert wie nötig.

Natürlich kann jede und jeder das handhaben, wie sie und er lustig sind. Charaktere und Temperamente sind verschieden: Vermutlich baut sich das kleine Büro nach und nach wie von selbst auf.
Sinn und Zweck der Übung ist es, den Überblick zu behalten. Deshalb sollte das Procedere leicht von der Hand gehen, bis es zu einer gewöhnlichen Routine geworden ist.

Achtung: Manuskripte haben einen unterschiedlichen juristischen Status, der darüber entscheidet, wer was damit machen darf oder unterlassen muß.

Solange ihr an euren eigenen Manuskripten schreibt, seid ihr frei und unabhängig. Wenn ihr wollt, könnt ihr alles außer dem Manuskript in der Fassung letzter Hand vernichten. Beschwert euch aber nicht, falls ihr das nachher bereut.
Bei mir findet der erste Korrektur- und Lektionsvorgang schon statt, während das Rohmanuskript über Monate langsam wächst und reift. Manche ziehen es vor, den Urtext des Rohmanuskript eigenhändig zu Papier zu bringen.
Wohl oder übel wird ein Ansatz mal in eine Sackgasse führen, die jedoch nicht voreilig gelöscht werden sollen. Sammelt eure Varianten in einem separaten Ordner, denn die können sich später als nützlich erweisen.
Durch das digitale Arbeiten lassen sich heute Kopien per Knopfdruck erstellen. Nutzt diese Chance: Speichert das Manuskript in verschiedenen Arbeitsstufen mit eigenem Namen ab (den Arbeitstitel könnt ihr beibehalten, versetzt ihn mit Zusätzen wie zum Beispiel Datum oder nummerierte Fassung).

Auf diese Weise ergeben sich mindestens drei Ordner:
  • 1. der Urtext - das rohe Manuskript im ersten Durchlauf;
  • 2. ein Magazin mit Varianten - falsche Ansätze, gestrichener Text, Backstories, Entwürfe und was es sonst noch gibt;
  • 3. das Manuskript der Schlußredaktion - das, und nur das geht an Verlage Agenten und Lektoren.
Wer etwas aus fremder Feder auf den Markt bringen will, behält sich das Recht vor, das Manuskript weiter lektorieren und korrigieren zu lassen. Bevor das Buch erscheint, verändert sich das Manuskript ein letztes Mal.
Vorsicht: An dieser Buchfassung besitzt auch der Verlag Rechte, deshalb müßt ihr dessen Zustimmung einholen, wenn ihr diese Fassung (Schriftart, Seitenspiegel, Layout und ähnliches) beispielweise für ein eBooK im Selbstverlag nutzen wollt. Das kann unter Umständen Geld kosten.

Wenn ihr euer eigenes, möglicherweise vergriffenes Werk in eigener Regie wieder auf den Markt bringen wollt, greift lieber auf das archivierte Material in den drei Ordnern zurück und erstellt euren Director's Cut.
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