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Alt 12.11.2014, 15:24   #130  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Damit hätte ich nicht gerechnet. Margaret Atwood wird seit Jahren als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis gehandelt. In ihrem Artikel Meine Abenteuer im Unfugland. Margaret Atwood über Superhelden, Außerirdische und ferne Welten berichtet sie davon, wie sie vor allem mit Superheldencomics aufgewachsen ist. Irgendwann hat sie ihre eigenen Superhelden erfunden: fliegende Kaninchen, die gern Eis schlecken. (Der Artikel erschien in Das Science Fiction Jahr 2012).
Zitat:
Vor Kurzem habe ich meine frühen nicht-naturalistischen Tendenzen in Gestalt meiner Jugendwerke gesichtet, soweit davon noch etwas überdauert hat. Wenn ich »Jugendwerke« sage, meine ich damit nicht die frühreifen Gedichte eines William Blake oder John Keats, sondern das, was ich Mitte der Vierzigerjahre mit sechs oder sieben hervorgebracht habe. Meist drehte es sich um meine Superhelden: fliegende Kaninchen. Sie hießen Blue Bunny und White Bunny und waren zwei realen Stofftieren mit einfallslosen Namen nachempfunden, die tatsächlich durch die Luft flogen, und zwar dank der jahrhundertealten Technologie des »Werfens«. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich diese beiden schwächlichen Helden in zwei kriegerischere Geschöpfe namens Steel Bunny und Dotty Bunny verwandelten, die dank ihrer Capes eher wie Superhelden flogen. Auf das Cape von Steel waren Gitterstäbe gemalt, auf Dottys Punkte. So weit, so offensichtlich.
Meine Superheldenkaninchen waren blasse Kopien der weit üppiger ausgestatteten Kreationen meines älteren Bruders. Fliegende Kaninchen waren seine Erfindung, allerdings flogen sie bei ihm durch den Weltraum, waren mit fortschrittlichster Technologie ausgerüstet – Raumschiffe, Flugzeuge, Waffen, alles Mögliche – und kämpften nicht nur gegen ihre Erbfeinde, die bösen Füchse, sondern auch gegen Roboter, menschenfressende Pflanzen und todbringende Tiere. Der Planet, auf dem die Kaninchen meines Bruders lebten, hieß »Bunnyland« – Karnickelland; meine bewohnten einen geheimnisvolleren Ort namens »Mischiefland« – Unfugland. Wie war ich nur darauf verfallen?
Im Unfugland herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Kaninchen schwebten mithilfe von Ballons durch die Luft – da es diese im Zweiten Weltkrieg nicht gab, faszinierten sie mich sehr. Außerdem hatte ich inzwischen »Der Zauberer von Oz« gelesen, in dem der Zauberer in einem Korb davonfliegt, der an einem riesigen Heißluftballon hängt. Nicht nur meine Kaninchen, sondern auch die Katzen, die sie als Haustiere hielten, wurden auf diese Weise transportiert. (Ich durfte keine Katze haben, obwohl ich mir sehnlichst eine wünschte, also hatten meine Kaninchen eine ganze Menge davon.) Die Kaninchen aßen die ganze Zeit nur Eiskrem, ein seltenes Vergnügen während des Krieges und der mageren Jahre danach. Und sie vollführten Kunststücke: Vor allem wirbelten sie mithilfe ihrer Flugcapes andauernd durch die Luft. Anderseits interessierten sie sich kaum dafür, mit Pistolen herumzuballern, Verbrecher zu verfolgen, die Welt zu retten und dergleichen, obwohl sie hin und wieder durchaus mit Schusswaffen herumfuchtelten und dabei finster grinsten. Allem Anschein nach wollten sie jedoch vor allem Spaß haben und andere Leute zum Narren halten.
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