Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 10.04.2024, 06:07   #2033  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.572
Ein Film, der in der Manier moderner Gruselgeschichten alles in der Schwebe hält: „Wenn der Klempner kommt“ (1979) von Peter Weir. Ich wollte schon schreiben: Frühwerk oder erste Regiearbeit, aber tatsächlich hatte Weir da schon ein paar Filme hinter sich. Er drehte ihn jedoch in Australien, noch bevor er nach Hollywood ging. Der Film ist schwer zu klassifizieren. Er hat etwas von einem Horrorfilm, auch von einem Psychothriller, aber es gibt keine eindeutigen Genre-Elemente. Eigentlich ist es eine Alltagsgeschichte, die den Betrachter aber ziemlich irritiert. Weir verfolgt hier das Hauptthema vieler seiner Filme, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Ich mochte den Film, der hierzulande nur im Fernsehen zu sehen war, von Anfang an.

Judy Morris ist eine introvertierte, sensible Anthropologiestudentin. Sie arbeitet den ganzen Tag über zuhause im australischen Adelaide an ihrer Magisterarbeit über Eingeborenenriten. Ihr Mann Robert Coleby ist an der Uni als Medizindozent tätig. Eines Tages steht unangemeldet Ivar Kants vor der Tür und behauptet, er sei der Klempner und müsse im Bad Wasserrohre austauschen. Es werde nur eine halbe Stunde dauern. Morris läßt ihn herein und versucht, sich wieder in ihre Studien zu vertiefen. Allerdings hat sie das Empfinden, daß er keinswegs im Bad arbeitet, sondern selbst eine Dusche nimmt. Mit nassen Haaren taucht er auf, erklärt, es seien mehr Rohre defekt als erwartet, und er werde am nächsten Tag wiederkommen. Aber auch da wird er nicht fertig, und das Bad verwandelt sich zunehmend in eine große Baustelle. Morris fühlt sich gestört, bleibt aber höflich.

Kants ist ein völlig anderer Typ als sie. Er ist ungebildet, impulsiv, hört beim Werkeln gern laute Rockmusik mit einem mitgebrachten Radiorekorder und unterbricht seine Arbeit immer wieder, um sich mit Morris zu unterhalten, während sie möglichst Distanz zu ihm wahren möchte. Unter anderem erzählt er ihr, er sei wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen – nimmt das aber sofort wieder als „Scherz“ zurück. In eher aggressivem Ton wirft er ihr vor, ihn als einfachen Handwerker zu diskriminieren. Sie ist allmählich soweit, daß sie fürchtet, er komme hauptsächlich, um sie zu belästigen. Zuerst ruft sie ihren Mann an. Der hört ihr jedoch kaum zu; ihm winkt ein Forschungsauftrag der WHO in Genf, und er hat gerade für Probleme mit dem Klempner keinen Sinn. Er empfiehlt ihr, sich mit ihrer Freundin und Nachbarin Candy Raymond zusammenzutun. Die findet den Klempner jedoch nicht nur ganz harmlos, sondern auch noch attraktiv und witzig.

Morris beschließt, den Klempner einfach nicht mehr hereinzulassen, und tut so, als würde sie sein Klingeln nicht hören. Er steigt darauf durch ein Loch in der Mauer, das er selbst geschlagen hat, ins Bad ein. Schließlich ist er mit der Arbeit fertig. Kurz darauf werden jedoch mehrere Wasserleitungen im Bad undicht, und so kommt er zurück und erklärt, diesmal könne die Reparatur länger dauern… Sie packt darauf eine wertvolle Uhr in ihre Handtasche und verläßt die Wohnung. Auf dem Parkplatz wirft sie einen Blick in sein Handwerkerauto. Als er am nächsten Tag eintrifft, wartet die Polizei auf ihn. Für die Beamten ist er offenbar kein Unbekannter. Ein Polizist durchsucht das Auto und findet die Uhr. Darauf wird er verhaftet. Er bekommt einen Wutanfall: Da habe ihn jemand reingelegt! Oben auf dem Balkon steht Morris und sieht dem Geschehen unbewegt zu.

Weir inszeniert das alles so, daß nie klar wird, ob es Kants wirklich darum geht, sich der Frau ungebührlich zu nähern oder ob sie sich in eine Paranoia hineinsteigert. Es kann für den Zuschauer unbefriedigend sein, daß die Geschichte nicht zu einem eindeutigen Ende geführt wird. Ich finde es aber faszinierend, daß man den Film wie ein Vexierbild betrachten kann (ich könnte mir vorstellen, Frauen werden eher die Perspektive von Judy Morris übernehmen, Männer dagegen Ivar Kants für unschuldig halten). Am Ende bleibt eine Beunruhigung – vielleicht mehr als bei einem richtigen Horrorfilm.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten