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Alt 23.10.2023, 17:00   #152  
Servalan
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Standard Wenn ein Manuskript beim Verlag auf Distanz trifft

Sonja Silberhorn hat als Autorin bis jetzt eine bescheidene Karriere hingelegt. Mittlerweile hat sie das Manuskript für ihr elftes Buch geschrieben, den vierten Band ihrer aktuell laufenden Krimireihe bei einem mittelgroßen, namhaften Kölner Verlag. Von der Prominenz eines Uwe Tellkamp, mit dem ich mich weiter oben beschäftigt habe, ist sie meilenweit entfernt, zumal ihr Wikipedia-Eintrag nüchtern und lakonisch bleibt. Deshalb gehe ich davon aus, dass das Feuilleton ihre Sorge gar nicht zur Kenntnis nimmt und totschweigt; denn sie ist nur eine Namenlose aus der Masse des Buchmarkts.

Worum geht es denn konkret?
In ihrem Manuskript zeigt die Sympathien für eine Personengruppe, die einen schlechten Ruf hat: die Kritiker der Corona-Maßnahmen, und diese Sympathie bildet die Grundlage ihres Stoffes. Es geht also um kein Detail, das im Lektorat geglättet und leichter bekömmlich formuliert werden könnte, sondern um die Basics ihres Manuskripts.

Am 20. Oktober hat sie deshalb auf den Nachdenkseiten für sich den Tod ihrer Autorenlaufbahn konstatiert. Wobei angemerkt werden muß, dass sie die Entscheidung ihres Verlages nachvollziehen kann; denn der hätte sich mit dem veröffentlichten Manuskript ebenfalls ins Kreuzfeuer der Kritik begeben. Wie milde Silberhorn über den Emons Verlag (denn um den handelt es sich) urteilt, läßt sich an Zitaten belegen:
Zitat:
Der Roman wird nicht erscheinen, zumindest nicht bei diesem Verlag, der ihn wegen seines offensichtlich brisanten Inhalts nach Manuskriptabgabe abgelehnt hat. (...)
Aus Sicht des Verlags ist diese Entscheidung völlig nachvollziehbar, und ich honoriere die bisher hervorragende Zusammenarbeit ebenso wie den wertschätzenden Umgang, der selbst in dieser stattgefundenen Absage nicht an Qualität verloren hat. Auch das klassische Canceln praktiziert der Verlag nicht, im Gegenteil wurde mehrfach betont, dass man mich als Autorin nicht verlieren wolle und auf weitere künftige Zusammenarbeit hoffe, immerhin. Dass das keine Rolle mehr spielt, kann man in Köln freilich nicht erahnen. (...)
Die mutmaßliche Angst vor eventuellen negativen Folgen für den Verlag stand bei der kommunizierten Ablehnung des Manuskripts nicht im Fokus, stattdessen stehe man in Köln nicht zur Gänze hinter dem, was im Buch vermittelt wird. Fast will ich es um ein „hoffentlich“ ergänzen. (...)
Hinter dem dritten Argument des Verlags steckt eine absolut wohlwollende Absicht: Ich würde mir mit der Veröffentlichung dieses Manuskripts keinen Gefallen tun, man wolle mich davor bewahren. Im Hinblick auf eine zukünftige schriftstellerische Laufbahn ist diese Warnung selbstverständlich berechtigt, und doch spielt sie keinerlei Rolle. (...)
Es ist also an der Zeit, den Traum vom Schreiben, den ich fünfzehn Jahre enthusiastisch verfolgt habe, aufzugeben. Zu meinem eigenen Erstaunen erfüllt mich diese Entscheidung jedoch weder mit Sentimentalität noch mit Traurigkeit.
Autoren sind auf Verlage angewiesen, aber Verlage haben die Freiheit, jedes angebotene Manuskript abzulehnen. Verlage sind zwar auf Autoren an sich angewiesen, jedoch nicht auf einen Einzelnen; diese Asymmetrie ist Teil des Spiels, Teil der gesellschaftlichen und kommerziellen Verhältnisse. Insofern sind Autoren per se auf das Wohlwollen der Verlage angewiesen.
Fair ist das Spiel nicht, es ist ziemlich manipulativ.

Geändert von Servalan (23.10.2023 um 17:10 Uhr)
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