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Alt 19.10.2017, 16:41   #52  
Servalan
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Ich und Kaminski (Deutschland 2015, ED Productions Sprl, Potemkino, Velvet Films und X Filme Creative Pool), Drehbuch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker und Achim von Borries nach dem gleichnamigen Roman (Suhrkamp 2003) von Daniel Kehlmann, Regie: Wolfgang Becker, 124 min, FSK: 6

Danel Kehlmann weiß, wovon er schreibt, denn er stammt aus einer Künstlerfamilie: Seine Mutter Dagmar Mettler ist Schauspielerin, sein Vater Michael Kehlmann Regisseur und dessen Vater (also Kehlmanns Großvater väterlicherseits) war der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann (1882 - 1955).
Während Kehlmann seine überhebliche Hauptfigur gnadenlos scheitern läßt, gelang ihm mit diesem Roman, seinem fünften Werk und seinem dritten Roman, der Durchbruch. Mit seinem Nachfolger, Die Vermessung der Welt. Roman (Rowohlt Verlag 2005) über die deutschen Geistesgrößen Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) und Alexander von Humboldt (1769 – 1859), etablierte er sich als internationaler Bestsellerautor.

Der Regisseur und Co-Drehbuchautor Wolfgang Becker gehört zu den Köpfen der 1994 gegründeten Filmproduktionsgesellschaft X Filme Creative Pool. Becker selbst lockte das Publikum mit seinen Erfolgen Das Leben ist eine Baustelle (1997) nicht nur auf die Berlinale und mit Good Bye, Lenin! (2003) ins Kino. Das Unternehmen von den Regisseuren Tom Tykwer, Dani Levy und Wolfgang Becker sowie dem Produzenten Stefan Arndt wurde zum Synonym für ein junges, deutsches Kino mit spannenden Geschichten aus dem Alltag.
Eine internationale Resonanz gelang X Filme mit Tom Tykwers Lola rennt (1998), der die Kritik begeisterte und 22,9 Millionen Dollar weltweit einspielte. Angeregt vom Schmetterlingseffekt der Chaostheorie wird Lolas verzweifeltes Rennen gegen die Zeit fünfmal mit kleinen Variationen durchgespielt. Jeder neue Lauf beginnt mit einer Trickfilmsequenz (Studio Film Bilder von Thomas Meyer-Hermann und Gil Alkabetz), damals ein außergewöhnliches visuelles Konzept.

Becker nutzt diese Erfahrungen und setzt Animation ziemlich souverän ein, so daß der Realfilm teilweise bruchlos in Animationssequenzen übergeht. Ergänzt wird das Konzept durch einen ironischen Point-of-View: Wenn der eitle Sebastian Zöllner sich mal wieder aufregt und am liebsten jemanden umbringen möchte, dann sehen wir das - erst dann geht der Film mit den realen Gegebenheiten weiter.
Damit die Fiktion über (den ausgedachten) Maler Manuel Kaminski glaubwürdig wirkt, bringen (Kehlmann und) Becker zunächst anerkannte Größen der internationalen Kunstgeschichte ins Spiel: Pablo Picasso, Henri Matisse und Claes Oldenburg. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr steht Kaminski im Mittelpunkt, dessen fiktives Umfeld eine eigene Dynamik gewinnt.
Obwohl die Verfilmung kleine Längen hat (die Road-Movie-Sequenz), bietet er optisch Leckereien auf (die Angelsachsen nennen das eye-candy), die den Film zu einem Genuß machen.

Nach dieser Satire besteht der gesamte Kunstbetrieb aus zynischen Spitzen, Sottisen und Aperçus, die ein Eigenleben gewinnen. Denn jeder manipuliert jeden anderen und versucht, den größten Vorteil für sich selbst herauszuschlagen.
Bei Kaminskis erster großer Ausstellung im Big Apple mokiert sich Kollege Claes Oldenburg über den "Blind Painter", weshalb sich dieser spöttische Zusatz über Nacht zu Kaminski Markenzeichen entwickelt. Wenn der nun im Alter wirklich erblindet, ist das ein sarkastischer Witz der Kunstgeschichte.

Geändert von Servalan (10.12.2021 um 18:52 Uhr)
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