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Alt 28.06.2023, 16:45   #174  
Servalan
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Triumph des Willens (Deutschland 1935, Reichsparteitagsfilm), Drehbuch: Leni Riefenstahl und Walter Ruttmann, Regie: Leni Riefenstahl, 114 min, FSK: nicht geprüft, nicht indiziert und kein Vorbehaltsfilm

Mit dieser Wahl begebe ich mich auf heikles Terrain; persönlich distanziere ich mich von diesem Film, allerdings halte ich ihn kunstgeschichtlich und filmhistorisch für ein wichtiges Werk, das in diesem Rahmen präsentiert werden kann. Denn ich wollte einen Film von Leni Riefenstahl vorstellen, der einerseits für ihr Werk repräsentativ ist und zumindest dem Namen nach bekannt ist. Der halbdokumentarische Film zählt zu Riefenstahls Trilogie über die Reichsparteitage der NSDAP von 1933 und 1935 in Nürnberg und wurde international mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Goldmedaille der Pariser Weltausstellung 1937, außerdem ist er bis heute einflußreich.

Leni Riefenstahl ist eine kontroverse Persönlichkeit, die sicher als Pionierin des Kinos ihre unbestrittenen Verdienste hat, sich jedoch einer einfachen Sicht entzieht, weil sie sich zu Lebzeiten trotz ihrer Propagandafilme in erster Linie als unpolitische Ästhetizistin inszeniert hat, die vor allem schöne Bilder produzieren wollte. Mit ihrer Bildsprache hat sie Standards gesetzt, die bis heute ihre Gültigkeit haben, und dadurch hat sie unsere Sicht auf Sport und Politik maßgeblich geprägt.
Es gibt den dreistündigen Dokumentarfilm Die Macht der Bilder | The Wonderful Horrible Life of Leni Riefenstahl (1993) von Ray Müller, der die Porträtierte kommentarlos frei reden läßt, ohne das Gesagte für das Publikum gleich einzuordnen, womit er einen tiefen Einblick in ihre Gedankenwelt ermöglicht. Dabei muß das Publikum schon genau hinhören und darauf achten, wenn sich Riefenstahl selbst widerspricht oder urplötzlich jede Frage abblockt.
Im April 1945 wurde Riefenstahl verhaftet und ein Gefangenlager verbracht, wo sie über ihre Rolle im Dritten Reich mehrfach verhört wurde. Nachdem sie im Juni 1945 aus der Haft entlassen wurde, mußte sich 1948 in vier Spruchkammerverfahren rechtfertigen und wurde 1952 entnazifiziert.

Triumph des Willens ist ein reiner Propagandafilm, der ein politisches Spektakel für die Bevölkerung Nürnbergs und das Publikum inszeniert, in dem sich die Nationalsozialistische Partei mit Pomp und in aller Pracht so inszeniert, wie sie gesehen werden will. Die Texttafeln am Anfang beziehen sich auf das Datum 1914, den Beginn des (Ersten) Weltkriegs, und kündigen ein erstarktes Deutsches Reich an, das die Schmach des Versailler Vertrags überwunden hat und seinen Rang unter den Weltmächten einfordert.
Der Film beginnt über den Wolken, denn der Führer fliegt wie eine Heilsgestalt ein und wird auf den Straßen frenetisch von jung und alt gefeiert. Nürnberg gilt hier pars pro toto für das gesamte Reich: Schon im Mittelalter eine bedeutende Stadt unter den Fuggern bietet sie breite Straßen vor malerischer Kulisse für Paraden und Aufmärsche. Es dauert zwanzig Minuten, bis das erste Wort gesprochen ist. Vorher ist ein Jubel zu sehen, wie ihn Politiker im Wahlkampf oder Diktatoren verbreiten.
Adolf Hitler bestimmt mit seinen Reden das Bild, einige Funktionäre dürfen kurz ihre Parolen absondern. Ihm gegenüber befindet sich eine meist uniformierte Masse, in der das Individuum keine Rolle spielt. Fahnen, Fackeln und Standarten marschieren in geometrischen Mustern auf, während eine Einheit beschwören, die die einzelnen Regionen miteinander verbindet. Aus Menschen wird eine Maschine im Gleichschritt stampfender Stiefel, Flaggen werden zu einem oszillierenden Muster. Der Einzelne zählt nichts.
Wir kennen heute die Geschichte und wissen, welche Versprechen gebrochen wurden. Entsprechend seltsam wirken Szenen, in denen ein SA-Mann gefeiert wird, oder wenn der Führer an eine friedfertige Jugend appelliert und ihnen zugleich einbleut, sie sollten mutig und tapfer sein und sich auf Entbehrungen einstellen.
Ein fürchterliches Dokument einer grauenhaften Zeit, die ich zum Glück nicht erleben mußte.
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