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Alt 12.04.2023, 15:32   #163  
Servalan
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Zéro de conduite. Jeunes diables au collège | Le Chaland qui passe | Betragen ungenügend | Zero for Conduct (Frankreich 1933, Argui-Film), Drehbuch und Regie: Jean Vigo, 42 min

Der anarchistische Film erzählt von einem erfolgreichen Schüleraufstand. Nach dem Ende der großen Ferien müssen die Zöglinge wieder zurück ins strenge, freudlose Internat. Unter ihnen sind auch die drei Lausejungen Caussat, Colin und Bruel, denen wegen geringer Vergehen sofort wieder der Ausgang am Sonntag gestrichen wird. Der verwöhnte Pennäler René Tabard ist der Außenseiter unter den Schülern. Der junge Aufseher Huguet, der gern Chaplins Tramp nachmacht, tritt seine neue Stelle an und versteht sich eher als Kumpel der Schüler. Caussat, Colin und Bruel verschwören sich zur Rache an den Erwachsenen auf ein Komplott. Zuerst wird im Speisesaal gemurrt, weil es immer nur Bohnen gibt; im Schlafsaal wird eine große Kissenschlacht organisiert; und den Höhepunkt bildet der Festtag auf dem Schulhof, dem mit vom Dach geworfenen Gegenständen sabotiert wird.

Jean Vigo mit seinem poetischen Realismus habe ich schon mal in Post #76 erwähnt. Trotz seines schmalen Werkes, das aus zwei Dokumentarfilmen und zwei Spielfilmen besteht, deren gesamte Länge weniger als 200 Minuten beträgt, hat er Filmgeschichte geschrieben und beeinflußt bis heute wichtige Regisseure wie Steve McQueen.
Vigos Vater war als Anarchist auf der Flucht, und schon als Kind litt Vigo an Tuberkulose; er selbst muß geahnt haben, daß er nicht lange zu leben hatte, denn in seiner Kreativität war er kompromißlos. Vigo starb denn auch mit 29 Jahren an einer Sepsis.
Zéro de conduite ist Vigos Spielfilmdebüt, und sein Freund Albert Riéra riet ihm, Abstriche zu machen, weil der Film sonst nicht durch die Zensur komme. Vigo sagte, er habe keine Zeit und schlug seinen Rat in den Wind. Durch den Einsatz von Zeitlupe, komplexe Kamerabewegungen und einen kleinwüchsigen Schauspieler als Internatsdirektor verbindet er Realismus mit einer poetischen Traumatmosphäre.

Bei einer Probevorführung fiel der Film beim Publikum durch und wurde gekürzt. Weil in ihm Autoritäten und Institutionen schlecht wegkommen, galt der Film als antifranzösisch und erhielt keine offizielle Freigabe (visa d'exploitation), wofür der Familienverband Pères de famille organisés mitverantwortlich war. Die erheblich gekürzte Fassung kam unter dem Titel Le Chaland qui passe in die Kinos. Die Zensurbehörde untersagte Vorführungen und bis November 1945 blieb der Film in Frankreich verboten.
Nach der Befreiung wurde der Film wiederentdeckt und inspirierte unter anderem François Truffaut und Lindsay Anderson zu eigenen Werken über renitente Jugendliche. Seit 1951 gibt es den Prix Jean Vigo in Frankreich als Preis für junge Regisseure, die Gala findet seit 1960 im Centre Pompidou statt.
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