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Alt 03.04.2024, 14:23   #248  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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  • Christa Wolf: Der geteilte Himmel. Erzählung (Mitteldeutscher Verlag 1963, Suhrkamp 2008)
  • Der geteilte Himmel (Deutsche Demokratische Republik 1964, DEFA KAG „Heinrich Greif“), Drehbuch: Christa Wolf, Gerhard Wolf, Konrad Wolf, Willi Brückner und Kurt Barthel, Regie: Konrad Wolf, 114 min, FSK: 16
Christa Wolf zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern deutscher Sprache, was sich auch daran ablesen läßt, dass sie während des Kalten Krieges selbst in der Bundesrepublik ernstgenommen wurde. Sie wurde nicht als eine Stimme aus der DDR jenseits des Eisernen Vorhangs instrumentalisiert, sondern galt als Repräsentantin moderner Belletristik, die ihren Kollegen im Westen ebenbürtig, wenn nicht überlegen war.
Ästhetisch stellt sie Ansprüche an ihr Publikum und verweigert sich leichter Lektüre zum Zeitvertreib. Ich habe einige Erzählungen von ihr gelesen, allerdings nicht die Vorlage des Films. Ihre Texte können einen gewissen Sog entwickeln, sobald sich jemand darauf einläßt.
In Der geteilte Himmel erzählt sie kitschfrei eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des geteilten Deutschlands aus der Sicht der DDR in den späten 1950er Jahren. Die Tiefe ihrer Erzählung kommt aus ihren eigenen Erfahrungen, die sie selbst als in einer Brigade einer Waggonfabrik gemacht hat. Die Widersprüche des Systems, hier einerseits eine gute Ausbildung, besonders bei Naturwissenschaftlern wie dem Chemiker, dort andererseits die Mängel der Planwirtschaft mit den knappen Devisen und dem Export der Waggons in den Ostblock, schlagen sich in einer gespaltenen Loyalität nieder. Dass Fachkräfte bei Gelegenheit immer wieder in den goldenen Westen flüchten, führt zu Ausfällen in der Produktion und läßt Beziehungen zu Verhältnissen mit beschränkter Haftung verkommen. Das braune Fräulein Rita Seidel glaubt an die DDR und kehrt aus dem Westen wieder; Chemieprofessor Manfred Herrfurth, ihre große Liebe für zwei Jahre, sieht hingegen für sich bessere Chancen in der westlichen Industrie.

Die Uraufführung der Verfilmung fand im Juli 1964 auf dem Internationalen Filmfestival Karlovy Vary im böhmischen Karlsbad (damals Tschechoslowakei) statt, einem der 13 A-Festivals der Filmbranche. Im September 1965 zeigten ihn die Kinos in der Bundesrepublik Deutschland, in seinem Herkunftsland DDR jedoch wurde er mehrfach verboten.
Der Film wurde von der Kritik in Ost und West positiv aufgenommen, und 1995, zum 100jährigen Jubiläum des Mediums Film, fragte der Deutsche Kinematheksverbund nach den 100 wichtigsten deutschen Filmen, und dieser Film zählte zur Elite. Im Rahmen einer Retrospektive lief er 1991 auf der Berlinale.
Konrad Wolf zählt zu den wichtigsten Regisseuren der DDR und mit dieser Verfilmung hat er seine Duftmarke gesetzt. Wolf orientiert dabei am zeitgenössischen Kino der 1960er Jahre, mit dem er mühelos konkurrieren kann, indem er Einflüsse der Nouvelle Vague in seinem Schwarzweißfilm nutzt. Seine Bilder sind sorgfältig komponiert, und wenn er in der Wiederholung Motive wie die Brücke, das Geländer am Fluß, das Werkstor zu Waggonwerk oder Manfreds Wohnung bei seinen Eltern mit der gläsernen Dachschräge variiert, prägt einen hypnotisierenden Rhythmus, der trotz allem vom Publikum die volle Aufmerksamkeit fordert. Die Sequenz mit der Waggonprüfung auf freier Strecke liefert mit dem Verweis auf Juri Gagarin, den Bauernsohn im Orbit, ein Dokument jener Jahre des technischen Aufbruchs.
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