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Alt 22.08.2017, 20:00   #77  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Bei überlaufenen Museen und Mega-Ausstellungen, bei denen du dich am besten einen oder zwei Tage vorher anstellt, wirst du auch wie am Fließband durchgeschleust. Da frage ich mich schon, was von dem meist sauteuren Besuch übrigbleibt außer: "Seht mal alle her! Ich bin dabei gewesen! Ja, ich bin drin gewesen!" Bis zum Selfie ist es nur ein kurzer Schritt ...

Schon bei den Einführungsseminaren habe ich das Bilderzapping gehaßt: 120 Werke in 90 Minuten, mehr als ein oberflächlicher Hinweis wird das nicht. Außerdem geht bei der mehrfachen Reproduktion etliches verloren, übrig bleibt das Bildmotiv, eine Portkarte von Meisterwerken.
Wer schon von zuhause einen eigenen Zugang zu Kunst und Ästhetik mitbringt, ist im Vorteil - und der läßt sich durch Büffeln nicht wettmachen.
Exkursionen helfen auch nur bedingt, denn die laufen ebenfalls nach dem bewährten Nürnberger-Trichter-Prinzip.

Worüber ich mich gefreut habe, war eine Zwangspause im Museum Louisiana bei Kopenhagen. Irgendwie saßen wir an dem Vormittag zwischen Baum und Borke, weswegen wir eine Stunde in einem Saal ausharren mußten.
Dank guter Beziehungen unseres Professors waren wir schon Stunden vor dem regulären Einlaß im Museum und hatten unseren Pflichtrundgang recht früh beendet. Zuerst fand ich das Warten nervig.
Aber je länger wir auf unserer Position standen, desto besser gefiel sie mir. Durch diesen Umstand konnte ich nämlich ein kreisrundes Gemälde von Claude Monet aus den "Seerosenteichen von Giverny" fast eine Stunde seelenruhig betrachten. Ich konnte mich in Pinselstrich und Farbauftrag versenken. Je länger ich hinsah, umso mehr entdeckte ich, das bei einer gerasterten Reproduktion verlorenen gegangen wäre.
Der uferlose, grünviolette Teich war zugleich ein abstraktes Muster (wie eine Tapete) und ein plastisch konkretes Abbild der opaken Oberfläche. Ein gemaltes Koan, das zum Meditieren einlud. Ich konnte verstehen, warum Leute Millionen für Kunstwerke ausgeben oder Verbrechen begehen.

Ich empfand dieses Erlebnis als Geschenk, das mir mehr wert war (und ist) als sämtliche Proseminare zur Einführung in die Kunstgeschichte. Genügend Zeit und ein freier Blick werden meines Erachtens nicht ausreichend gewürdigt.
Wer will, kann sich das selbst gönnen - unabhängig vom Portemonnaie und vom Bildungsstand. Dazu gehört bloß Mut.
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