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Alt 30.12.2022, 14:05   #406  
God_W.
Captain Rezi
 
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Swamp Thing von Alan Moore 1 (Deluxe Edition)



Endlich habe ich die Zeit gefunden mich erneut auf den ersten Band des Runs von Comic-Koryphäe Alan Moore an Swamp Thing zu stürzen. Ich hatte den Inhalt dieser ersten Deluxe Edition bereits vor einigen Jahren in Form der Eaglemoss Hardcover aus der DC Graphic Novel Collection gelesen, wusste also welch geniales Stück Neunte Kunst auf mich zukommt. Damals brodelte die Gerüchteküche zu einer anstehenden Neuveröffentlichung, vielleicht im Zuge der damals noch angekündigten Streaming-Serie, schon gewaltig, jetzt ist es endlich so weit, und der Moore Run am Sumpfding liegt erstmals in Gänze auf Deutsch vor.

Markantester Unterschied von den alten Ausgaben zur neuen Deluxe-Variante ist neben der deutlich angewachsenen Größe natürlich die neue Kolorierung, welche das Artwork erfahren hat. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich fand das Artwork bei den alten Ausgaben schlicht genial und musste mich hier erstmal umgewöhnen. Im Nachhinein betrachtet ist es aber so, dass mir die neue Farbgebung insgesamt nochmal deutlich besser gefällt, als die Ursprüngliche. Das ist zwar nicht in jedem Panel und auch nicht auf jeder Seite so, aber gesamtheitlich gesehen bevorzuge ich persönlich die jetzige Optik. Zur Vergleichbarkeit für alle Interessierten habe ich meine alten Rezi-Fotos der Eaglemoss-Ausgabe nochmal herausgekramt und in der neuen Deluxe die gleichen Seiten abfotografiert. Deshalb findet Ihr nachfolgend während der Rezi also immer erst die ursprüngliche und anschließend die aktuelle Variante, um Euch selbst ein Bild machen zu können. Der Band beginnt mit Heft #20, einer Zusammenführung loser Enden, die bei Eaglemoss nicht enthalten war und den aktuellen Status herleitet, bevor wir uns mit „Die Anatomie-Stunde“ in die „richtige“ Story stürzen.

Swamp Thing liegt auf Eis, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Von paramilitärischen Truppen gestellt und von Kugeln durchsiebt wurde er tiefgekühlt und befindet sich jetzt in einem Labor in Washington. Der exzentrische Wissenschaftler Woodrue wurde vom mächtigen Magnaten Sunderland damit beauftragt alle Erkenntnisse über Swamp Thing und die bioregenerative Formel, die es zu dem machten was es ist, zu erlangen, die ihm von Nutzen sein können. Allerdings ist Woodrue kein gewöhnlicher Wissenschaftler, er ist der Floronic Man, ebenfalls ein Pflanzenwesen, dass sich tagsüber mit Hautspray überzieht und somit menschlich aussieht. Als Woodrue einige extrem überraschende Entdeckungen über Swampie zu Tage fördert, wird er von Sunderland gefeuert, da dieser die Erkenntnisse zu seinem eigenen Vorteil nutzen will. Allerdings hat er die Rechnung da ohne den Floronic Man gemacht, der kurzerhand die Kühlkammer abschaltet und so einen verletzten, verwirrten und über die Maßen zornigen Swampie von der Leine lässt…

Ich will jetzt wirklich nicht zu viel verraten, denn die Erfahrung, dieses Sahnestück der neunten Kunst zu entdecken, sollte jeder Comicliebhaber selber machen.

All das ist so perfekt inszeniert und vor allem mit solch erzählerischer Tiefe und Kraft versehen, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Die Story funktioniert auf so vielen Ebenen, wird zwar verschachtelt erzählt, tritt dann aber so glasklar mit so vielen Botschaften bestückt an die Oberfläche, dass es eine wahre Freude ist. Und das sind gerade mal die ersten paar der enthaltenen Hefte.

Die Story, die die nächsten drei Hefte umfasst startet mit „Der Schlaf der Vernunft“ und könnte ebenso gut direkt einem Hellblazer-Run entsprungen sein, was bei mir extrem positiv ist! Swamp Things Freundin Abby, mittlerweile die Frau von Cable, tritt einen neuen Job an, und zwar in einem Waisenhaus. Dort lernt sie den verstörten Jungen Paul kennen.

Das Spiel mit den Urängsten gelingt hier meisterhaft und das ist wieder nur die Vordergründigste der vielen Schichten, die Alan Moores komplexe Erzählweise zu bieten hat. Es gibt so viel zu entdecken und die Beziehungen zwischen den Charakteren sind so hervorragend herausgearbeitet, dass es so gut wie nichts zu kritisieren gibt. Es gibt wahrlich Zwiebeln die ob der Vielschichtigkeit dieser beiden Stories vor Neid erblassen.

Als Einziges, winzig kleines Wermutströpfchen könnte ich anmerken, dass die Kontinuität zu den Anfängen von Len Wein und Bernie Wrightson nicht zu 100% gewahrt bleibt. Denn schon in Swamp Thing #2 wurde Holland von Arcane ja kurzfristig wieder zurück in einen Menschen verwandelt. Das passt jetzt aber leider nicht so ganz zu Moores (ganz nebenbei gesagt ziemlich genialem) Kunstgriff, der die größte Storywendung bzw. Überraschung des Bandes bietet. Alle eingeweihten wissen schon was ich meine, allen anderen will ich den Spaß an dieser Stelle nicht verderben.

Jetzt starten wir schon in die zweite Hälfte des über 450 Seiten starken Bandes, die weiterhin atemberaubend, kongenial und erinnerungswürdig ist. Die Hefte genießen einen absolut legendären Ruf, der ist zu 100% gerechtfertigt und kommt nicht von ungefähr. Ich persönlich finde die zweite Hälfte sogar nochmal minimal besser als den Start. Ich kann meine Begeisterung kaum zügeln und feiere dieses gute Stück hier einfach euphorisch.

Die nächsten fünf Kapitel bilden eine große, zusammenhängende Story, die damit beginnt, wie Swampie endgültig mit seiner Vergangenheit abschließt


Nach dieser, fünfteiligen Story folgt mit Heft #32 – POG – ein, naja, Highlight ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn es ist keine laute Story, aber eben eine, die Gefühle weckt, und zwar sehr starke. Spannend, lustig, traurig, putzig und vor allem richtig schön ist die Geschichte, die mich am Ende doch traurig und voller Mitgefühl zurücklässt. Crackajack Jackson hat das im alten Panini Forum mal perfekt beschrieben, deshalb will ich mich hier gar nicht weiter drüber auslassen, sondern bedanke mich ganz lieb bei ihm für die Empfehlung dieser Geschichte, die wirklich jeder mal gelesen haben sollte.

Zuletzt erwartet uns eine Traum-Grusel-Story, die direkt einem klassischen, atmosphärischen Horror-Streifen entsprungen sein könnte. Viele bekannte Versatzstücke werden hier absolut perfekt mit Swamp Things erster Origin-Story aus der House of Secrets-Reihe verwoben und auch die Welt von Neil Gaimans Sandman streifen wir. Es ist beinahe unverschämt, wie perfekt es Moore hier gelingt, alle Mythen um Swamp Thing, die teilweise ja nach dem Neustart der Reihe etwas abseits als One-Shot standen, in seinen Run einzubinden, und das Gesamtwerk somit in eine unerwartete Harmonie zu bringen, also ein Gleichgewicht zu schaffen, dass für mich als Leser ungemein befriedigend wirkt. Und da Herr Moore das alles wohl noch immer nicht harmonisch genug war, kommt ganz am Ende auch die Romantik nicht zu kurz.

Ich kann kaum in Worte fassen wie unglaublich begeistert ich vom gesamten Artwork bin. Das ist ganz großes Kino und passt so perfekt zu Swampie wie man es sich nur wünschen kann. In wirklich wunderschönen, teils auch verstörenden Bildern wird Alan Moores Fantasie eindrucksvoll zum Leben erweckt. Egal, ob vom Autor oder vom Zeichnerteam die Rede ist, hier kam einfach zusammen, was zusammengehört und es wurde wahrlich Großes erschaffen. Was Stephen Bissette und John Totleben hier für ein Feuerwerk abbrennen ist unglaublich. Auch Zwischenzeichner, wie beispielsweise Shawn McManus machen einen tollen Job und ihre Zeichnungen transportieren viel Gefühl, aber an die echt außerordentliche Leistung von Bissette und Totleben reichen sie nicht ganz heran.

Überdies bietet diese Deluxe-Ausgabe noch weit über 30 Seiten fettes Bonusmaterial. Natürlich in Form von Zeichnungen und Skizzen, aber auch Skriptseiten von Moore, Fotos und vor allem ganz viel informativer Text von Stephen R. Bissette. Da wird die Mythologie auch ein Stück weit entmythologisiert, aber den Gesamteindruck dieses perfekten Gesamtpaketes, einfach eines überragenden Werkes, wertet das nur nochmal ein Stück weit auf.

10/10

VG, God_W.

Geändert von God_W. (30.12.2022 um 14:11 Uhr)
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