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Alt 26.10.2015, 08:59   #3123  
michidiers
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Zitat von jakubkurtzberg Beitrag anzeigen
@michidiers:
Ich hab Dich gestern zweimal zitiert. Ich hoffe, das geht in Ordnung:

http://dassagtenuff.blogspot.de/
Klaro geht das in Ordnung!


Ein Leben im Tode

Puchol/Galandon



„Faculté: 19 Jahre, gedrungen, rundes Gesicht, dunkelbraune, lockige und üppige Haare, marineblauer Rollkragenpullover, blauer Martingale-Mantel (?), schwarze Schuhe, trägt eine Aktentasche unter dem Arm.“ Das ist die recht banale, polizeiliche Personenbeschreibung eines der wohl meistgesuchtesten Mitglieder der Pariser Resistance während der deutschen Besatzungszeit im zweiten Weltkrieg. Der Mensch hinter dieser Beschreibung ist Marcel Rayman, ein 21-jähriger, in Warschau geborener und im Jahre 1931 nach Frankreich emigrierter Jude. Als sich in Frankreich die ersten kommunistischen Gruppen von Jugendlichen bildeten, schloss sich der Pazifist Rayman ihnen an. Ab 1942, als sich das Netz der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens und kommunistischer Weltanschauung sich immer enger auch um das familiäre Umfeld von Marcel Rayman zog, tauchte dieser unter und schloss sich der Francs-tireurs et partisans – main d’œuvre immigrée (FTP-MOI) an, einer Untergruppe der Resistance. Bis zu seiner Verhaftung am 06.November 1943 war er für insgesamt 13 Attentate auf deutsche Besatzer oder Kollaborateure verantwortlich. Er wurde am 21. Februar 1944 hingerichtet.

Um diesen Stoff als Comicgeschichte veröffentlichen zu können, besuchte der französische Autor Laurent Galandon die Cousine von Marcel Ryman, Èlise Cousens/Frydman, die anfangs von der Idee einer Comicveröffentlichung wenig begeistert war, weil sie – wie bei einer Verfilmung des Stoffes zuvor – zu viele künstlerische Freiheiten befürchtete. Schließlich willigte sie ein, und ließ gemeinsam mit dem Autor eine sich sehr nah an den tatsächlichen Begebenheiten haltende Geschichte entstehen.

Somit ist „Ein Leben im Tode“ ein sehr anrührender Tatsachenroman in Comicform geworden. Auf einige Handlungselemente eines normalen Romans (z.B. die obligatorische Liebesgeschichte) wird dabei verzichtet und es werden vornehmlich die Abläufe der Ereignisse von 1942 und 1943 darstellt, dabei aber auch das familiäre Schicksal der Raymans (viele von ihnen wurden deportiert und starben in Ausschwitz) berücksichtigt. Ein wenig auf der Strecke bleibt dabei allerdings der innere Konflikt der Hauptfigur. Schließlich wird dieser anfangs als überzeugter Pazifist dargestellt, der schließlich den Weg der Gewalt einschlägt. Dabei stellt er sich nie die Frage, ob sein Morden immer gerechtfertigt ist, sagt sich stetig nur, dass er das richtige tut und nichts bereut. Das mag ein wenig undifferenziert klingen, aber anderseits: Welcher Leser vermag das Handeln eines Unterdrückten schon beurteilen oder gar verurteilen wollen? Als im Frieden aufgewachsener Leser steht einem das wohl nur bedingt zu.

Auf jeden Fall gelingt es Galandon, dass man (auch wenn man das Ende von Rayman kennt) mitfiebert, ob die Bomben rechtzeitig explodieren, die Kugeln treffen und die Handgranaten richtig geworfen werden. Komischerweise wirken die deutschen Soldaten dabei mehr wie Opfer, die eher ganz höfliche, junge Burschen sind. Als die wirklichen Bösewichter scheint der Autor die französischen Sicherheitskräfte und Kollaborateure ausgemacht zu haben.
Die Zeichnungen von Jeanne Puchol sind überwiegen im Stil der ligne claire gehalten, wobei auf bunte Farben weitestgehend verzichtet wird, um eine der Zeit angepasste Kolorierung zu erhalten. Die Panels sehen daher oft wie vergilbte Fotos aus, was der Authentizität sicher nicht schadet.

„Ein Leben im Tode“ ist ein lesenswerter, spannender Comic über einen jungen Menschen in einer von ihm nicht gewollten Lebenswirklichkeit, welcher gleichzeitig ein wichtiges Stück Zeitgeschichte festhält. Absolut negativ hingegen ist der Preis von satten 20 Euro für nur 96 Comicseiten, wobei Panini die Künstler nicht einmal in Form einer Vita vorstellt, sogar noch auf einer Seite eine Eigenwerbung abdruckt.
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