Thema: Damals war's
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Alt 04.06.2009, 17:35   #41  
falkbingo
Master of Desaster
 
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Der war jetzt wirklich Weltniveau ...
Ja, Ne is klar.
Jetzt aber wieder zum Ursprung. Ich habe noch eine Story von damals, die ich auch noch gnadenlos an alle weitergebe.

Es muß im September 1965 gewesen sein. Ich war mit Heinzi - einem Jungen aus der Nachbarschaft - auf dem Weg zu unserem Comic - Paradies. (Siehe hierzu auch meinen Artikel in der Sprechblase Nr. 132). Wir wollten uns beide den neuen Sigurd-Großband kaufen.

Sigurd sammelten wir damals alle beide. Voller Vorfreude rekapitulierten wir auf unserem Weg noch einmal den letzten Band. Sigurd geriet auf der Suche nach seinen Freunden Bodo und Cassim an finstere Seeräuber, die ihn nach einem Streit über Bord warfen .Als er kurz vor dem Ertrinken war, kam ein Schwarm Delphine vorbei und spielte mit ihm.
Zufällig schwamm der Schwarm in Richtung Land. Sigurd klammerte sich an ein Tier fest und wurde so wundersam gerettet.

Einige Fischer versorgten ihn mit Essbarem. Etwas erholt zog er weiter. Schließlich geriet er in eine Burg, die von einem völlig „unterbelichteten“ und spielwütigen Grafen regiert wurde. Der wiederum hatte einen Neffen namens Carlo, der mit finsteren Geschäften die heruntergekommene Burg wieder zum Blühen bringen wollte, um dann selbst Graf zu werden und den Alten abzuservieren.

Als Sigurd ganz friedlich mit dem Graf eine Partie Schach spielte, hörte er plötzlich einen lauten Schrei, ausgestoßen von der Nichte des Grafen. Besagtes Mädel stritt sich mit Carlo, weil sie dessen Geschäfte (Sklavenhandel) nicht mehr ertragen konnte.
Carlo wollte gerade handgreiflich werden, als Sigurd dazukam. Carlo war stinksauer und erklärte Sigurd sinngemäß, daß er sich gefälligst um seinen Kram kümmern soll. Da kannte er aber Sigurd schlecht, denn der hat sich nämlich nie allein um seinen eigenen Kram gekümmert, sondern war immer auf dem Kreuzzug gegen das Böse. Als Carlo die Argumente ausgehen, hetzt er seinen Wolfshund auf Sigurd .Als dieser Sigurd an die Gurgel will... Fortsetzung folgt!

Und nun waren also die 14 Tage Spannung vorbei, und das neue Heft war da. Wir betraten Frau Kretzers Laden. „Zweimal den neuen Sigurd bitte!“ Sie ging zum Regal. „Leider ist nur noch ein Heft da.“

Da Heinzi 1,5 Jahre älter war als ich (und leider auch stärker), meinte er natürlich sofort, daß er das Heft kriegen müßte. „Nur über meine Leiche“, oder so ähnlich habe
ich geantwortet. Das nahm Heinzi ziemlich wörtlich und schon ging eine wilde Rangelei zwischen uns beiden los. Frau Kretzer warf uns kurzerhand aus dem Laden. Draußen kloppten wir beide uns weiter. Heinzi war zwar stärker, aber ich mobilisierte alle meine Kräfte. Für Sigurd lohnt sich jeder Kampf. Leider reichte es für mich nicht. Auf einmal hatte Heinzi mich im „Schwitzkasten“. „Ergibst Du Dich ?“ kam die Frage. (Damals war das so üblich, denn früher mußten keine Leichen auf dem Schlachtfeld zurückbleiben.) Ich ergab mich in mein Schicksal und trottete von dannen.

Das Heft wollte ich aber unter allen Umständen haben. So ging ich ca. 2 Kilometer zum Büdchen auf der Kölner Straße. Aber auch hier-„Ausverkauft!“ Nun blieb nur noch der Zeitschriftenladen von Frau Fuchs. Also wieder 2,5 Kilometer in die andere Richtung. Auch bei Frau Fuchs - „Fehlanzeige“.

Am Boden zerstört mußte ich mich erst einmal auf eine Bank setzen, ich haderte mit meinem Schicksal.

Dann kam mir die Idee, mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Ich wohnte damals in einem Vorort von Neuss. Ich hatte 1,- DM und die Busfahrt kostete hin und zurück 0,40 DM, das kam also genau hin. Denn Sigurd kostete 0,60 DM. Die Sache hatte nur einen Haken, es war ca. 16.00 Uhr und um 17.00 Uhr mußte ich zu Hause sein. Wenn ich aber Glück hatte, konnte ich es gerade schaffen. Also, ab zur Haltestelle und mit dem nächsten Bus nach Neuss. Dort angekommen, hetzte ich direkt zum ersten Büdchen. Wieder Fehlanzeige ! Was war nur mit dem Heft los ? Überall ausverkauft ! Ich raste durch die halbe Stadt, dann endlich, im Kiosk am Markt war es noch zu haben.

Dann der nächste Schock! Sigurd kostete jetzt 0,70 DM. Nun konnte ich die Rückfahrt mit dem Bus nicht mehr bezahlen. Entsetzt stellte ich fest, daß es mittlerweile auch schon 16.45 Uhr war. Bis 17.00 Uhr konnte ich es auch mit dem Bus nicht mehr schaffen, außerdem hatte ich ja auch kein Fahrgeld mehr. Ich entschloß mich zum Schwarzfahren, das hatte ich vorher noch nie getan. Ehrenwort ! Ich kletterte also mit laut klopfendem Herzen hinten in den Bus und setzte mich auf einen freien Platz. Langsam zur Ruhe kommend, schaute ich mir das neue Sigurd-Heft an. Sigurd konnte den Wolfshund natürlich abwehren und darüber hinaus den Fiesling Carlo in einen Brunnen werfen. Carlo war nun klatschnass und voller Haß auf Sigurd. Wenig später erdolchte Carlo seinen Onkel, indem er einen Geheimgang in der Burg benutzte. Darauf versuchte er Sigurd diesen heimtückischen Mord in die Schuhe zu schieben. „Dreckskerl“, dachte ich noch, als ich unsanft in die Welt zurückgeholt wurde. Vor mir stand ein Kontrolleur, der meinen Fahrschein sehen wollte. Nun brachen bei mir alle Dämme, mir kamen Tränen vor Frust und schlechtem Gewissen.

Der Mann muß erkannt haben, daß ich ein „schweres Schicksal“ hinter mir hatte. Offenbar besaß er ein weiches Herz. Er brummte mir keine Strafe auf, sondern ließ mich an der nächsten Haltestelle mit der Ermahnung nie mehr schwarzzufahren aussteigen. Bis heute habe ich mich daran gehalten.

Nun stand ich auf halbem Weg zwischen Neuss und meinem Zuhause. Es war natürlich schon weit nach 17.00 Uhr. Im Dauerlauf rannte ich nun nach Hause. Dort kam ich erst gegen 17.45 Uhr an. Es erwartete mich ein Riesendonnerwetter.

Meine Eltern tobten. (Heute weiß ich, daß sie sich nur große Sorgen um mich gemacht hatten). Nachdem ich ihnen meine Geschichte erzählt hatte, nahm mir mein Vater zur Strafe und sozusagen als Krönung des Tages mein Sigurd-Heft weg. Ehrlich - Prügel wäre mir lieber gewesen. Völlig zerknirscht aß ich zu Abend und ging zeitig ins Bett. Mann, was war das für ein Tag! Am nächsten Morgen beim Frühstück gab mein Vater mir das Heft wieder. Meine Eltern waren eben schwer in Ordnung. Natürlich ermahnte mich mein Vater, so etwas wie gestern nicht mehr zu tun. Im großen und ganzen habe ich mich auch daran gehalten.

Heute hängt Sigurd Gb 187 eingerahmt in meinem Comic-Zimmer. Immer wenn ich dieses Heft ansehe, fällt mir jener Tag im September 1965 wieder ein.
Diese Erinnerung kann mir keiner nehmen. Übrigens, etwas später erfuhr ich von Heinzi, daß Frau Kretzer ihm das Heft auch nicht verkauft hatte, weil wir uns so darum gezankt hatten. Meine Welt war wieder in Ordnung!!!

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