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Alt 06.07.2023, 16:41   #236  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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  • Stefan Zweig: Schachnovelle (Pigmalión 1942)
  • Schachnovelle (Deutschland / Österreich 2021), Drehbuch: Eldar Grigorian, Regie: Philipp Stölzl, 112 min, FSK: 12, JMK: 14
Obwohl der Film sich nicht als freie Bearbeitung der Vorlage positioniert, liegen hier zwei verschiedene Geschichten in unterschiedlichen Medien vor.

Zweigs Novelle zeigt, wie zwei gegensätzliche Charaktere miteinander real konfrontiert werden: Auf der einen Seite der amtierende Schachweltmeister Mirko Czentovic, ein Idiot Savant mit einer Inselbegabung, eben dem Schachspiel, und dem durch die Gestapo traumatisierten Dr. B., einem Vermögensverwalter des österreichischen Adels und Klerus, der sich durch das Schachspiel im Hotel Metropol von seiner Gefangenschaft abgelenkt hat. Der kultivierte, intelligente und eloquente Bürger aus der Oberschicht liefert das faszinierendere Profil, obwohl er letztlich ein gebrochener Mann ist.

Die Verfilmung nimmt sich Freiheiten heraus, indem sie aus Dr. B. die eindeutige Hauptfigur Dr. Josef Bartok macht, der vor seiner Frau Anna den Aufstieg der Nazis auf die leichte Schulter nimmt. Als es nach dem Anschluß Österreichs für ihn kritisch wird, ist es für ihn zu spät. Er versucht noch, belastende Dokumente zu verbrennen, wird dabei jedoch von der Gestapo unterbrochen, festgenommen und ins Hotel Métropole verschleppt, wo er zunächst isoliert und dann verhört wird.
Parallel gibt es künstlich wirkende Szenen auf einem Passagierdampfer. Er reist als Max van Leuwen, entdeckt jedoch schon auf dem Pier seine Frau Anna und geht mit ihr aufs Schiff. Von der langen Haft gezeichnet, ist seine Wahrnehmung gestört und er vermischt Vergangenes und Neues.
Die fehlende Ablenkung bringt Bartok in der Haft an den Rand der Verzweiflung. Eines Tages kann er durch einen Zufall ein Buch ergattern, doch bei dem handelt sich nicht um Belletristik, sondern um ein Schachbrevier. Mangels besserer Alternativen fuchst sich Bartok in das Schachspiel ein, formt aus Brot Schachfiguren und spielt unermüdlich gegen sich selbst.
Auch auf dem Passagierdampfer findet ein Schachspiel statt. Der Reeder Owen McConnor spielt gegen einen seltsamen Mann, der sich als Schachweltmeister Mirko C. herausstellt. Bei der Partie berät Bartok ungefragt McConnor, um ihn vor einer Niederlage zu bewahren und damit er noch ein Remis herausschlagen kann. McConnor ist beeindruckt und versucht, Bartok zu einem Spiel mit dem Schachweltmeister herauszufordern.
Eher widerwillig geht Bartok auf das Angebot und die 20.000 Dollar Preisgeld ein, aber je näher die entscheidende Partei rückt, umso mehr vermischen sich die beiden Erzählebenen ...
Mir gefällt der Film fast besser als die Vorlage, zumal er seinen Protagonisten psychologisch ausgefeilt vorstellt. Die Interpretation hat ihre Stärken, denn optisch ist sie stimmig umgesetzt, und das Casting zeigt sich von seiner besten Seite. Das Drama kuliminiert schlüssig zu einem niederschmetternden Höhepunkt.
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