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Alt 08.06.2016, 16:15   #50  
Servalan
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Standard Pedro Calderón de la Barca: El gran teatro del mundo (um 1630) / Das große Welttheater (1981)

Diverse Ausgaben, darunter Diogenes Taschenbuch 1981, 81 Seiten (mit Nachwort)
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_große_Welttheater
http://gutenberg.spiegel.de/buch/das...theater-5443/1 (Volltext der deutschen Übersetzung von Joseph von Eichendirff, 1846, auf Gutenberg.DE)
http://www.cervantesvirtual.com/obra...-del-mundo--0/ (Volltext in der Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes)
http://www.welttheater.ch/geschichte_calderon.asp
http://universal_lexikon.deacademic....ße_Welttheater

Wer mit den Matrix-Filmen vertraut ist, kennt den Ausspruch, das Leben sei nur ein Traum.
Dieser Gedanke hat allerdings eine lange Geschichte, und im erzkatholischen Spanien des 17. Jahrhunderts brachte Pedro Calderón de la Barca (1600-1680) sein Versdrama Das Leben ist ein Traum / La vida es sueño auf die Bühne.

Zahlreiche strenge religiöse Strömungen verachten Spaß, Vergnügen und die Lust am Leben. Deswegen haben sie Schwierigkeiten, das ganz gewöhnliche Leben von einfachen Menschen abzubilden. Andererseits brauchen sie die Medien, um ihre Sicht der Dinge und der Welt unter die Leute zu bringen und die junge Generation mit ihren Vorstellungen vertraut zu machen.
Monty Python machte die Spanische Inquisition zur Witzfigur, aber im Spanischen Weltreich konnte ein falsches Wort rasch Kerkerhaft und Folter für den (vermeintlichen) Ketzer nach sich ziehen. Entsprechend vorsichtig gingen die Autoren zu Werke, schließlich durfte auch das Königshaus nicht beleidigt werden.

Aus diesem Grund bestimmen die christlichen Feiertage mit ihren Festivitäten den Jahresablauf. Wie in anderen Ländern auch werden besonders Ostern und Fronleichnam mit Prozessionen und Festspielen zelebriert, siehe die Passionsspiele in Oberammergau.
So wußten die hohen Herrschaften einerseits, was sie erwartet, andererseits wurde kein realer Mensch durch seine Hauptrolle im Stück erhöht - vielmehr wurde ein Exemplum statuiert, ein allegorisches Beispiel, das als Richtschnur diente.

Wie seine René Descartes oder Miguel de Cervantes kann der adlige Calderón auf ein bewegtes Leben zurückblicken: Der Jesuitenschüler wollte zunächst Priester werden, verdingte sich jedoch wenig später als Landsknecht. Der Hofkaplan König Philipps IV. leitete und wurde Nachfolger des berühmten Lope de Vega als Hofdramatiker und Leiter des königlichen Theaters.
Er galt als bester Dramatiker seiner Zeit, und heute noch werden seine Werke zum Beispiel bei den Ruhrfestspielen oder von der Welttheater-Gesellschaft Einsiedeln aufgeführt.
Nach heutigen Maßstäben war er ein Vielschreiber: ca. 120 Dramen (sog. Comedias), 80 Fronleichnamsspiele (Autos sacramentales) und etliche Kurzszenenfolgen (Zarzuelas) sind erhalten geblieben.

Das große Welttheater zählt zu den Fronleichnamsspielen.
Ähnlich wie Fabeln personifizieren Allegorien abstrakte Eigenschaften, Gefühle oder Prinzipien und spitzen sie dramaturgisch zu. Hier steht der Mensch an sich im wahrsten Sinne des Wortes nackt auf der Bühne, und mit ihm ist jeder Mensch gemeint, egal, ob jung oder alt, arm oder reich, gesund oder moribund.
Der Schöpfer oder der Meister erweckt die Menschen wie Puppen tanzen, dadurch erlaubt er einen Blick hinter die Kulissen. Er weist den aufgerufenen Schauspielern ihre Rolle zu.
Während die Menschen in der Matrix Programmen begegnen, bedient sich der Schöpfer hier seiner Helfer Macht, Demut, Schönheit, Überfluß, Mühsal und Elend, um den Menschen den ihnen zugedachten Platz in der Gesellschaft zuzuweisen.

Die deutsche Klassik und die Romantik entdeckten das konservative Stück für ihre Zeit neu.
Wer mal wissen will, was es abseits von René Pollesch oder Rimini Protokoll, jenseits von Thomas Bernhard oder Sarah Kane sonst noch an Möglichkeiten auf dem Theater gibt, sollte mal reinschnuppern.
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