Thema: Filmklassiker
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Alt 15.10.2022, 14:45   #24  
Peter L. Opmann
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Zurück zum Stummfilm. Vor ein paar Jahren war ich in Kontakt mit einem Club von Eisenbahnfreunden, die eine Ausstellung von Dampflokbildern machten. Es stellte sich heraus, daß sie nicht wußten, daß Buster Keaton ein großer Eisenbahnfan war und das auch in mehreren seiner Filme zu sehen ist, vor allem in „Der General“ von 1926. Also habe ich im Rahmen der Ausstellung an einem Abend diesen Film vorgeführt (DVD an die Wand projiziert; der Film ist public domain). Es waren etwa 30 Besucher da, alles Eisenbahnfreunde, keine Filmfans. Ein Ehepaar ging gleich zu Beginn wieder – die hatten gedacht, es werde ein Dokumentarfilm gezeigt. Alle anderen waren von dem Film begeistert, und es wurde auch viel gelacht. Über Slapstick-Komik der 1920er Jahre!

Das zeigt mir, daß die Kunst von Buster Keaton zeitlos ist. Wobei „Der General“ keine typische Slapstick-Komödie ist. Keaton hat eine wahre Begebenheit aus dem amerikanischen Bürgerkrieg mit den Mitteln der Komödie nacherzählt: Eine militärisch genutzte Dampflokomotive wird vom Feind entführt und von Keaton im Alleingang zurückgeholt, was den gesamten Kriegsverlauf beeinflußt. Das war wohl das Problem, denn als der Film erschien, war der Bürgerkrieg erst 60 Jahre her und im Bewußtsein der Amerikaner noch sehr präsent. Man sagte: Über so etwas macht man sich nicht lustig. Außerdem ließ er die Südstaatler über die Nordstaatler siegen (zumindest in dieser Episode des Krieges), und das kam auch nicht überall gut an. „Der General“ wurde ein geschäftlicher Verlust; allerdings hatte Keaton, der den Film selbst produziert hatte, auch keine Kosten gescheut. Er ließ Armeen gegeneinander antreten, baute die historische Lokomotive nach und ließ sie sogar von einer Brücke in einen Fluß stürzen. Die Stelle, wo diese dramatische Szene gedreht wurde, ist noch heute ein Touristenziel.

Doch ohne die Keaton-Komik wäre der Film wahrscheinlich doch nur halb so gut. Er kann die Welt nur als eine Mechanik verstehen (da trifft es sich gut, wenn er Lokomotivführer ist), und mit dieser Mechanik kann er traumwandlerisch umgehen – mit Menschen hat er dagegen seine Schwierigkeiten. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Film nicht ein bißchen frauenfeindlich ist, denn mit der Lok wurde auch seine Freundin entführt, und die funktioniert leider nicht immer so wie eine Dampfmaschine… Allerdings liegt ein Teil der Schuld bei ihr, denn sie ist Uniformfetischistin und hat ihn zu Beginn des Films zurückgewiesen, weil er sich angeblich nicht zur Armee gemeldet hat – dabei ist er als Lokführer unabkömmlich. Der Film erzählt auch, wie sich ein gewitzter kleiner Kerl gegen eine riesige Militärmacht durchsetzt, was uns Zuschauern natürlich immer sympathisch ist. Insgesamt finde ich, daß man dem Film sein Alter von fast 100 Jahren nicht anmerkt.

Das geschäftliche Fiasko des „General“ hatte allerdings für Keaton üble Konsequenzen. Er verlor sein Filmstudio und wurde Angestellter von MGM. War er jemand gewesen, der lange an jedem einzelnen Gag herumgetüftelt und dabei – wie damals üblich – nur ein grobes Skript hatte, mußte er nun Späße streng nach Drehbuch machen. Man sieht, wie seine Filme nach 1926 Stück für Stück immer schlechter wurden. In den 30er Jahren wurde er schließlich mit dem Komiker Jimmy Durante zu einem Team zusammengespannt, was ihm künstlerisch den Rest gab. Allerdings waren unter seinen späteren Filme auch seine größten Kassenerfolge - Hollywood hatte also recht! Um 1960 herum wurde Buster Keaton von einer neuen Filmgeneration wiederentdeckt, und man war erstaunt, daß er noch lebte – wenn auch vom Alkohol ziemlich gezeichnet. Aber er bekam vor seinem Tod noch mit, daß es Leute gab, die das, was er in den 1920er Jahren gemacht hatten, zu schätzen wußten.

„Der General“ ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme.

Geändert von Peter L. Opmann (15.10.2022 um 15:02 Uhr)
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