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Alt 30.03.2015, 18:22   #148  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Der tote Winkel der Geschichte

Comicautoren entscheiden selbst, was sie erzählen wollen. Auf diese Weise werden manchmal Themen aufbereitet, die andernfalls nur ein paar Spezialisten oder Fachwissenschaftler interessieren würden. Und manchmal häufen sich diese Fälle wie jetzt gerade im frankobelgischen Comic.

Marc Malès: Mettez des mots sur votre colère (Glénat)
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts photographierte Lewis Hine im Auftrag des National Child Labor Committee Kinder, die in den Slums unter den grausamsten Bedingungen in Fabriken schufteten. Malès schickt seinen fiktiven Helden, Owen Brady, auf denselben Weg. Dabei ist Brady kein netter Weltverbesserer, sondern ein cholerischer, zorniger Alkoholiker, der Frauen schlägt. Das Album im Querformat begleitet den Bildreporter Brady, der von seinem Vater mißbraucht wurde und häufig ins Bordell geht, wobei Malès Hines klassische Photographien in seinen Comic einbaut.
Bei BDzoom für Gilles Ratier der Comic der Woche.

Delphine Le Lay und Marion Boé (Szenario) / Alexis Horellou (Zeichnungen): 100 maisons, la cité des Abeilles (Delcourt)
Die Dokumentarfilmerin Marion Boé brachte 2008 La Cité des Abeilles in die französischen Kinos, der (wie der Comic) die Entstehung einer Siedlung bei Quimper erzählt. - Unmittelbar nach den Krieg war Wohnraum knapp, aber die wenigsten konnten es sich leisten, ein eigenes Haus zu bauen. Deshalb beschließen die Familien Troadec und Lannig, eine Idee in die Tat umzusetzen, mit der sich Leute ohne Vermögen das auch leisten können. Dabei denken sie an eine Genossenschaft, bei der sich die Leute gegenseitig unterstützen, indem sie 32 Stunden pro Monat anderen beim Hausbau helfen. 100 Familien bilden so eine Genossenschaft, die im Januar 1951 70.000 Quadratmeter am Stadtrand von Quimper erwirbt. Ende 1953 sind die Häuser fertig, und am 18. Juli 1954 erhält die Siedlung offiziell den Namen Abeilles.

Sergio Salma: Marcinelle 1956 (Casterman 2012)
Nach dem Krieg bestimmten Bergbau und Stahlwerke das Bild im belgischen Marcinelle bei Charleroi. Am 8. August 1956 entsteht durch eine schlecht gesicherte Lore ein Brand in der Zeche Le Bois du Cazier, bei dem 262 Bergleute starben, vorwiegend Einwanderer aus Italien wie Pietro und anderswo.

Étienne Davodeau: Les Mauvaises Gens (Delcourt - Encrages 2005)
1950er Jahren, die Arbeiterkinder Marie-Jo und Maurice wachsen in Mauges auf. Dort bestimmt der katholische Patron Eram, aber die Arbeiter beginnen, sich zu organisieren. Bis zur Wahl Mitterands als Präsident, mit der der Comic endet, schlagen Marie-Jo und Maurice unterschiedliche politische Richtungen ein, und aus den Arbeiterclubs werden gewerkschaftliche Syndikate.
Ein Stück Zeitgeschichte.

Bruno Loth: Ouvrier, mémoires sous l’Occupation - 1ere partie, Apprenti
(La Boite à Bulles - Hors Champ, bislang 3 Bände, 2011-2014)
Bordeaux 1936. Die Front Populaire hat bei den Wahlen gewonnen, und der junge Jacques möchte gerne Schiffe konstruieren. Doch zunächst wird er Lehrling in einer Fabrik, die Motoren baut. Der zweite Band erzählt die 40er Jahre mit dem Aufstieg der Faschisten in Spanien, der Besatzung, der Rationierung und den ersten verschwundenen Freunden von Jacques und seinem Bruder Marceau. Im dritten Band, 1942, erhält Jacques Briefe von Marceau, der in einem deutschen Arbeitslager buckeln muß, und verliebt sich in Jacqueline.
In dieser Comicserie erzählt Bruno Loth das Leben seines Vaters.

Geändert von arne (30.03.2015 um 20:04 Uhr)
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