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Alt 10.01.2012, 15:26   #10  
74basti
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Gewaltdarstellungen

Zitat:

Gewaltdarstellungen
Zum 1. Juli 2008 ist das Erste Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes in Kraft getreten. Es verbessert den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor medialen Gewaltdarstellungen, insbesondere vor gewaltbeherrschten Computerspielen. Die im Gesetz genannten Indizierungskriterien in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen wurden erweitert und präzisiert: Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass "Medien, in denen Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird" jugendgefährdend sind.
Der Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen in Medien und der Steigerung von Gewaltbereitschaft ist wissenschaftlich umstritten. Das Spektrum der in der Forschung diskutierten Wirkung geht von keinerlei Auswirkung über Aggressionssteigerung, Verrohung bis zum Aggressionsabbau.
Die herrschende Lehre geht von der Annahme aus, dass es - bei gebührender Beachtung multifaktorieller Ursachenzusammenhänge zum Beispiel im sozialen oder familiären Umfeld - nicht ohne Auswirkung auf Kinder und Jugendliche bleiben kann, wenn ihnen Gewalt ständig als ein normales und gesellschaftlich akzeptiertes Konfliktlösungsmuster vorgeführt wird.
Allgemeine Indizierungskriterien bezogen auf Gewaltdarstellungen
• selbstzweckhafte und detaillierte Darstellungen von Gewalthandlungen, insbesondere von Mord- und Metzelszenen
• Medieninhalte, die Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe legen
• verrohend und zu Gewalttätigkeit oder Verbrechen anreizend wirkende Medieninhalte

Diese Tatbestandsmerkmale sind nach der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle erfüllt,
o wenn Gewalt- und Tötungshandlungen das mediale Geschehen insgesamt prägen. Dabei ist der Kontext zu berücksichtigen.
Gewalt- und Tötungshandlungen können für ein mediales Geschehen z.B. dann insgesamt prägend sein, wenn das Geschehen ausschließlich oder überwiegend auf dem Einsatz brutaler Gewalt bzw. auf Tötungshandlungen basiert und/oder wenn Gewalt in großem Stil und in epischer Breite geschildert wird.

und / oder
o wenn Gewalt legitimiert oder gerechtfertigt wird.
Dies ist dann gegeben, wenn
- die Anwendung von Gewalt als im Namen des Gesetzes oder im Dienste einer angeblich guten Sache oder zur Bereicherung als gerechtfertigt und üblich dargestellt wird, sie jedoch faktisch Recht und Ordnung negiert,
- Gewalt als Mittel zum Lustgewinn oder zur Steigerung des sozialen Ansehens positiv dargestellt wird

und / oder
o wenn Gewalt und deren Folgen verharmlost werden
Unter Umständen kann auch das Herunterspielen von Gewaltfolgen eine Gewaltverharmlosung zum Ausdruck bringen und somit in Zusammenhang mit anderen Aspekten (z.B. thematische Einbettung, Realitätsbezug) jugendgefährdend sein, soweit nicht bereits die Art der Visualisierung oder die ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit Gewalt die notwendige Distanzierung erkennbar werden lässt.
Zur Erfassung und Bewertung dieser Zusammenhänge kann der Blick auf folgende Aspekte des medialen Geschehens von Bedeutung sein:
• Opfer der Gewalttaten
Mediale Darstellungen, in denen Gewalthandlungen gegen Menschen und menschenähnliche Wesen das Geschehen insgesamt prägen, oder in denen solche Gewalthandlungen, detailliert und selbstzweckhaft dargestellt werden, sind als jugendgefährdend einzustufen. Als menschenähnliche Wesen sind solche Wesen zu betrachten, die dem Menschen nach objektiven Maßstäben der äußeren Gestalt der Figur ähnlich sind. Die Tötung reiner Phantasiefiguren oder von Tieren ist grundsätzlich anders zu bewerten als die Tötung von Menschen und menschenähnlichen Wesen. Erfolgt aber z.B. das Töten von Tieren als sinnloses, selbstzweckhaftes Gemetzel kann dies inerhalb eines gegebenen problematischen inhaltlichen Zusammenhangs zu einer Verrohung beitragen.
• Realitätsbezug von Gewaltdarstellungen
Grundsätzlich sind realistisch dargestellte Gewalthandlungen eher als jugendgefährdend einzustufen als solche, die Gewalt abstrakt darstellen. Jugendaffine oder sich nahe an der Lebenswirklichkeit befindliche Handlungsumgebungen sind eher geeignet, jugendgefährdende Wirkungen zu verstärken als solche, die in einen nicht jugendaffinen und/oder futuristischen oder fantastischen Handlungsrahmen eingebettet sind.
• Genre
Bei der Prüfung einer möglichen jugendgefährdenden Wirkung von gewalthaltigen Träger- und Telemedien auf Kinder und Jugendliche ist auch die jeweilige Genrezugehörigkeit (z.B. Fantasy oder Horror) sowie die genretypische dramaturgische und bildliche Visualisierung zu berücksichtigen. Allein die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Genre begründet nicht zwangsläufig eine Jugendgefährdung, schließt sie aber auch nicht aus.
Zusätzliche Kriterien für interaktive Medien/Computerspiele im Hinblick auf Gewalthandlungen gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen
• kaum oder keine alternativen Handlungsoptionen/Konfliktlösungsmöglichkeiten
• alternative Handlungsoptionen/Konfkliktlösungsmöglichkeiten sind zwar möglich, aber für die Erreichung des Spielzieles nachteilig oder irrelevant
• das Ausüben von entsprechender Gewalt erscheint unproblematisch oder gesellschaftlich normal, ist nicht mit negativen Folgen oder Sanktionen versehen oder wird im Rahmen des Spiels belohnt
• Gewalt gegen Unbeteiligte ist Bestandteil des Spiels und wird nicht oder nur eingeschränkt sanktioniert
• die jugendgefährdende Wirkung der Darstellungen wird durch realitätsimitierende Steuerungs- und Bedienungselemente verstärkt
Gründe für eine Nichtindizierung bezogen auf interaktive Medien/Computerspiele
• die Verletzung und/oder Tötung von Menschen stellt eine unter mehreren möglichen Spielhandlungen dar und das Ergebnis der Kampfhandlung wird unblutig präsentiert
• andere Elemente als Gewalttaten gegen Menschen spielen eine wesentliche Rolle
• Tötungsvorgänge gegen Menschen werden verfremdet dargestellt und zwar in einer Form, die Parallelen zur Realität nicht nahe legt
• Tötungsvorgange werden ausschließlich gegen solche Wesen dargestellt, denen eine Menschenähnlichkeit fehlt
• trotz enthaltener Horror- und Splatterelemente sind nicht gewalthaltige Anteile spielbestimmend, wobei die Horrorelemente dann nicht so gestaltet sein dürfen, dass auf Grund derer besonderen Brutalität die anderen Spielelemente in den Hintergrund treten
Gründe für eine Nichtindizierung bezogen auf Filme
• der Inhalt ist als nicht jugendaffin anzusehen
• der Inhalt ist so gestaltet, dass der oder die typischen Sympathieträger/innen sich nicht als Identifikationsmodelle anbieten
• Nachahmungseffekte sind nicht zu vermuten
• Gewaltdarstellungen sind als übertrieben, aufgesetzt, abschreckend und/oder nicht realitätsnah einzustufen
• die Anwendung von Gewalt bewegt sich innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens (z. B. Notwehr) bzw. die Anwendung von Gewalt wird im Prinzip abgelehnt

"Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" - Francisco de Goya 1799
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