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Alt 11.02.2017, 12:37   #84  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Aus der Froschperspektive sieht das meiste riesig aus.
Verglichen mit unseren Nachbarländern werden auch Kinos deutlich seltener besucht. Schweizer und Franzosen gehen meines Wissens dreimal öfter ins Cineplex oder Arthouse-Kino.

Ich glaube, die Kollegen von der 8. Kunst laborieren da selber an einem Minderwertigkeitskomplex. Einerseits wollen sie ihren hohen Status behalten und beißen eufersüchtig jede mögliche Konkurrenz weg.
Andererseits ist über mehr als hundert Jahre eine Rivalität herangewachsen, die von Generation zu Generation weiter gegeben wird: In der Filmvorführrung der Brüder Lumière im Grand Café 1895 sehen heute noch viele die Geburtsstunde des Films; im selbem Jahr erschien R.F. Outcaults The Yellow Kid.
Dabei hege ich den Verdacht, daß der wirkliche Rivale des Films inzwischen Games geworden sind. Deren Reputation hat sich ja deutlich verbesssert. Allein wegen der Masse an Titeln, am Umsatz und dem jungen Publikum (15 bis 35 Jahre, das Wunschpublikum der Werbeindustrie) sehe ich in Games ein Leitmedium.

Scott McClouds Idee von der endlosen Leinwand (im virtuellen Raum des Cyberspace) hat ihn auch zu einem Idol im IT-Bereich werden lassen.
Vielleicht sehen solche Filmwissenschaftler, auf die du oben anspielst, Comics als ein lästiges Übel und eine Zeitverschwendung. Wenn die sich zu Comics bloß rasch was anlesen, um es irgendwo zitieren zu können, ansonsten aber das Medium meiden, schleifen sich Gewohnheiten ein.
Dann wird reflexhaft zugebissen (schöne Grüße von Pawlow!).

Den Umstand halte ich für ein Symptom, die Ursache liegt tiefer.
Die meisten Leute sind nach ihrem Tageswerk müde und wollen entspannen, also darf es nicht zu anspruchsvoll sein. Til Schweigers Erfolgsfilme mit ihrem Millionenpublikum werden vom Feuilleton ebenfalls kritisch beäugt.
Beim Film merken die Leute nämlich nicht, wie ihre Wahrnehmung leise Höchstleistungen vollbringt. Sie genießen es, in fremde Welten einzutauchen und mitzufiebern oder mitzuschmachten.
Dabei kann ich mich noch erinnern, wie die Presse bei Highlander förmlich aufjaulte. Russell Mulcahys Werk sei eine platte Mischung aus Werbeclip und MTV-Musikvideo. Im Rückblick wirkt diese Klage grotesk.
Solche Blockbuster führen ein- oder zweimal pro Generation vor, wie sich das Sehen im besonderen und die Wahrnehmung im allgemeinen ändern.
Wer schon mit Blade Runner und Terminator nüscht anfangen konnte, ist mit Inception und James Camerons Avatar überfordert - und wendet sich irgendwann vom Kino ab.

In meinem Bekanntenkreis habe ich mehrfach den Spruch gehört, ihnen seien Comics zu anstrengend. Diejenige wüßte nicht, was sie zuerst lesen solle, den Text oder das Bild - also lassen sie das mit den Comics ganz.

Geändert von Servalan (11.02.2017 um 15:29 Uhr)
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