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Alt 24.12.2016, 12:10   #3564  
Peter L. Opmann
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Diese Ausgabe ist sicherlich das zerfleddertste Heft in meiner Williams-Marvel-Sammlung. Ich habe sie damals neu am Kiosk gekauft nach einer längeren Pause – ich vermute, sie entstand dadurch, daß ich von der Grundschule in meinem Dorf aufs Gymnasium in der Kreisstadt wechselte. Damit hatte ich keine Zeit mehr, den Einkaufsladen im Dorf zu besuchen. Wo es Comics in der Stadt gab, wußte ich möglicherweise nicht so genau – und die Schule ging wohl erstmal vor.

Daß das Heft so zerfetzt ist, ist ein Zeichen dafür, daß es mich so fasziniert hat wie EC-Fan die # 41. Von der Vorgeschichte habe ich anfangs nicht viel mitbekommen, aber die Story ist für einen Teenager atemberaubend: Triton, der seines Wasserbassins verlustig gegangen ist, liegt im Sterben, und Sue fleht ihre Teamkollegen an, man könne das doch nicht zulassen. Also umgibt sie auf Anweisung von Reed Triton mit ihrem Kraftfeld, und durch eine kleine Öffnung wird Wasser hineingeleitet. Der Sucher pocht darauf, daß Triton sein Gefangener bleibt. Und jetzt hat Stan Lee wohl mal wieder eine brauchbare Idee: Er bringt „Maximus den Prächtigen“ ins Gespräch, auf dessen Befehl der Sucher offenbar handelt.

Genaueres erfährt der Leser zunächst nicht; geschickt wechselt Lee den Schauplatz. Der Kampf von Ding mit dem Drachenmann wird auch gleich um einiges dramatischer, denn der wütet genau vor dem Atelierfenster von Dings Freundin Alicia und bricht schließlich sogar brachial ins Haus ein. Die Fackel kommt Ding zu Hilfe. Nun wird wieder zu Reed, Sue und dem Sucher hinübergeblendet. Wie angekündigt, verläßt der Sucher den Schauplatz, nachdem er Triton in seine Gewalt bekommen hat. Reed protestiert, aber unternimmt nichts dagegen, nimmt jedoch sogleich die Verfolgung des Raumschiffs des Suchers auf.

Nun sind wir wieder in der großen Zuflucht, wohin die Nichtmenschen – mit Medusa und Crystal, aber natürlich ohne Triton – soeben zurückkehren. Im gleichen Augenblick müssen sie sich Horden von Alpha-Primitiven (die sind durch ihren Namen und ihr Aussehen selbsterklärend) erwehren, bis schließlich Maximus auftaucht und sie zurückpfeift. Er tritt in der Pose des Herrschers auf, aber ich bemerkte gleich, daß es sich hier wie bei König Richard Löwenherz und seinem bösen Bruder, Prinz John, verhält (kannte ich schon lange aus „Robin Hood“). Vielleicht hat sich Lee hier auch ein Königsdrama von Shakespeare zum Vorbild genommen.

Black Bolt redet bekanntlich nicht, aber er reagiert mit einer eindrucksvollen Geste: Er nimmt seinem Bruder die Krone ab und setzt sie sich selbst auf. Maximus ist verblüfft, sieht sich aber – dank einer mysteriösen „Atmo-Kanone“ – noch immer als Herr der Lage. Erneut Szenenwechsel (das macht Lee hier sehr geschickt): Die FV nähern sich der Großen Zuflucht. Eine nette humorige Szene wird eingebaut: Sue verschwindet unerwartet; die anderen sind höchst besorgt, aber sie will, indem sie sich unangekündigt unsichtbar macht, nur auf ihre neue Frisur aufmerksam machen, die noch niemand bewundert hat (eine Lauren-Bacall-Frisur, die aber kurz darauf auch wieder geändert wird).

Die FV dringen in die Große Zuflucht ein. Da ringt Maximus noch immer mit den übrigen Nichtmenschen um die Macht. Als Druckmittel setzt er den gefangenen Triton ein. Die übrigen Mutanten müssen sich nun aber erstmal mit den FV beschäftigen. Johnny freut sich, Crystal wiederzusehen; die anderen sind im Begriff, wieder aufeinander loszuprügeln. Es geht diesmal aber um einen echten Streitpunkt, den man dann lieber im Gespräch auszuräumen versucht: Reed will, daß sie ihr Versteck verlassen und sich den Menschen zu erkennen geben; das wollen die Nichtmenschen auf keinen Fall.

Letzter Szenenwechsel: Maximus ist mit dem Sucher und Triton allein zurückgeblieben. Er läßt nun die Atmo-Kanone scharf stellen und drückt auf den verhängnisvollen Roten Knopf – die ganze Erde ist in tödlicher Gefahr. – Trotzdem habe ich mir den nächsten Band damals, sehr wahrscheinlich wegen Geldmangel, nicht besorgt. Meine nächste FV-Ausgabe war erst die # 56.

Sehr gutes Artwork von Jack Kirby und Joe Sinnott (der hier wieder nicht erwähnt wird). Kirby hat viele seiner Manierismen (wie zum Beispiel Leute, die mit ausgestrecktem Zeigefinger deuten oder die mit extrem gespreizten Beinen dastehen) schon entwickelt, zeichnet aber doch noch relativ realistisch. Große Panels setzt er noch sparsam, aber dafür sehr wirkungsvoll ein – werden die Panels größer, dann ist wirklich darin etwas los! Mir hat damals das halbseitige Bild am besten gefallen, auf dem FV und Nichtmenschen aufeinander treffen: Black Bolt hindert die Fackel daran, sich Crystal zu nähern; Medusa hält sie mit ihren Haaren gefangen. Ding und Karnak stehen sich im Vordergrund drohend gegenüber. Gorgon erhebt im Hintergrund seinen Fuß, um ihn aufzustampfen. Reed und Sue zögern noch einzugreifen. Diese Szene ist wirklich eine halbe Seite wert.

Noch eine Bemerkung: Mich hat seinerzeit sicher auch das dramatische Cover zum Kauf bewogen. Eine Felsenbrücke zerbröselt. Ding kann Reed und Sue kaum noch festhalten. Die Fackel düst bereits los in die Tiefe, wo sich die Große Zuflucht, eine wahrhaft futuristische Stadt, ausbreitet – den Kreationen eines Moebius steht sie um nicht viel nach. Als Titel wählt die Redaktion ein altes Volkslied: „Drunten im Unterland“ (Original: „Beware the Hidden Land!“). Ich kannte das Lied nicht, aber das hörte sich auf jeden Fall ziemlich schräg an.

Zitat:
Als "Unterland" bezeichnete man seinerzeit den von der Alten Weinsteige in Stuttgart Neckar abwärts gelegenen Teil Württembergs ("unter der Steig"). Hier, so heißt es, herrschten angenehme klimatische Verhältnisse und es wüchsen Trauben, im "Oberland" ("ob der Steig", am oberen Neckar, auf der schwäbischen Alb und in Oberschwaben) sei es dagegen kalt. Auch die Bewohner der beiden Regionen würden sich grundsätzlich unterscheiden: "Oben sind d'Leut so reich, d'Herzen sind gar net weich", im "Unterland" seien die Menschen zwar arm, dafür aber "froh und frei" und "in der Liebe treu". Entsprechend könne man sich nur hier wohl fühlen. www.liederlexikon.de
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