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Alt 05.11.2016, 14:37   #60  
Servalan
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Standard Karel Čapek: Válka s mloky (1936) / Der Krieg mit den Molchen (1937)

Diverse Ausgaben, zuletzt Aufbau-Verlag 2009 sowie deren Lizenzausgabe 2016 bei der Büchergilde Gutenberg, darunter Diogenes 1981, 330 Seiten
http://www.rodon.cz/admin/files/Modu...ka-s-mloky.pdf (Volltext auf Tschechisch, pdf, 170 Seiten)
https://web2.mlp.cz/koweb/00/03/34/7...ka_s_mloky.pdf (Volltext auf Tschechisch, pdf, 219 Seiten)
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Krieg_mit_den_Molchen
https://cs.wikipedia.org/wiki/Válka_s_Mloky

Karel Čapek (1890-1938) zählt zu den wichtigsten tschechischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
Ihm verdanken wir das heute alltäglich gewordene Wort "Roboter", das durch sein Theaterstück R.U.R. (Rossumovi Universální Roboti) (1920) seinen Siegeszug antrat. Dennoch wäre es kurzsichtig, ihn auf seine phantastischen und futuristischen Werke zu verengen, obwohl diese im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreitet sind.

Weil diese Literatur unseres Nachbarvolkes ein Nischendasein führt, ist er in unserem Sprachgebiet eher ein Geheimtipp. Während Václav Havel, Milan Kundera und der Schwejk-Erfinder Jaroslav Hašek zumindest dem Namen nach bekannt sind, muß Čapek auch unter Bücherfreunden vorgestellt werden (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Die UNESCO hat seinen Roman Der Krieg mit den Molchen in ihre Sammlung repräsentativer Werke aufgenommen und mit Übersetzungen gefördert. 1937 erschien die erste deutschsprachige Fassung in einem Wiener Verlag, 1954 ließ der Aufbau-Verlag (der DDR) das Werk von Eliška Glaserová neu übersetzen - auf dieser Fassung basiert die letzte Neuausgabe der Büchergilde Gutenberg 2016.

Persönlich war Čapek mit dem ersten Präsidenten der Tschechischen Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, eng befreundet, trotzdem ließ er sich von niemandem vereinnahmen und pochte auf seine Unabhängigkeit. Der Science-Fiction-Roman spielt mit der Idee, dass eine fremde Rasse entdeckt wird - aber nicht auf einem fremden Planeten, sondern in einem fernen Meer, sprich im heutigen Indonesien.
Teilweise nimmt Čapek Klischees auf die Schippe, die aus King Kong bekannt sind: Leute aus Hollywood filmen vor exotischer Kulisse und stoßen auf Wesen, die sie als Monster betrachten.
Doch bald erkennt ein Tycoon aus Prag, das sich die Molche als nützliche, billige Arbeiter einspannen lassen. Damit diese Amphibien überleben können, müssen künstlich Küstengebiete hergestellt werden. Doch diese Ware entwickelt eine eigene Dynamik und schon bald gibt es zwei unabhängige Molchreiche, eines unter dem Chief Salamander, das andere unter dem King Salamander.

Allgemein wird der Anschluß der Fantasy und Science Fiction an die moderne Literatur mit der britischen New Wave verbunden: Michael Moorcock, James Graham Ballard, Brian Aldiss & Co.
Insofern ist Čapeks Kleinod ein Solitär, der sich am besten mit anderen modernen Romanen aus weniger bekannten Ländern verglichen werden kann, zum Beispiel dem spanischen Roman Schweigen über Madrid von Luis Martín-Santos (Erstausgabe 1961 in Mexiko).
Denn wie James Joyce spielt er mit den literarischen Formen: Der erste der drei Teile kommt locker-flockig wie ein Jugendbuch daher, allerdings schwingt untergründig ein jovial-süffisanter Tonfall mit, der sich an Erwachsene richtet.
Durch elliptische Kunstgriffe verkürzt und verdichtet er im zweiten Teil die simple Chronik des Aufstiegs der Molche zu Konkurrenten der menschlichen Spezies. Das Buch wimmelt von Inserts und zitierten Schlagzeilen, die graphisch den Fließtext unterbrechen. Im zweiten Teil treibt er das Prinzip auf die Spitze: Die Leserschaft verfolgt das Geschehen über die Schulter von Herrn Povondra, dem Portier des Konzernbesitzers G.H. Bondy, indem er fleißig Zeitungsschnipsel archiviert. (Das erinnert an Charles Fort, ein Vorbild H.P. Lovecrafts.)
Das Schlußkapitel ist reine Metafiktion: Der Autor interviewt sich selbst, bis er nicht mehr weiter weiß.

Geändert von Servalan (20.01.2017 um 16:02 Uhr)
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