Thema: Filmklassiker
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Alt 24.10.2022, 07:52   #88  
Peter L. Opmann
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Ich glaube, ich muß dem Titel dieser Diskussion wieder mehr gerecht werden. Daher kommt jetzt ein Ernst-Lubitsch-Film, kein elegantes erotisches Vexierspiel wie bei ihm meist, sondern ein Anti-Nazi-Film mit dem Titel „Sein oder Nichtsein“.(1942). Das war also zwei Jahre nach Chaplins „Großem Diktator“, aber immer noch vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Ich würde sagen, die Nazis werden hier noch übler verspottet als bei Chaplin. Hitler hat hier zwar nur eine Nebenrolle, aber Nazi-Schergen allgemein werden gnadenlos als überheblich und dumm bloßgestellt. Wäre schön gewesen, wenn sich damals, so wie in dem Film, Geist und Witz durchgesetzt hätten und der Krieg nicht durch militärische Gewalt hätte entschieden werden müssen.

Die Story ist recht kompliziert. Ich hoffe, es gelingt mir, sie zusammenzufassen. Am Vorabend des Kriegsausbruchs probt eine Warschauer Theatertruppe ein Anti-Nazi-Stück, in dem Hitler nur als Komparse vorkommt. Der Darsteller ist auch nicht besonders gut. Der Theaterleiter (Jack Benny) und seine divenhafte Frau (Carole Lombard) liefern sich ein subtiles Duell, wer von beiden künstlerisch besser und bedeutender ist.

Lombard hat ihrem Gatten auf jeden Fall eines voraus: einen jungen Liebhaber, den Luftwaffensoldaten Sobinski. Er sitzt immer in der ersten Reihe, wenn sie auftritt, und sie haben vereinbart, daß er stets in ihre Garderobe kommt, wenn ihr Mann im „Hamlet“ den Monolog „Sein oder Nichtsein“ beginnt. Da platzt die Nachricht herein, daß Polen überfallen worden ist und der Krieg begonnen hat. Sobinski muß sich seinem Kampfflugzeug widmen. Zusammen mit ein paar Kameraden fliegt er nach England und schließt sich der RAF an. Ein polnischer Geheimdienstler verrät ihnen, daß er dabei ist, nach Warschau zurückzukehren. Sie tragen ihm darauf Grüße an ihre Angehörigen daheim auf, die er sorgfältig notiert. Seltsam ist nur, daß er Carole Lombard nicht kennt, die eine nationale Berühmtheit ist.

Es stellt sich heraus, daß der Geheimdienstler in Wirklichkeit ein Nazi ist und nun Druckmittel gegen die Bomberstaffel in der Hand hat. Sobinski beschließt, ihm zu folgen und ihn unschädlich zu machen, bevor er die Liste den Besatzern aushändigen kann. Zugleich möchte er auch Lombard wiedersehen. Als er in Warschau eintrifft, beschließt die Theatertruppe, ihm zu helfen (während Benny allmählich ahnt, was da zwischen dem jungen Flieger und seiner Frau läuft). Der Verräter will den deutschen Gruppenführer in Polen aufsuchen, um ihm die Daten der Flieger zu übergeben. Sie lotsen ihn ins Theater, das sie dank des gerade einstudierten Stücks wie die Gestapo-Zentrale aussehen lassen können, präsentieren ihm einen falschen Gruppenführer, nehmen ihm seine Notizen ab und töten ihn, als er zu fliehen versucht.

Nun will aber der echte Gruppenführer den Geheimagenten sehen. Außerdem erfahren die Theaterleute, daß es noch ein zweites Exemplar der verfänglichen Liste gibt. Jack Benny schlüpft in die Rolle des Verräters, und Carole Lombard will sich mit dem Gruppenführer treffen, um an die zweite Liste heranzukommen. Die Nazis haben schon mitbekommen, daß der Geheimdienstler tot ist, und wollen den Doppelgänger ins offene Messer laufen lassen. Wie zufällig bringen sie Benny mit der Leiche zusammen. Indem er dem Toten in einem unbeobachteten Moment den Bart abnimmt, kann er jedoch vorgeben, dieser sei der Imitator. Nach diesem Reinfall geht der Gruppenführer zum Rendezvous mit Carole Lombard. Sie rettet, daß plötzlich bekannt wird, daß Adolf Hitler persönlich auf dem Weg nach Warschau ist. Der Gruppenführer hat nun Wichtigeres zu tun, als sie zu verführen.

Die Theatertruppe redet den Warschauer Nazis ein, Hitler werde eine Vorstellung in ihrem Theater besuchen. Sein Auftauchen samt Leibgarde wird aber von ihnen inszeniert. Zudem spielen sie ein kleines Attentat auf den Führer vor, für das die Schuld dem Gruppenführer in die Schuhe geschoben wird. Zu seiner Sicherheit muß nun (der falsche) Hitler unverzüglich wieder aus Warschau herausgeschleust werden. So bringt sich das Ensemble per Flugzeug in Sicherheit. Die deutsche Flugzeugbesatzung ist echt. Der verkleidete Führer befiehlt ihr jedoch, mitten im Flug aus der Maschine zu springen, was sie mit wahrem Kadavergehorsam sofort tut. In England kann Benny ebenfalls den „Hamlet“ geben. Und wieder steht ein junger Mann in der ersten Reihe auf, sobald er den Monolog „Sein oder Nichtsein“ beginnt.

Diese Geschichte war zweifellos harte Arbeit für den Drehbuchautor. Der Witz des Films liegt aber vor allem darin, daß die Schauspieler in ihren Nazi-Rollen immer schlecht und abgeschmackt sind, aber die echten Nazis damit völlig täuschen können. Das kann also nur daran liegen, daß die Nazis in natura ebenso schlecht und abgeschmackt sind. Volker Schlöndorff, der sich in seinem Film „Die Blechtrommel“ selbst über Nazis lustiggemacht hat, warnte einmal: „Die sind total blöd, aber sie haben die Macht!“ Insofern kann ich verstehen, daß der Lubitsch-Film anfangs manche empört hat. Für mich, der diese Zeit nicht erlebt hat, ist das jedoch eine meisterhafte Komödie. Indem man über sie lacht, kann man Diktatoren ein Stückweit ihre Macht nehmen – wenn man es sich denn erlauben kann.

Übrigens spielen in dem Film zahlreich deutschstämmige Schauspieler mit, eine Lubitsch-Truppe, die zu Hochform aufläuft. Erwähnenswert sind vor allem Felix Bressart als polnischer Schauspieler und Sig Ruman als Gruppenführer. Und noch eins: Hier habe ich zahlreiche Gags nicht verraten (falls jemand den Film noch nicht kennt).
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