Thema: Damals war's
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Alt 03.06.2009, 15:15   #9  
Servalan
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Standard Irgendwann in den frühen 1970ern (mein Damals)

Damals ging ich noch in die Grundschule; es muß das erste oder zweite Schuljahr gewesen sein. Ich langweilte mich hoffnungslos, weil ich schon vor meiner Einschulung lesen und schreiben konnte. Mein Vater putzte Klinken für einen Versicherungskonzern und meine Mutter schmiß den kleinen Schuhladen in einem Vorort von Neumünster, der die ganzen Vertriebenen auffangen sollte. Dort gab es zwei Kindergärten, einen kirchlichen und einen von der Gemeinde - in letztgenanntem verbrachte ich einige Jahre meiner frühen Kindheit. Ständig ermahnte mich meine Mutter zur Rücksicht; ich solle die anderen Kinder auch mal vorlassen, denn wenn es um Gedichte aufsagen, Gelerntes memorieren und andere Kunststückchen ging, war ich in meinem Element. Brav gehorchte ich der Obersten Direktive meiner Erziehungsberechtigten und schwieg fortan: Ich schaute zu, wie die Mädchen und Jungs verlegen rumdrucksten, obwohl ich es (meist) besser wußte.

Tja, und dann gab es den Gemeindearzt, der das Urteil abgab, ob ich schulfähig sei oder nicht. Das Verfahren zur Klärung des Sachverhalts hatte was von der klassischen Methode des Sockenkaufs, deren Größe ja durch ein Vergleichen mit der geballten Faust verglichen konnte. In Sache Schule lief so: Das Kind mußte sich einem Arm über den Kopf an das Ohr auf der anderen Seite fassen. Gelang das, gab's grünes Licht; falls nicht, bedeutete rot das Drehen einer Ehrenrunde. Wäre es nach meinen Eltern gegangen, ich wäre mit fünf eingeschult worden, weil da schon Grundkenntnisse in Rechnen und Schreiben hatte. Ein weiteres Jahr ist ärgerlich; aber mit sechs wiederholte sich das blöde Spiel der dämlichen Erwachsenen.

Eine beliebte Methode der elterlichen Strafe war Stubenarrest, den ich zum ersten Mal in voller Härte auskosten durfte, als ich mit einem Fußball ein Fenster in der Küche zertrümmert hatte. Damals war ich so naseweis, daß ich mir ausrechnete: Das würde nicht das einzige Mal bleiben. Also traf ich Vorsorge, damit mein Exil nicht allzu trübsinnig ausfiel und schaffte mir Bücher an - den Anfang meiner privaten Bibliothek. Dabei haßte ich nichts mehr als Kinder- und Jugendbücher oder "pädadgogisch wertvoll" deklariertes Zeug; sowas schreckte mich ab und verstaubte ungelesen. Ansonsten war ich nicht wählerisch, dafür war ich altklug und naseweis.

Soviel nur, damit der Hintergrund nicht zu unrealistisch wirkt: Ich hatte Ferien oder war ein Feiertag mit verlängertem Wochenende. Jedenfalls übernachtete ich zwei- oder dreimal an anderen Ende der Stadt. Als Lektüre hatte ich Gustav Schwabs Klassiker Sagen des klassischen Altertums dabei, bei denen ich nach 130 Seiten das Gefühl hatte, nur Anfänge zu lesen, während mir ein Ende ständig vorenthalten wurde. Bevor nun am Samstagmittag die Laden zum Wochenende schlossen, wollte meine Oma ihrem Gast was Gutes tun und ging zu einem Pavillion am Kuhflecken (der heißt in dem Nest tatsächlich so!), Stil 1950er Jahre in Nierensteinform. Dort erstand sie mir ein Bessy-Heft. Eine Geschichte mit Ende! Und nächste Woche gab's die nächste! Ich war begeistert! ... aus den Heften wurde eine Sammlung.
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