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Alt 23.06.2016, 08:19   #139  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Nummer 31 Troja in Flammen, Griechen gegen Griechen






In dieser Geschichte geht es natürlich um den Raub Helenas durch den trojanischen Königssohn Paris. Hier haben wir keine historisch belegte Geschichte vor uns, sondern die Erzählung des Dichters Homer, der als Person selbst nicht 100%ig greifbar ist. Und das sogar schon in der Antike, wo über den Zeitraum seines Lebens spekuliert wurde – und bis auf den heutigen Tag, ob seine bekanntesten Werke, die ILLIAS, also ein Abschnitt des Trojanische Krieges und die daran anschließende ODYSSEE, die 10 Jahre währende Irrfahrt des Odysseus, von dem die Idee mit dem berühmtesten aller Pferde stammen soll, tatsächlich von Homer bzw. von einem einzelnen Künstler stammt. Also ist aus mehreren Gründen eine kritisch/historische Betrachtung dieses Heftes kaum möglich, da es sich um eine Dichtung handelt, der aber anscheinend ein wahrer Kern zu Grunde liegen kann. Bei Ausgrabungen (u.a. Heinrich Schliemann) hat man für den in Frage kommenden Zeitpunkt, also etwa 1200 v.d.Z. in den verschiedenen Schichten entsprechende Zerstörungsspuren identifiziert.

Getextet hat die Heftgeschichte vermutlich Wilhelm Knoop, jedenfalls nach den Aussagen Wäschers. Knoop hat der Geschichte nicht nur die Ilias zugrunde gelegt, sonder ist auch auf den Anfang des zehnjährigen Gemetzels zwischen Achäern und Trojanern eingegangen: der Raub Helenas durch den geilen Paris (siehe Abbildung weiter unten) und den Aufruf König Menelaus, sie mit Gewalt an seinen Herd oder Hof zurück zu holen. Für diese Liebschaft mussten im Laufe der Jahre hunderte, eher tausende Männer und später, bei der Plünderung und Zerstörung Trojas, auch Frauen und Kinder sterben. Hansrudi Wäscher war für die Zeichnungen verantwortlich, wieder einmal als Helfer in der Not. Ihm sind schöne Bilder gelungen, 2 Seiten mögen dies veranschaulichen.









Abschließend ein Textvergleich von Knoop mit Homer:

„Als Hektor seinen Gegner sieht, vermag er nicht mehr still zu stehen, er flieht. Aber hinter ihm jagt, wie ein Falke der Taube nachsteigt, Achill. Viermal umkreisen sie die Mauern der Stadt, dann verweilen sie. Jetzt stürmt Hektor, sein gewaltiges Schwert in der Rechten schwingend, heran, aber Achills Auge erblickt, geschützt durch seinen
Schild, die Kehle Hektors etwas entblößt. Schnell lenkt er seinen Stoß dahin, und zu Tode getroffen sinkt Hektor in den Staub.“

„So von der Schärfe des Speers auch strahlte es, welchen Achilleus

Schwang in der rechten Hand, wutvoll den göttlichen Hektor,

Spähend den schönen Leib, wo die Wund´ am leichtesten hafte.

Rings zwar sonst umhüllt´ ihm den Leib die eherne Rüstung.

Blank und schön, die er raubte, die Kraft des Patroklos ermordend;

Nur wo das Schlüsselbein den Hals begrenzt und die Achsel.

Schien die Kehl´ ihm entblößt, die gefährlichste Stelle des Lebens;

Dort mit dem Speer anstürmend durchstach ihn der edle Achilleus,

Daß ihm hindurch aus dem zarten Genick die Spitze hervordrang.

Doch nicht gänzlich den Schlund durchschnitt der eherne Speer ihm,

Daß er noch zu reden vermocht im Wechselgespräche;

Und er entsank in den Staub; da rief frohlockend Achilleus:

Hektor, du glaubtest gewiß, da Patroklos´ Wehr du geraubet,

Sicher zu sein, und achtetest nicht des entfernten Achilleus.

Törichter! Jenem entfernt war ein weit machtvollerer Rächer

Bei den gebogenen Schiffen, ich selbst, zurück ihm geblieben,

Der dir die Knie gelöst! Dich zerren nun Hunde und Vögel,

Schmählich entstellt; ihn aber bestatten mit Ruhm die Achaier.

Wieder begann schwachatmend der herumflatternde Hektor:

Dich beschwör ich beim Leben, bei deinen Knien und den Eltern,

Laß mich nicht an den Schiffen der Danaer Hunde zerreißen;

Sondern nimm des Erzes genug und des Köstlichen Goldes

Zum Geschenk, das der Vater dir beut und die würdige Mutter!

Aber der Leib entsende gen Ilios, daß in der Heimat

Troias Männer und Frauen des Feuers Ehre mir geben.

Finster schaut´ und begann der mutige Renner Achilleus:

Nicht beschwöre mich , Hund, bei meinen Knien und den Eltern!

Daß doch Zorn und Wut mich erbitterte, roh zu verschlingen

Dein zerschnittenes Fleisch für das Unheil, daß du mir brachtest!

So sein fern, der die Hunde von deinem Haupt dir verscheuchte!

Wenn sie dir auch zehnmal soviel und zwanzigfälltige

Sühnung Hervorgebracht darwögen und mehreres noch mehr dir verhießen,

Ja, wenn dich selber mit Gold auch aufzuwägen geböte

Priamos, Dardanos´ Sohn, auch so nicht bettet die Mutter

Dich auf Leichengewand und bejammert, den sie geboren;

Sondern Hund´ und Vögel umher zerreißen den Leichnam!

Wieder begann, schon sterbend, der herumflatternde Hektor:

Ach, ich kenne dich wohl und ahnete, nicht zu erweichen

Wärest du mir; denn eisern ist, oh, dein Herz in dem Busen.

Denke nunmehr, daß nicht dir Götterzorn ich erwecke,

Jenes Tages, wann Paris dich dort und Phoibos Appolon

Töten, wie tapfer du bist, am hohen skaiischen Tore!

Als er dieses geredet, umschloß ihn das Ende des Todes!"

Der oberste Text beschreibt den Zweikampf und die Sterbeszene Hektors aus dem Heft. Die darunterliegenden Zeilen schildern den letzten Zweikampf der Helden und sind aus der deutschen Übersetzung von J. H. Voß, aus dem Taschenbuch Nummer 411 des Goldmann Verlags, und daraus die Verse 315 bis 360 des zweiundzwanzigsten Gesanges. Wilhelm Knoop hat, finde ich, eine ganz passable Übertragung der Sterbeszene Hektors hinbekommen. Zumal sie für jugendliche Leser gedacht war, denen hier, ähnlich wie in den „Illustrierten Klassiker“, das vermutlich älteste europäische Epos, nahe gebracht werden sollte. Der Urtext ist schon in der Ausschmückung, vom Stil mal ganz abgesehen, gewöhnungsbedürftig. Wenn man sich aber einmal eingelesen hat – und das auch durchhält – liest es sich zügig und interessant. Mir kam gelegentlich der Gedanke, dass Homer ein Zeilenhonorar mit dem damaligen Verleger oder Theaterdirektor ausgehandelt hatte … mal ein wenig despektierlich vermutet.

Mein Rechtschreibprogram hat schon normalerweise genug zu tun, aber bei der wörtlichen Übertragung der Originalübersetzung wollte es gelegentlich die Segel streichen …

Geändert von Detlef Lorenz (23.06.2016 um 08:33 Uhr)
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