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Alt 28.12.2022, 11:14   #6  
God_W.
Captain Rezi
 
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Klappentext bzw. Angaben des Verlags:
Splitter widmet dem Meister der Science Fiction eine sechsbändige Prachtausgabe.

H.G. Wells ist, neben Jules Verne, nicht nur ein, sondern der Ahnherr und Klassiker der modernen Science-Fiction-Literatur. Einige seiner Bücher sind Schlüsselwerke des utopischen Zukunftsromans, »Der Krieg der Welten« etwa, »Die Insel des Dr. Moreau« und natürlich »Die Zeitmaschine«. Im Laufe der Jahrzehnte sind sie unzählige Male adaptiert, interpretiert, kopiert, zitiert und auch persifliert worden. Allein »Der Krieg der Welten« ist ein äußerst beliebter Stoff, auch und gerade im Comic, und dürfte so oft im Stil der jeweiligen Zeit verarbeitet worden sein – von Orson Welles‘ legendärer Hörspielfassung, die 1938 in den USA angeblich für Massenpanik sorgte, bis hin zu Roland Emmerichs »Independence Day« 1 & 2 (Tim Burtons »Mars Attacks!« nicht zu vergessen) –, dass der eigentliche Urheber dahinter gerne vergessen wird.

Szenarist Dobbs hat sich deshalb nun daran begeben, zusammen mit einigen ausgewählten Zeichnern eine zeitgemäße Interpretation der Hauptwerke von H.G. Wells im klassischen Geist vorzulegen – neben den eingangs genannten Titeln zudem noch »Der Unsichtbare«, ein weiteres Beispiel dafür, dass die Erzählungen von Wells stets spannend sind, unterhaltsam, auch amüsant und vor allem eins: zeitlos aktuell!

- Genug! Seien Sie jetzt still!
- Sie verstehen weder, wer ich bin… noch was ich bin!
- Also werde ich es Ihnen zeigen! Ein für alle Mal!

H.G. Wells – Der Unsichtbare 1/2



Just my 2 cents:
Am Wochenende fielen bei uns die ersten Schneeflocken diesen Winters und so wurde ich direkt in die passende Stimmung versetzt mich in einen der Comics, die ich mir extra für die kalte Jahreszeit aufgespart habe, zu vertiefen. Da ich schon länger sehr gespannt auf den Abschluss der schicken Reihe, die der Splitter Verlag zu Ehren des Sci-Fi-Altmeisters H.G. Wells herausgebracht hat, war, fiel die Wahl auf den ersten Band des Zweiteilers Der Unsichtbare. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch dieses Buch von Wells, genau wie Krieg der Welten, noch ungelesen in meinem Bücherregal steht, ein direkter Vergleich mit der Buchvorlage fällt also wieder weg. (Anmerkung des Rezensenten: Auch dieser Missstand wurde mittlerweile behoben. ) Dennoch bin ich schon seit langem ein riesen Fan des Unsichtbaren in all seinen filmischen Variationen.

Angefangen mit dem famosen Claude Rains und seiner vor allem stimmlich unglaublich intensiven Darstellung im Universal-Klassiker, sowie den ganzen Fortsetzungen dazu. Ja da waren nicht alle brillant, manche noch recht spannend, andere eher lustig, aber ich bin doch immer wieder überrascht wie toll die schon damals zu Schwarz/Weiß-Zeiten die Effekte hinbekommen haben, da war noch Einfallsreichtum gefragt! John Carpenters unerwartet humorvolle Variante Jagd auf einen Unsichtbaren mit Chevy Chase in der Hauptrolle kann ebenso bedenkenlos empfohlen werden wie Paul Verhoevens Hollow Man, der eine weit härtere Gangart einschlägt und neben den wieder mal grandiosen Effekten vor allem die Veränderungen der Psyche, die der Unsichtbare erfährt in den Vordergrund stellt. Das trifft bei mir einen Nerv und wohl auch den vieler Anderer, denn seien wir mal ehrlich: Wer hat sich noch nie darüber Gedanken gemacht, was man alles tun würde, wenn man wüsste, dass man nicht erwischt werden kann und sicher ungestraft davonkommt. Diese Frage der Moral ist bestimmt auch eine Kernintention von Wells gewesen und macht einen Großteil der bis heute präsenten Aktualität und Faszination des Stoffes aus. Notiz am Rande: Hollow Man 2 mit Christian Slater statt Kevin Bacon als Unsichtbarem kann man sich getrost sparen.

Jetzt aber zu dem wirklich wundervoll aufgemachten Album von Splitter, die uns schon auf dem, mit Goldprägung versehenen Cover ein derart stimmungsvolles Titelbild präsentieren, dass man am liebsten sofort loslesen möchte, sobald man das Schmuckstück in Händen hält. So schick sich die Ausgabe von außen präsentiert, vom Inhalt wird das alles noch übertroffen. Es ist unfassbar, wie perfekt das Artwork von Chris Regnault innerhalb von zwei, drei Seiten eine derart dichte Atmosphäre schafft, die bis zum Ende nicht ein Stück nachlässt. Wunderbar detailliert gelingt es ihm in seinem klassischen Zeichenstil mit unverhoffter Leichtigkeit zwischen spannenden Szenen, wohligem Grusel, dezentem Humor und sogar einem Spritzer Erotik hin und her zu wechseln, ohne auch nur einmal seine Linie zu verlieren. Perfekter kann man ein Artwork zu einem solchen Thema in dieser Epoche um die Jahrhundertwende kaum gestalten.

Auch Dobbs gibt sich diesmal als Autor keine Blöße und findet nach dem etwas holprigen vierten Band Die Insel des Dr. Moreau zu alter Stärke zurück. Wunderbar fließend, stimmungsvoll und wie aus einem Guss wirkend schreitet die Geschichte voran. Die extrem fesselnde Story wird einfach toll erzählt, die Charaktere wirken allesamt sehr lebendig und jeder hat seinen eigenen Charakter, der wirklich gut getroffen wird. Am besten ist die Entwicklung des Protagonisten herausgearbeitet, dessen Verhalten oftmals Moralfragen aufwirft, aber von einem gewissen Standpunkt aus immer nachvollziehbar bleibt. Man steht oft mit sich im Zweifel, ob man mit ihm mitfiebern, oder ihn verdammen soll. Damit nimmt mich die Geschichte mit, bezieht mich sogar mit ein und weckt Emotionen, großes Kino. Apropos Kino, wie im Film von 1933 setzt auch unsere Geschichte ein…

Alles beginnt mit dem geheimnisvollen Fremden, der durch einen wilden Schneesturm stapft und in einem Gasthaus innerhalb einer kleinen, ländlichen Ortschaft ein Obdach sucht. Die wunderbar schrullige Haushälterin offeriert ihm ein Zimmer und weckt das junge, reizende Dienstmädchen um die Stube für den Gast vorzubereiten. Das es sich bei dem bis oben hin vermummten Zeitgenossen um den Unsichtbaren handelt wissen bis dahin natürlich nur wir Leser. Doch auch, wenn die Absichten und die Gesinnung des Mysteriösen Wissenschaftlers anfänglich unklar bleiben entwickelt sich schnell eine bedrohliche Atmosphäre. Das der Charakter des neuen Mitbewohners keineswegs frei von Tadel ist stellen wir bereits in der ersten Nacht fest, in der er seine besondere Fähigkeit direkt ausnutzt, um das reizende Dienstmädchen genauer zu betrachten, später wird er sogar zum Dieb.

Dennoch gelingt es dem Unsichtbaren seinen besonderen Zustand sehr lange vor der Dorfgemeinschaft zu verheimlichen, auch wenn die Gerüchteküche ob des seltsamen Gebarens des Neuankömmlings natürlich brodelt. Als ihm all die neugierigen Gesellen immer dichter auf die Pelle rücken platzt dem sehr reizbaren Individuum schließlich der Kragen und er reißt sich seine Bandagen vom Leib. Ab hier überschlagen sich die Ereignisse und eine atemlose Hetzjagd beginnt…

Ihr merkt es, nach dem noch ganz guten Krieg der Welten und der leider etwas schwächelnden Insel des Dr. Moreau steuert die sechsbändige Reihe um Kult-Autor H.G. Wells auf ein furioses, zweibändiges Finale zu. Sehr gut geschrieben und mit, im positiven Sinne, außergewöhnlichem Artwork hat sich Autor Dobbs das Sahnestück scheinbar bis zum Schluss aufgehoben. Ich hoffe der zweite Band kann diesen grandiosen Start zu einem würdigen Ende bringen und das Rennen sicher nach Hause fahren.

9/10

VG, God_W.
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