Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 17.10.2022, 08:22   #31  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.560
Gehen wir mal zum Western über. Ich schreibe über einen, der vielleicht nicht allzu bekannt ist: „Der Besessene“ (1961) von und mit Marlon Brando. Ich glaube, abgesehen von „Duell am Missouri“ ist das sein einziger Western – vielleicht könnte man noch „Ein Mann wird gejagt“ (1966) dazuzählen; der spielt zwar im Texas der Gegenwart, weist aber Westernelemente auf, und Brando spielt einen Sheriff.

Doch zurück zu „Der Besessene“ („One-eyed Jacks“). Es ist auch Brandos einzige Regiearbeit. Ich glaube, der Film hat damals viele Erwartungen des Publikums enttäuscht (nicht in Bezug auf Brando, aber in Bezug auf einen Western). Er war ein Mißerfolg, und die 1960er Jahre hindurch hatte Brando keine richtigen Kassenerfolge mehr. Er war dennoch eine lebende Legende, so daß er dann für Cameoauftritte in „Superman“ (1978) und „Apocalypse Now“ (1979) Rekordgagen einstreichen konnte. Ich habe gelesen, daß bei „Der Besessene“ eigentlich Stanley Kubrick Regie führen sollte. Aber Brando konnte sich mit ihm nicht über die Inszenierung einigen (das wiederholte sich dann bei „Meuterei auf der Bounty“, wo eigentlich Carol Reed Regie führen sollte). Daher übernahm er hier selbst die Regie, und er lieferte – anders als etwa John Wayne bei „Alamo“ – keine schlechte Arbeit ab.

Was ist das Besondere an diesem Western? Wie wohl kaum je vorher führt er einen sehr ambivalenten, beinahe bösen Helden vor. In der Buchvorlage ging es um Billy the Kid (der Name fällt im Film nicht), aber so böse hatte ihn nicht einmal Paul Newman dargestellt. Brando arbeitet als Bankräuber mit einem Kumpan zusammen, der wie ein väterlicher Freund erscheint (Karl Malden). Ein Coup geht allerdings schief, Brando und Malden werden auf der Flucht gestellt. Malden verspricht, kurz bevor sie geschnappt werden, er werde frische Pferde holen, macht sich aber mit der Beute davon und läßt Brando im Stich. Darauf hängt Malden die Gangsterkarriere an den Nagel, wird ein braver Bürger und sogar zum Sheriff eines kalifornischen Nests gewählt. Niemand weiß etwas von seiner Vergangenheit.

Nach Jahren im Gefängnis taucht Brando bei Malden auf. Er sieht, daß Malden geheiratet und auch eine hübsche Stieftochter hat. Malden gegenüber beteuert er, er habe für seine Verbrechen bezahlt und wolle nun auch bürgerlich werden. In Wahrheit plant er, seine Familie zu zerstören, was er dann auch tut. Speziell die Stieftochter verführt er, um ihr dann zu erklären, sie sei nur ein Werkzeug seiner Rache. Malden versucht, Brando unschädlich zu machen, stellt ihm eine Falle, zerschmettert seine Schußhand und wirft ihn wieder ins Gefängnis. Brando bricht aber aus, versteckt sich, bis seine Hand wieder geheilt ist, und kehrt zurück, um Malden zu töten.

Der Zuschauer ist gezwungen, alles aus der Perspektive Brandos zu sehen und mit ihm mitzufühlen. Dabei zieht der Film ihn unwiderstehlich in seinen Bann. Eine sehr eigenartige Erfahrung, was es in späteren Filmen natürlich auch gibt, aber was damals ziemlich ungewöhnlich war. Der Film spielt im US-mexikanischen Grenzgebiet, und das kalifornische Pazifikufer bildet den Hintergrund – ich kenne sonst keinen Western, in dem das Meer zum Naturerlebnis gehört.

Den Brando-Rebellen finde ich in anderen Filmen wie „Die Faust im Nacken“ oder auch „Meuterei auf der Bounty“ noch überzeugender. Aber „Der Besessene“ ist einer meiner Lieblingswestern. Die Linie hin zu Sam Peckinpah und Italowestern wie „Leichen pflastern seinen Weg“ ist unverkennbar.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten