Thema: Filmklassiker
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Alt 16.02.2024, 06:11   #1895  
Peter L. Opmann
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Es ist wieder mal Western-Zeit. Amerikanische Western folgen sehr strikten, engen Genre-Regeln. Ein paar weichen davon ab, und zu ihnen gehört „Ritt zum Ox-Bow“ (1943) von William A. Wellman. Er erschien, als die USA gerade im Krieg mit Nazi-Deutschland waren, und es wirkte daher unpassend, daß er die Amerikaner nicht nur ganz unheroisch, sondern sogar leicht aufzuwiegeln und zu fanatisieren zeichnete. Er paßt jedoch gut auch in unsere Zeit der Wutbürger und gewalttätigen Demonstranten. Der Film wurde von Anfang an von der Kritik anerkannt, war aber zunächst kein geschäftlicher Erfolg für sein Studio, die 20th Century Fox. Natürlich möchte sich niemand gern in den hier gezeigten Figuren wiedererkennen. Das ist das Problem aller politischen Filme.

Cowboy Henry Fonda kommt mit einem Freund (Harry Morgan) in ein Nest in Nevada, um seine Braut zu holen, aber die ist abgereist. Während er noch überlegt, was er in dieser Gegend anfangen kann, wo es im Saloon nur eine Sorte Whisky gibt, trifft die Nachricht ein, daß ein Rancher ermordet und sein Vieh gestohlen worden sei. Der Sheriff ist gerade nicht da, und damit nicht die Verbrecher am Ende noch entwischen, wird kurzerhand ein Suchtrupp zusammengestellt. Die Teilnehmer freuen sich schon darauf, die Täter zu hängen – auch für sie ist das Leben in der Stadt wenig abwechslungsreich. Der Richter will sie zurückhalten, aber seine Gewalt beschränkt sich auf den Gerichtssaal, den die Übeltäter gar nicht zu sehen bekommen sollen. Fonda und Morgan reiten mit, um sich nicht verdächtig zu machen.

In der Nacht stößt der Trupp auf drei Männer (Anthony Quinn, Dana Andrews und Francis Ford), die Vieh mit dem Brandzeichen des Ranchers bei sich haben. Sie behaupten, sie hätten es ihm abgekauft, aber die Wortführer des Suchtrupps glauben ihnen nicht. Sie halten die Drei des Verbrechens für überführt und wollen sie bei Tagesanbruch lynchen. Als einige, darunter auch Fonda, sich dagegen aussprechen, schreiten sie zu einer Abstimmung. Die Mehrheit ist für die Hinrichtung, und Fonda setzt sich nicht mehr weiter für die drei Männer ein. Andrews schreibt einen Abschiedsbrief und bittet, ihn seiner Frau zu überbringen. Dann werden die Drei gehängt. Bei der Rückkehr in die Stadt begegnet die Gruppe dem Sheriff. Der teilt ihnen mit, der Rancher sei nicht tot, und die Viehdiebe habe er gefaßt und eingesperrt. Er kündigt allen, die für die Hinrichtung waren, eine harte Bestrafung an. Einer der Rädelsführer, ein ehemaliger Südstaatenmajor des Bürgerkriegs (Frank Conroy), kommt dem zuvor und begeht in seinem Haus Selbstmord. Fonda liest den Abschiedsbrief vor. Er wird ihn zusammen mit einem Geldbetrag, der rasch gesammelt worden ist, der Witwe überbringen.

Sieht man von der politischen Botschaft ab, die man im Extremfall als Warnung vor dem alltäglichen Faschismus, auch außerhalb Deutschlands, verstehen könnte, so bricht „Ritt zum Ox-Bow“ auf jeden Fall einige Genre-Regeln. Es gibt keinen Helden, sondern nur Männer, die mehr oder weniger aufgehetzt sind und mehr oder weniger versagen. Fonda, der eigentlich die Heldenrolle hat, klärt weder den Fall auf, noch findet er zu einer klaren Haltung zu dem Lynchmord. Er will ihn zwar nicht, aber letztlich hält er sich lieber raus. Wellman zeigt keinen wild gewordenen Mob, wie das in ähnlichen Fällen meist gemacht wird. Viele in dem Suchtrupp werden individuell gezeichnet; man kann nachvollziehen, welche Haltung sie einnehmen. Das Ende des Films ist traurig, sinnlos – es ist sehr gewagt, das Publikum so zu entlassen. Und man kann verstehen, daß sich nicht allzu viele den Film ansehen wollten (das kam erst, als er zum Klassiker wurde). Wellman pfeift auf das Unterhaltungsbedüfnis der Kinozuschauer. Aber der Film ist so geradlinig und mit so markanten Charakteren inszeniert, daß man trotzdem gefesselt ist.

Nicht zu leugnen ist freilich, daß es sich um ein Lehrstück handelt, einen Film, der belehren will. Fraglich, ob er aus irgendjemandem einen besseren Menschen machen kann…

Noch eine Bemerkung zum Film: Als deutscher Verleih wird im Vorspann „neue filmform Heiner Braun“ angegeben. Das war eine 1957 gegründete Initiative, die unabhängige, künstlerische Filme fördern wollte. „Ritt zum Ox-Bow“, den Wellman damals nur mit Mühe bei Produzent Daryl F. Zanuck durchsetzen konnte, hatte also auch hier Schwierigkeiten, ins Kino zu kommen. Über die „neue filmform“ weiß ich sonst nichts, außer daß – laut wikipedia – aus ihr der 1962 in Oberhausen gegründete Neue Deutsche Film hervorging. Und noch eine Kleinigkeit: Angesagt wird „Ritt zum Ox-Bow“ in meiner Aufnahme von Petra Gerster.

Geändert von Peter L. Opmann (16.02.2024 um 06:17 Uhr)
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