Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 03.01.2018, 11:39   #94  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.474
Gestern habe ich mir eine DVD für 2,99 Euro gekauft, die das Geld entschieden wert ist: „Wolken sind überall“, ein Film von Otto Preminger von 1953. Es ist zwar kein Meisterwerk, aber eine Komödie, an der mir so manches aufgefallen ist.

www.filmstarts.de/kritiken/27089.html

Kurz zur Handlung: Auf dem Empire State Building begegnen sich eine junge Frau, Patty, noch solo, und ein nicht mehr ganz so junger Architekt, stellen wechselseitige Sympathie fest und kommen ins Gespräch, das die Frau durch ständige Konventionsbrüche prägt. Sie redet nämlich immer wieder offen über eine mögliche Beziehung zu ihm, und er geht darauf ein. Ihr Motto ist: „Zärtlichkeit ja, Leidenschaft nein“. Der Architekt nimmt sie zuerst in sein Büro, dann in seine Wohnung mit (Vorwand: Sie soll einen Knopf seines Jacketts annähen). Sie erfährt zuerst, daß er gerade mit einer anderen Frau Schluß gemacht hat, die ihm gehörig auf die Nerven ging. Dann lernt sie den Vater der Ex-Geliebten kennen, der ein Lebemann ist und ebenfalls Gefühle für sie entwickelt. Patty behält ihr Motto auch ihm gegenüber bei und erleidet damit beinahe Schiffbruch. Der Architekt wird erst eifersüchtig, dann von Pattys Vater, einem in Beziehungsdingen sehr konservativen Mann, niedergeschlagen. Beides macht auch Patty klar, daß sie ihn liebt. Wiederum auf dem Empire State Building, einen Tag, nachdem sie sich kennengelernt haben, beschließen sie zu heiraten.

Erstens: Die Dialoge haben ein ziemliches Tempo. Sonst erscheinen alte Filme ja oft langsam im Vergleich zu heutigen, aber hier wirkt die Tradition der Screwball-Komödien nach, und ich schätze, heutige Zuschauer, die nicht mehr an geistreiche und witzige Gespräche voll von Bonmots und kalkulierten kleinen Verletzungen gewöhnt sind, werden da kaum mitkommen. Ein solcher Film wäre heute ohnehin sicher um ein Viertel länger.

Zweitens: Patty ist der Typus, den später Audrey Hepburn verkörpert hat, besonders als Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffanys“. Gespielt wird sie aber von Maggie McNamara, deren Karriere leider bald nach diesem Film endete.

Drittens: Die Atmosphäre des Films erinnert mich sehr an „Harry und Sally“. Auch da reden Meg Ryan und Billy Crystal ständig über Beziehungsfragen, als ob sie persönlich das nicht betreffen würde. Also, ein Fake-Orgasmus kommt in „Wolken sind überall“ nicht vor, aber dreißig Jahre früher war – jedenfalls bei Preminger – auch schon so manches möglich. Ich habe allerdings gelesen, daß der Film wegen seiner „Freizügigkeit“ in manchen US-Staaten nicht aufgeführt werden durfte.

Die beiden Männer werden übrigens von William Holden und David Niven gespielt. Holden verkörpert einen, wie ich finde, ziemlich modernen Männertyp, ein Single aus Überzeugung, der jedoch einen ziemlich frauenlosen Lebenswandel hat und am Ende doch relativ problemlos unter die Haube kommt (dies als Zugeständnis an die 50er). Niven gewann für seine Darstellung einen Golden Globe; seine Figur ist allerdings eher von der Zeit überholt. Dawn Addams ist die Ex-Freundin und Niven-Tochter, eine freilich eher undankbare Rolle.

Der Film ist aus einem erfolgreichen Broadway-Stück hervorgegangen, und vielleicht hätte er wie Hitchcocks „Rope“ als ein Stück verfilmtes Theater allein in Holdens Wohnung gedreht werden können. Wie gesagt, er lebt von den Schauspielerleistungen und den geschliffenen Dialogen. „Wolken sind überall“ kann man sich meiner Ansicht nach ohne weiteres auch heute noch mit Gewinn ansehen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten