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Alt 29.12.2017, 00:03   #93  
Peter L. Opmann
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Zu Weihnachten habe ich die Fantomas-Trilogie geschenkt bekommen – die mit Louis de Funes und Jean Marais.

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War ein passendes Weihnachtsgeschenk. Als Jugendlicher habe ich diese Filme geliebt; heute finde ich sie immer noch ganz amüsant – und meiner Mutter haben sie auch gefallen. Ich merke nur, daß sich auch hier der Abnutzungseffekt in Kino-Fortsetzungen unweigerlich bemerkbar macht.

Was vom Ur-Fantomas in den Filmen steckt, weiß ich nicht (offenbar nicht viel). Er war vor dem Ersten Weltkrieg ein französischer Groschenromanheld und kam auch schon 1913 ins Kino. Fantomas war ambivalent – ein Verkleidungskünstler und Superverbrecher, der das Publikum mehr anspricht als die Gesetzeshüter. Auf jeden Fall war Fantomas auch als Wegbereiter des Faschismus interpretierbar, was in den Filmen der 1960er Jahre keine Rolle mehr spielte. Man präsentierte die Figur – zeittypisch – mit einer Mischung aus Spannung und Ironie, eine Mischung, die mir immer sehr geglückt schien.

„Fantomas“ (1964) führt den Protagonisten gleich mit einem seiner Raubzüge ein. Die Öffentlichkeit – und auch der investigative Journalist Fandor – glaubt aber noch nicht daran, daß es ihn gibt. Weil Fandor sich über die Angst vor Fantomas lustig macht, wird er von ihm gekidnappt und gezwungen, einen angemessen respektvollen und positiven Seite-1-Artikel über ihn zu schreiben. Das ruft Kommissar Juve auf den Plan, der glaubt, Fandor sei der Schlüssel zu Fantomas. Kurz darauf wird Fandor ein zweites Mal entführt. Fantomas will sich auf zwei Arten an ihm rächen: Er will ihn zum Opfer eines wissenschaftlichen Experiments machen und seinen Ruf ruinieren, indem er in seiner Maske Verbrechen begeht. Zudem will er sich an Fandors Freundin Hélène heranmachen. Seine abgelegte Herzdame, Lady Beltham, verhilft Fandor und Hélène scheinbar zur Flucht, will beide aber töten, indem sie sie in ein Auto ohne Bremsen setzt. Fandor und Juve bleiben dran, und schließlich muß Fantomas fliehen. Am Meer besteigt er ein U-Boot. Juve hat es bis zur Luke geschafft; als aber das U-Boot taucht, muß er die Verfolgung aufgeben.

Die Story klingt gleich hier etwas verworren. Das fällt aber nicht so sehr auf, da der Film ganz auf Überraschungsmomente durch Verkleidungen und den Slapstick, den de Funes und seine unfähige Polizeitruppe beisteuern, setzt. Die Verfolgungsjagden erscheinen aus heutiger Sicht zu lang; damals mochte das Publikum so etwas (siehe etwa „Bullitt“). Dasselbe gilt für die Prügelszenen. Die komischen Szenen sind dagegen sehr gut inszeniert; mir entlocken sie auch heute noch und obwohl ich die Gags in- und auswendig kenne, ein Grinsen. Was den Action-Teil betrifft: Die Stunts sind mit großer Sorgfalt ausgeführt; das war damals wohl state of the art. Man muß sich jedenfalls an keiner Stelle über zu billige Tricks ärgern. Fantomas mit seiner blau-grauen Maske und den stechenden Augen macht immer noch was her, und sein Erscheinen per Fahrstuhl in seiner unterirdischen Verbrechenszentrale, untermalt von dramatischer Orgelmusik, gehört zu meinen Langzeit-Lieblingsszenen.

„Fantomas gegen Interpol“ (1965) schließt an den ersten Teil logisch an. Kommissar Juve wird für seine Verdienste im Kampf gegen Fantomas zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, aber kurz darauf bei einem Fernsehinterview von Fantomas zum Narren gemacht. Fantomas ist nun kein Millionendieb mehr, sondern er will mit Hilfe von Hypnose die Weltherrschaft erringen. Dazu kidnappt er einen berühmten französischen Wissenschaftler, muß aber feststellen, daß er eine zweite Koryphäe, Prof. Lefèvre, braucht, um eine große Hypnosemaschine realisieren zu können. Statt Lefèvre Polizeischutz zu geben, stimmt Juve dem Plan von Fandor zu, der Fantomas in der Verkleidung des Wissenschaftlers anlocken und dann unschädlich machen will. Die Aktion geht schief – Fantomas kann sowohl den echten Professor als auch Fandors Freundin entführen. Ausgerechnet auf einem Maskenball treffen sich Juve, Fandor und Fantomas wieder. Fantomas kann zwar erneut einer Falle entkommen, aber Juve und Fandor dringen in sein Hauptquartier ein und befreien die Wissenschaftler. Die wollen nun einen Hypnoseapparat gegen Fantomas einsetzen. Nun wird die Verfolgungsjagd am Ende des ersten Teils variiert. Fantomas flieht mit einem Citroen, den er zum Fluggerät umrüsten kann. Juve und Fandor verfolgen ihn mit einem Flugzeug und versuchen, den Hypnoseapparat einzusetzen. Bevor sie nahe genug herangekommen sind, fällt jedoch Juve aus dem Flugzeug, Fandor muß ihn mit dem Fallschirm retten, und Fantomas kann wieder entkommen.

Hier macht sich die recht dünne Story bereits bemerkbar. Man sieht auch, daß der Film nach exakt demselben Strickmuster gemacht ist wie der erste: Viel Verwirrung durch Maskenspiel plus Action vor allem in Form von Verfolgungsjagden. Formal ist der Film aber mit der gleichen Sorgfalt hergestellt wie der erste, und einige Szenen prägen sich ein: Juve, der teils pantomimisch sein chaotisches Vorgehen zu erklären versucht und in der Gummizelle landet; der doppelte Prof. Lefèvre; die „Gadgets“ der Polizei (ein falscher Arm, eine Schusswaffe in Form einer Zigarre). Die Szene, in der Fantomas Hélène mit Druck dazu bringen will, sich ihm hinzugeben, ist zwar reichlich seltsam, hat aber auf mich als Jugendlichen großen Eindruck gemacht.

„Fantomas bedroht die Welt“ (1967) versucht, die Story noch einmal von vorne aufzurollen. Fantomas erscheint, perfekt maskiert, bei einem schottischen Multimillionär, um ihm nach Mafiaart Schutzgeld abzupressen. Er nennt das eine „Steuer“ dafür, daß er den Lord am Leben läßt. Ebenso hat er den reichsten Männern des Globus Rechnungen zukommen lassen. Die überlegen nun gemeinsam, wie sie dagegen vorgehen können. Ein Verbrechersyndiokat will auch noch mitmischen. Juve und Fandor werden eingeschaltet. Sie kommen auf das Schloß des Schotten, um ihn vor Fantomas zu schützen. Es folgen mehrere Zwischenfälle mit angeblichen Gespenstern und angeblichen und echten Leichen. Auch der reiche Schotte muß nach etwa der Hälfte des Films sein Leben lassen; von da an ist Fantomas in seiner Maske zu sehen. Was im zweiten Teil der Maskenball war, ist nun eine Fuchsjagd, bei der Fantomas zur Strecke gebracht werden soll. Schließlich soll Fantomas bei der Geldübergabe (genauer handelt es sich um ein Kästchen mit Diamanten) geschnappt werden, aber es entsteht Verwirrung, Fantomas flieht erneut. Diesmal hat er in einem Turm des Schlosses eine Weltraumrakete bereitgestellt. Düsenjäger schießen die Rakete ab, aber am Ende sieht man den schottischen Lord eine Allee entlangradeln. Fantomas‘ Leute nehmen ihn im Auto mit – und abermals ist Fantomas entwischt, diesmal allerdings nicht, um in einem vierten Film wiederzukehren.

Sehr enttäuscht hat mich die Episode mit der Rakete im Turm. Das war mir von diesem Film vor allem im Gedächtnis geblieben, aber da haben sich wohl bei mir Erinnerungen vermischt, denn das wirkte nicht sonderlich spektakulär. Das Strickmuster aus Mummenschanz, Action und Verfolgung ist hier nun deutlich abgenutzt, und auch die komischen Szenen mit Louis de Funes sind meist nicht richtig lustig. Immerhin: Auch dieser dritte Teil ist keineswegs schnell und billig heruntergedreht. Man hat noch einmal versucht, die richtige Mischung aus Spannung und Klamauk hinzubekommen. Über weite Strecken der Trilogie ist das gut gelungen. Und mir gefällt auch das 60er-Jahre-Flair mit seinen Bonbonfarben, mit unglaublichen Erfindungen (da diente sicher auch „James Bond“ als Vorbild) und der durchgängigen Haltung, sich selbst nicht ernst zu nehmen.

Mit „Fantomas“ begann für de Funes die Phase als europäischer Starkomiker. Jean Marais hatte 1964 seine besten Tage schon hinter sich, gibt aber den Draufgänger überzeugend und trägt durch die Doppelrolle als Fantomas und Fandor nicht unwesentlich zur Wirkung des Films bei. Im Gegensatz zum „Gendarm von Saint Tropez“ (der zweiten Paraderolle von de Funes) lebt „Fantomas“ eben auch von seinen Spannungsmomenten, wobei die Handlung in allen drei Filmen Brüche und Widersprüche aufweist. Sehr gut sind auch Jacques Dynam als zweiter Komiker (Juves Assistent Bertrand) und Mylène Demongeot als Fotografin und Freundin von Fandor, die sich allerdings, wie das damals üblich war, in allen drei Filmen vom Helden retten lassen muß.

Über Regisseur André Hunebelle weiß ich nicht viel; er war aber sicher ein versierter Handwerker und lieferte – jedenfalls bei „Fantomas“ – Unterhaltung auf internationalem Niveau. Ich werde mir seine Trilogie (oder jedenfalls die ersten beiden Teile) sicher in einiger Zeit noch einmal ansehen.
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