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Alt 21.01.2017, 18:02   #185  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Nummer 48


Der Löwe von Flandern, Der Freiheitskampf der Flamen








Das vorliegende Heft ist hier eigentlich fehl am Platz, es gehört eher in die >>Illustrierte Klassiker<< - Reihe, als in die >>Abenteuer der Weltgeschichte<< - Serie. Der Stoff für die Geschichte Der Löwe von Flandern ist komplett – und gekürzt – dem gleichnamigen Roman De leeuw van Vlaenderen, 1838, von Hendrik Conscience (1812 – 1883) entnommen. Er beschreibt einen Aspekt aus den Eroberungsplänen der französischen Könige, die das reiche Flandern (Tuchindustrie) ihrem Herrschaftsbereich eingliedern wollten. Der Texter des vorliegenden Heftes entnahm seine Informationen, die in der „Schlacht der Goldenen Sporen“ gipfelte, ausschließlich dem Roman.








Ich habe bei meinen Recherchen Widersprüche zu den handelenden Personen, zu den Truppenstärken und ihren Verlusten und den Auswirkungen, die das Gemetzel insgesamt, auf die Geschichte Flanderns hatte, gefunden: Phillip der Schöne, König von Frankreich, hat den flandrischen Grafen Gwide* wegen Hochverrats eingekerkert. Anschließend lässt er Flandern und insbesondere Brügge besetzen. Die Bürger fühlen sich gedemütigt, tatsächlich aber verdienten sie bisher am Tuchwarenhandel mit England immens, was nun in Phillips Taschen wanderte**. Phillip hatte dieses Monopol kassiert, was im Heft komplett verschwiegen wird. Immer wieder ist von den französischen Unterdrückern zu lesen, aber nie wird auf diese Ursache eingegangen – außer dem >>Hochverrat<< Gwides. Wie auch immer, es kam 1302 zur sogenannten >>Brügger Frühmette<<, bei der alle französischen Einwohner der Stadt von den Flamen umgebracht wurden. Wie viel es waren, ist wohl unklar, im Heft wird von 5000 ausgegangen. Bei rund 30 000 Bewohnern, die Brügge im Mittelalter insgesamt hatte, wäre dies ein regelrechter Genozid... Etwas bezweifeln tue diese Zahl schon, denn für das unmittelbar darauf folgende Ereignis, die >>Sporenschlacht<<, gibt es Zahlenangaben, die so auch nicht stimmen können.








Phillip stellte nach dem Massaker ein Heer auf, dessen Anführer Robert Graf von Artois war, im Heft ist es ein St. Pol (?). Diese Armee soll aus 60 000 Mann bestanden haben, allein 1000 Ritter neben 3000 „erlesenen“ Soldaten zu Pferd, sagt jedenfalls der Hefttext. Über die flämische Truppenstärke, die hauptsächlich aus Bürgermilizen bestand (historisch!) wird nichts berichtet. Soweit ich dazu etwas gefunden habe, scheint es sich wohl tatsächlich um 8000 französische und 9000 flämische Krieger gehandelt zu haben. Das scheint mir auch glaubwürdiger, denn 60 000 Mann zusammen zu ziehen und allein zu versorgen, dürfte im Mittelalter nicht so leicht möglich gewesen sein, jedenfalls nicht so ad hoc.

Die Flamen hatten den Kampfplatz gut gewählt, ein sumpfiges Gelände behinderte die französischen Ritter in ihrer Bewegungsfreiheit ungemein. Grade, als es um die Flamen schlecht stand, erscheint der Goldene Ritter, der Löwe von Flandern, auf dem Kampfplatz und brachte allein durch seine Erscheinung die Wende im flandrischen Kampfesmut; das ist allerdings pure Prosa, denn einen solchen hat es nicht gegeben. Trotzdem fand ein ziemliches Gemetzel statt, im Heft ist von 100% die Rede – also die gesamte französische Streitmacht!? Tote Flamen werden zwar erwähnt, aber keine Zahlen angegeben. Die Geschichtsquellen sprechen von 1000 Mann, davon allein 700 Ritter, während die Flamen rund 100 Tote zu beklagen hatten (das Gelände war für eine Reiterei halt extrem ungünstig.

Und was hat das alles letztlich gebracht: nichts! Die Flamen mussten sich 1305 erneut der französischen Herrschaft unterwerfen. Und so gingen die Auseinandersetzungen um flandrischem Boden weiter und weiter, die Menschen starben und starben und für was…?

Auf der 2. Umschlagseite ist an Stelle der sonst üblichen Portraits der Hauptpersonen ein >>Flämischer Ritter mit Wappenbanner<< hoch zu Ross und in vollem Harnisch abgebildet. Dafür fehlt auf der letzten Umschlagseite die Peligom-Reklame.

In einer zweiseitigen Einleitung „Flandern und die Flamen, Ein geschichtlicher Überblick“ taucht mal wieder das >>germanische Grenzland“, „das immer zuerst den Angriff (…) von einem romanischen Volke, und da vor allem vom französischen“, auf. „Das flämische Grenzland löst sich aus dem deutschen Verband, zu dem es durch seine niederdeutsche Herkunft an sich gehört.“ „Frankreich hat Flandern oft angegriffen (…) wir erleben das in diesem Heft in aller Ausführlichkeit.“ Interessant und verräterisch ist folgende Passage: „Schon im 3. Jahrhundert dringen fränkische Stämme in den Norden Flanderns ein, schaffen hier bäuerliche Siedlungen und bewahren ihr germanisches Wesen. Bereits im 4. Jahrhundert überschwemmt die Flut der germanischen Völkerwanderung das ganze Land und gibt ihm einen starken germanischen Charakter, der bis in unsere Tage weiterlebt.“ Also haben nicht nur die Römer und die Franzosen (beides Romanen) Flandern angegriffen, sondern die Germanen, erst die Franken und dann die wandernden Restgermanen in riesigen Kohorten die ursprüngliche Bevölkerung angegriffen, dominiert und letztendlich assimiliert. Nun versuchen die Franzosen etwas ähnliches und das ist verwerflich -

In der Vorschau auf die kommenden Hefte, Seite 34, fällt der Titel für das Heft 57 auf: er lautet „Kabel zu neuen Welt“. Wie man sich denken kann, geht es um eine Kabelverbindung zwischen Europa und (Nord)Amerika. Immerhin wurde ein erstes bereits 1857/58! verlegt, es hielt allerdings aus technischen Gründen nur einige Wochen. Weitere Verlegungen waren da erfolgreicher, die längste Lebensdauer hatte ein 1874 für Siemens verlegtes Kabel, das bis 1931 seinen Dienst tat! Wäre ein interessantes Thema gewesen, nicht nur pure Beschreibung von Schlachtgetümmeln, stattdessen erschien ein Heft über die französische Revolution.

* Da mein holländisch/flämisch eher mau ist und ich auch nichts passendes gefunden habe, vermute ich, dass >>Gwide<< flämisch für >>Guido<< ist, dann würde der historische Kontext nämlich passen.

**Die Auseinandersetzungen um den lukrativen flämischen Tuchhandel führten u.a. direkt zum 100jährigen Krieg (1337 – 1453) zwischen England und Frankreich, bei dem Erbstreitigkeiten allerdings auch eine Rolle spielten.
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