Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 18.03.2023, 16:00   #158  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
Benutzerbild von Servalan
 
Ort: Südskandinavien
Beiträge: 10.331
Blog-Einträge: 3
Cézanne et moi | Meine Zeit mit Cézanne (Frankreich 2016, G Films, Pathé, Orange studio, France 2 Cinéma, U Media, Alter Films, SOFICA Cinémage 10 und Sofitvciné 3), Drehbuch und Regie: Danièle Thompson, 117 min, FSK: 0

Der Film nimmt sich einige Freiheiten, um die Bromance zweier künstlerischer Genies, des Schriftstellers Émile Zola und des Malers Paul Cézanne (1839 - 1906), episch auszugestalten. Denn eigentlich handelte es sich bei der Männerfreundschaft um einen Bund aus drei Männern; der Dritte war der französische Wissenschaftler und Industrielle Jean-Baptistin Baille, der in dem Film eher als Randfigur vorkommt. Zolas Vater war ein italienischstämmiger Eisenbahningenieur, der nach Aix-en-Provence versetzt wurde, als Émile noch in die Schule ging. Als Zugezogener wurde er gehänselt und von zwei Mitschülern verteidigt, Cézanne und Baille, aus denen sich dann die "Unzertrennlichen" entwickelten.
Zola bekam erst als Erwachsener die französische Staatsbürgerschaft, was der Film in einer Szene beleuchtet.

Der Film beginnt auf dem Schreibtisch des erfolgreichen Zola und fokussiert sich auf die Zeit kurz nach Erscheinen seines Romans L’œuvre | Das Werk (1885 in Fortsetzungen, 1886 als Buch), dem 14. Band seines Romanzyklus Les Rougon-Macquart. Histoire naturelle et sociale d’une famille sous le Second Empire | Die Rougon-Macquart. Die Natur- und Sozialgeschichte einer Familie im Zweiten Kaiserreich (1871 - 1893). Der Zyklus schildert in einem Gesellschaftspanorama den französischen Alltag quer durch die Schichten, und besagtes Werk konzentriert sich auf den fiktiven Maler Claude Lantier und die Pariser Künstlerszene. Kurz darauf zeigt der Film, wie Cézanne in einer Kutsche bei Zola eintrifft und es zu einem heftigen Streit kommt, weil Cézanne sich in Lantier wiedererkennt und ungerecht behandelt fühlt. Dieser Streit galt lange Zeit als gesichert, neuere Erkenntnisse (etwa um 2016) wecken jedoch Zweifel.
Der Film betont die Kontraste der beiden Biographien: Zola kommt aus kleinen Verhältnissen, erklimmt jedoch nach und nach durch zuerst bescheidene Erfolge eine beeindruckende Karriere. Cézanne hingegen ist der Sohn eines großbürgerlichen Bankiers, der seine künstlerischen Ambitionen verachtet und ihm jegliche finanzielle Unterstützung versagt. Hinzu kommen bei Cézanne starke Zweifel an seinen Werken, von denen er etliche selbst zerstört, weil er nicht mit ihnen zufrieden ist.

Cézannes mühsamer Weg aus der Erfolglosigkeit liefert Einblicke in eine Epoche, in der die Kunst zur Debatte stand. Cézanne siedelt aus Aix-en-Provence nach Paris, um dort Anschluß an das aktuelle Kunstgeschehen zu bekommen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Farbenhändler Julien François Tanguy (1825 - 1894), der Père Tanguy genannt wurde und als Galerist und Kunstsammler seine Kunden wie ein Mäzen förderte. Eine Szene in seinem Laden legt den Fokus auf die ersten Farbtuben, die in den Handel kamen; chemische Fertigprodukte, so daß die Maler ihre Farben nicht mehr selbst anmischen mußten.
Natürlich netzwerkt Cézanne verzweifelt, wobei er nicht nur seine Muse, Geliebte und spätere Ehefrau Marie-Hortense Fiquet (1850 - 1922) kennenlernt. Zu seinen Arbeitskollegen zählen die Maler Auguste Renoir (1841 - 1919), Achille Emperaire (1829 - 1898), Frédéric Bazille (1841 - 1970) und Berthe Morisot (1841 - 1895). Seine größten Hoffnungen setzt Cézanne jedoch auf Édouard Manet (1832 - 1883), denn der gehörte zum Kreis, der gegen das wichtigste offizielle Ereignis der französischen Kunstwelt, den Salon de Paris, rebellierte und 1863 an der Gegenveranstaltung, dem Salon des Refusés | Salon der Zurückgewiesenen, teilnahm, womit er einen Skandal provozierte. Als Manet 1865 selbst in der Jury für den Salon sitzt, fleht ihn Cézanne an, ihn zu unterstützen, wird aber von ihm enttäuscht. In dem jungen Ambroise Vollard (1865 - 1939) findet Cézanne seinen Galeristen.
Der Film endet mit einem Epilog: Nachdem sich die Aufregung um Zolas Nestbeschmutzung in der Dreyfuß-Affäre gelegt hat, kommt er für eine Lesung nach Aix-en-Provence. Als jemand Cézanne auf den Termin hinweist, winkt der zuerst nur gelangweilt ab, bevor er sich eines besseren besinnt und an einen Ort rennt, von dem aus er Zola in gemessenem Abstand beobachten kann. Der Film endet dann in Landschaften der Provence, die sich allmählich in Gemälde Cézannes verwandeln.

Geändert von Servalan (18.03.2023 um 18:34 Uhr)
Servalan ist offline   Mit Zitat antworten