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Alt 13.09.2016, 15:10   #92  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Billiger geht's nicht: Dumping bei Comicautoren

Die frankophone Comicszene ist zur Zeit in heller Aufregung. Denn über die prekäre Lage der Comicautoren sind sich alle Kreativen einig, aber jetzt liegt ein Fall vor, dessen Dumping sich kaum unterbieten läßt.

Ende August 2016 erschien bei Glénat der erste Band von David Revoy: Pepper & Carrot, nachdem der Comic seit Mai 2014 kostenlos auf Revoys Blog erschienen ist. Glénat bewarb den 80-seitigen Band mit einem Sonderpreis von 9,99 € (statt der üblichen 14,80 €), Auflage: 10.000 Exemplare. Der Band enthält die 11 ersten Kapitel der Serie.

Revoy wollte seine Kraft nicht mit juristischen Streitereien vergeuden und entschloß sich deshalb für eine Creative Commons-Lizenz (CC-BY).
Damit scheint der juristische Laie einen schweren Fehler begangen zu haben. Jedenfalls erhält Revoy keinen Erlös von den Glénat-Alben. Revoy finanziert sich über die Crowdfunding-Plattformen Patreon und Tippee, also über meist anonym bleibende Mäzene. Auf diese bizarre Weise wird Revoy zum Mäzen von Glént, teilweise mit bis zu 350 € pro Kapitel.

Am 30. August entfachte der Jurist und Bibliothekar Lionel Maurel (unter dem Nick Calimaq) die Debatte, weil ihm das Verfahren sauer aufstieß. Rasch wurde er von der Comicautoren-Gewerkschaft (Snac BD) und der Graswurzelorganisation - "Generalstände" - der Comicbranche (États Généraux de la Bande Dessinée) unterstützt, die 350 € pro Monat für Hohn und Spott halten.

Inzwischen ist sich Revoy bewußt, der er naiv und verträumt gewesen war, als er die Lizenz gewählt hat. CC-BY gestattet nämlich jeden Nachdruck, auch den kommerziellen und ist damit ein Freibrief für Verlage.
Er hätte nämlich die Lizenz CC-BY-NY wählen müssen, die nur die nicht-kommerzielle Verwendung durch Dritte erlaubt.

Jacques Glénats Name befand sich in den Panama Papers, wodurch Glénat angreifbar ist. Allerdings verkomplizieren andere Gepflogenheiten des Verlagsgeschäfts die Situation.
Danach stellt das erste Album eines Comicautors ein so hohes Risiko dar, daß er oder sie froh und glücklich sein sollte, überhaupt veröffentlicht zu werden. Erst beim Folgeband fließen Tantiemen (Richtwert 1.400 €), die dann ansteigen (3. Band: 3.850 €).

Durch den Fall Revoy ist die Comicszene hellhörig geworden und will sich gegen diesen ruinösen Wettbewerb wehren.

Quelle: Xavier Guilbert: Vues Éphémères – Rentrée 2016 (du9.org)
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