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Alt 14.06.2016, 14:39   #125  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Als nächstes Heft wäre die Nummer 25 an der Reihe: sie wird auch beschrieben, aber nicht nur diese Ausgabe, sondern gleich noch die Hefte 26, 29 und 30 mit. Diese schildern in Fortsetzungen die Lebensgeschichte des Dschingis Khan, des Gründers des Mongolenreiches. Diese Form der Geschichtserzählung stellt einen einmaligen Vorgang innerhalb der Abenteuer der Weltgeschichte dar.

Zwischen dem Erscheinen der Nummer 24 und 25 lagen ganze zweieinhalb Monate (vom März bis Mitte Juni 1954. Aber nicht nur diese Heftreihe war davon betroffen, der ganze Lehning Verlag schlidderte zu diesem Zeitpunkt am Rande einer totalen Pleite entlang: Walter Lehning genügten seine erfolgreichen Roman- und Comicserien nicht mehr, er wollte im Konzert der „richtigen“ Verleger mitspielen. Der Stern, die Quick, Frankfurter Illustrierte, das schwebte ihm vor. Für die Produktion einer ähnlich gearteten Zeitschrift zeigte er sich nicht, wie sonst üblich, finanziell knauserig, das Projekt Wir Zwei, später umbenannt in Moderne Illustrierte, versuchte er dauerhaft und in Konkurrenz zu den vorgenannten Blättern an den Kiosken durchzudrücken, koste es was es wolle. Allerdings ging im bald die Puste aus, die Käufer ignorierten sein „Kind“. Es verursachte sogar immense Schulden und brachten den Verlag in arge Finanzierungsprobleme. In einem Vergleichsverfahren konnte Lehning die endgültige Pleite grade abwenden, die übrige Produktion musste aber stark reduziert, eingestellt oder verzögert werden. Lizenzen wurden zurück gegeben, deutsche Autoren bekamen weniger Geld, was nicht alle akzeptierten und meist endgültig in die Werbung abwandern lies.

Um die Serie Abenteuer der Weltgeschichte am Leben zu erhalten, sie war wegen der lehrreichen Inhalte eines der erfolgreichen und angesehenen Produkte, musste eine Pause im Veröffentlichungszeitraum eingelegt werden. Damit die Serie nicht aus dem Gedächtnis der Leser entschwindet, wurde ein Thema gewählt, das gut in die Reihe passte, und zudem in Fortsetzungen präsentiert werden konnte. Das Konzept einer bebilderten Geschichtserzählung, ähnlich der Prinz-Eisenherz-Bücher aus dem Badischen Verlag, diente als Vorbild (ohne in den Zeichnungen nur mehr als etwas besseres Amateurniveau zu erreichen). Das Leben und Wirken des Dschingis Khan war die Wahl. Hier erst einmal die 4 angesprochenen Titel:


Nummer 25
Dschingis-Chan, Der Fahle Steppenwolf





Nummer 26
Dschingis-Chan, Das Flammende Schwert






Nummer 29
Temudschin, Der Herr Der Nujakins






Nummer 30
Dschingis-Chan, Die Geisel Asiens










Diese Seite aus dem Heft 25 sollte insgesamt als Beispiel für die Qualitäten der Illustrationen reichen. Die Titelbilder, obwohl nicht besser gezeichnet, suggerieren allein durch ihre Farbgebung einen höheren Standard, sie sind sogar, dem Thema entsprechend, beeindruckend und dämonisch. Wer sie gezeichnet hat, entzieht sich meiner Kenntnis, gefunden habe ich nichts darüber.

Der geschichtliche Inhalt der Hefte beruht auf mehreren Publikationen, die im letzten Heft (Nr. 30) in einem Literaturverzeichnis aufgeführt werden, was so auch noch nicht vorgekommen ist. 4 Bücher – oder Broschüren – werden genannt: LUX-Lesebogen, Nr. 117*, Jabonah, Abenteuer in der Mongolei von Haslund Christensen, Tschingis-Chan, von Michael Pradwin, Taki, Abenteuer eines jungen Wildpferdes in der Mongolei von Niels Meyn. Das Buch von Michael Pradwin scheint mir das bedeutendste zu sein, gibt es doch eine große Anzahl von Hinweisen über ihn im Netz. Zusätzlich gibt es im Heft Tafeln und Abbildungen, in denen Wörter und Begriffe erklärt werden. Alles in allem ein interessanter Versuch, Geschichte in anderer Form zu vermitteln – wenn nur die grausigen Zeichnungen nicht wären.

Den damaligen Käufern/Lesern wurde das neue Konzept auf der „Liebe Jungen und Mädel!“ – Seite vorgestellt, bzw. schmackhaft gemacht. Es erfolgte der Hinweis zum Wunsch einiger Leser, doch auch einmal etwas über Dschingis-Chan und zu bringen und, Zitat**: „ob nicht rote, gelbe oder schwarze Menschen auch einmal die Helden unserer Reihe sein könnten.“ Wenn es stimmt und daran zweifele ich nicht, ein bemerkenswerter Wunsch. Zusätzlich wird die Bitte um Fortsetzungs-Geschichten angeführt, der man mit dem vorliegenden Konzept nunmehr nachkam. Es wird seitens Hans Jürgens, des Lesebriefonkels (nicht despektierlich gemeint), um Reaktionen auf dieses neue Art in den Abenteuern der Weltgeschichte gebeten. Das Heft 26 enthält dazu keine Leserbriefseite, dafür wird in der Nummer 27 „Kampf mit dem Bären“ (von Hansrudi Wäscher und dazu später mehr) um Geduld gebeten, Zitat: „Wenn auch schon viele geantwortet haben, so möchte ich doch das Ende der Ferien abwarten, bis ich mich an dieser Stelle über Eure Meinungen äußere.“ Am Ende der Seite wird der Brief eines Berliners abgedruckt. Dort heißt es, er habe sich das Heft über Fernando Cortez (Nr. 1) gekauft und in der Schule habe der Lehrer gesagt: „Erzähle mir etwas über Fernando Cortez.“ Und ich erzählte aus dem Heft. Der Lehrer sagte: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Du sonst auch soviel wüßtest.“ (Zitat Ende) Grinsen musste ich dabei schon, denn es erinnerte mich an meine eigene Schulzeit.

Auf der Leserbriefseite des Heftes 29 geht „Hans Jürgen“ dann auf die Diskussionen zur Veröffentlichungsform der Dschingis-Chan Ausgaben ein: Ein Teil der Leser möchte doch die alte Form beibehalten, was der Verlag schon mit den Heften 27 und 28 getan hatte. Einige Leser fanden die Versuchsausgaben besser, was ein >>erwachsener Leser aus Sechten/Rhld. in seiner Zuschrift zum Ausdruck bringt<<: „Die allzuvielen Bilder machen doch wohl auch die Kinder denkfaul, statt sie anzuregen. Daß sie die ´Abenteuer der Welt´ (alten) Geschichte unseren Kindern kurz und interessant vermitteln wollen, finde ich lobenswert.“ Ein Leser aus Berlin (ich nicht), der ungenannt bleiben möchte, meinte, wir sollten keine Fortsetzungsgeschichten bringen, sondern in jedem Heft nur eine in sich abgeschlossene Geschichte. Ein Leser aus Hamburg dagegen forderte: „(…) Ich hoffe, daß du die Hefte so weitergestaltest“. Aus Kulmbach kam dann die letzte – heftige – Meinungsäußerung: „Ich protestiere gegen die Einstellung der Serie Dschingis-Chan. Zwar mag die Überzahl der Meckerer Recht behalten. Sie sind natürlich von Schundromanen her an Bilder und wenig Text gewöhnt. Aber ich möchte gerne das nächste Heft „Temudschin, der Herrscher der Nujakins“ lesen. Wenn die anderen es aber so, wie es bisher war, wollen, dann bitte. Aber ich will die Fortsetzung von „Dschingis-Chan“. Wie Hans Jürgen dann in seiner Antwort richtig bemerkt, ist es nicht einfach „einem jeden von euch gerecht zu werden.“

Auf der Seite 3 der Nummer 30, des letzten Dschingis-Chan Heftes, wird noch einmal auf die allgemeine politische und gesellschaftliche Situation des 12. Jahrhunderts in Europa eingegangen. Das Kaisertum jener Tage wird heroisierend als Retter des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation*** gewürdigt. Genauso wie das Rittertum, das als militärischer Bewahrer vor den angreifenden Arabern und Ungarn gerühmt wird. Gemäß seinem Stand wird am Ende dieser Betrachtung „der Deutsche Bauer zum Mittelpunkt politischen Geschehens“ hervorgehoben. „Er vollbrachte seine größte Leistung: die Wiedergewinnung des deutschen Ostens.“ Sollte hier das Jungvolk damaliger Tage auf die Revision der Ergebnisse des 2. Weltkrieges vorbereitet werden. „Nur dort konnten der erblose Jungbauer Land finden (das anderen gehörte) und der unfreie Bauernsohn freier Bauer mit eigenem Hof werden (auf deutscher Scholle fehlt hier noch). Ritter und Mönche folgtem den gewiesenen Weg (diese Eroberungen bekamen vom Klerus den Status eines Kreuzzuges verpasst), und bald war aus der wilden Naturlandschaft eine Kulturlandschaft geworden (weil, wie im Heft 28 beschrieben, nur wilde, mit Keulen bewaffnete Kerle das Land lange vor den Rittern und Bauern aus dem Westen besiedelt hatten).

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, das Walter Lehning sich nie um die Gestaltung, Inhalt und den Gehalt einer Heftserie gekümmert hatte, dann haben wir ihn her. Der Text im vorherigen Absatz hat schon leichte revanchistische Tendenzen, Lehning muss dies wirklich übersehen haben und zwar nicht nur weil er zu diesem Zeitpunkt mehr mit den Gerichten und dem Insolvenzverwalter seine Zeit verbrachte, sondern es interessierten ihn nicht. Erstaunlicherweise, denn grade er hatte in der Zeit zwischen 1933 und 1945 politische Probleme. 1937 wurde sein Verlag wegen nicht opportunistischem Verhalten dem Regime gegenüber geschlossen – was seiner Familie wirtschaftlich schwer schadete - und erst 1946 wieder gegründet.
Was zeigt uns die Heftreihe über Dschingis-Chan, den wohl größten – und gewalttätigsten - Eroberer aller Zeiten: In 3 ½ der 4 Hefte werden die Erlebnisse des Temudschin, so der Geburtsname des später Dschingis-Chan genannten, geschildert. Dies geschieht in Romanform, die bekannten historischen Daten werden entsprechend verarbeitet. Sicherlich sind die wörtlichen Reden so nicht gefallen, in den wichtigen Passagen aber wahrscheinlich so oder ähnlich. Nach der gewaltsamen Vereinigung der mongolischen Stämme geht es beutesuchend gen Süden, nach China. Dieses hat sich da bereits seit Jahrhunderten mit gigantischen Schutzwällen gegen die immer wieder sporadisch einfallenden Nomaden zu erwehren versucht. Nun steht ihm aber eine geeinte mongolische Nation gegengenüber, deren Reiterheeren die Chinesen nichts entgegen zu setzen vermögen. Die Mauer**** ist kein Hindernis, Peking fällt fast leicht in die Hände der Mongolen. Dann drängen die Mongolen nach Westen, Turkestan, Persien folgen als nächstes. Das südliche Russland kommt danach und für die nächsten Jahrhundert ist es – und die Krim – Herrschaftsgebiet der goldenen Horde. Länger als sie Russland je besessen hat. Vor den Mongolen herrschten hier das Reitervolk der Kumanen, davor Jahrhunderte die Römer, Goten, Griechen usw. Nach dem Tode des Dschingis-Chan wurde noch Nord-Indien erobert, das Zweistromland verheert, und in Schlesien verlor ein deutsch/polnisches Ritterheer 1241 die Schlacht bei Liegnitz. Im Grunde hätte es bis zum Atlantik nur noch wenig gefehlt, aber der Tod des Großkahn Ugedai, des Nachfolgers des Dschingis-Chan und die zu erwartenden Streitigkeiten um die Nachfolge in der fernen Heimat ließen die Mongolen abziehen. Das alles steht aber nicht mehr in den Heften der Abenteuer der Weltgeschichte, ich wollte es nur ein wenig vervollständigen.

*Ist diese Reihe bekannt, wenn nicht und der Wunsch besteht, könnte ich sie hier einmal kurz vorstellen.
**Zitate sind so wieder gegeben, wie gedruckt.
***Zum wiederholten Male wird die Phrase vom Heiligen Römischen Reich >>Deutscher Nation<< hervorgekramt. Diese Bezeichnung entstand erst viele Jahrhunderte später, als sich das einst multistaatliche Gebilde langsam auf den Kern der überwiegend deutsch sprechenden Völker reduzierte.
***Allen Behauptungen zum Trotz, ist sie vom Mond aus nicht zu sehen.
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