Thema: Filmklassiker
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Alt 20.01.2024, 06:30   #1844  
Peter L. Opmann
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Nun eines der Werke, die ich aus filmhistorischen Gründen unbedingt sichern will: „Ben Hur“ (1925) von Fred Niblo. Ein epochaler Film, obwohl er gar nicht so gut ist. Es war keineswegs der erste monumentale Antikfilm. Erfunden haben das Genre wohl 1913 die Italiener mit „Cabiria“, und wie ich gesehen habe, hatten sie auch schon „Quo vadis“ verfilmt. „Ben Hur“ war eine Machtdemonstration Hollywoods, eine Produktion von Sam Goldwyn. Er hatte einfach viel mehr Geld und spielte allein mit den Schauwerten des zweieinhalbstündigen Films noch mehr Geld ein. Er ging zudem auf Nummer sicher, indem er einen Roman von Lewis Wallace (ursprünglich General im amerikanischen Bürgerkrieg) auswählte, dessen Auflage damals nur der Bibel ein wenig nachstand. Über „Ben Hur“ könnte man sehr viel schreiben, unter anderem über die fast dreijährigen Dreharbeiten unter verschiedenen Regisseuren, die witzigerweise in Cinecitta stattfanden. Goldwyn verdarb da so die Preise, daß die Italiener danach keine eigenen Sandalenfilme mehr drehen konnten. Allerdings war bei Fertigstellung des Films die Goldwyn Company in Metro Goldwyn Meyer aufgegangen, und Goldwyn hatte gar nichts mehr zu sagen.

Heute dürfte „Ben Hur“ nicht mehr allgemein bekannt sein, daher kurz, worum es geht: Der Titelheld ist Sproß einer Jerusalemer Fürstenfamilie, die unter den Römern, den neuen Herren in Palästina, unter die Räder zu kommen droht. Der Diener Simonides bringt zwar das Familienvermögen in Sicherheit, aber Ben Hur wird verhaftet und zum Galeerensträfling gemacht, der Rest der Familie versprengt. Hur rettet dem Kapitän des Schiffs bei einem Piratenüberfall das Leben und wird freigelassen. Er macht Karriere als Wagenlenker in der Arena, reist aber bei jeder Gelegenheit nach Jerusalem, um seine Mutter und Schwester zu suchen. Zunächst muß er aber gegen den Römer Messala beim Wagenrennen antreten – an ihm will er sich für das rächen, was seiner Familie angetan wurde. Das Rennen nimmt gut fünf Minuten des Films ein und wirkt noch heute packend inszeniert.

Mit einer neuen Spur kommt Ben Hur nach Jerusalem: Er findet Simonides. Es ist die Zeit, in der das Volk von einem Wanderprediger hin und her gerissen ist. Die einen halten ihn für den verheißenen Messias, die anderen für einen Betrüger, der ans Kreuz geschlagen gehört. Ben Hur begegnet diesem Jesus von Nazareth, der ihn ermahnt, von seinen Rachegedanken abzulassen. Seine Mutter und Schwester sind inzwischen in einem Verlies vom Aussatz befallen, aber Jesus heilt sie noch auf dem Weg nach Golgatha. Die Familie ist wieder vereint; der Gedanke von Friede und Versöhnung verbreitet sich überall. Ben Hurs letzter Satz: „Er ist nicht tot. In den Herzen der Menschen wird er ewig leben.“

Der Film ist von Szenen aus dem Leben Jesu eingerahmt, beginnend mit seiner Geburt. Bemerkenswert, daß schon 1925 die Auferstehung geleugnet wurde. Bei Cecil B. DeMille, dem Spezialisten für monumentale (naive) Bibelfilme, hätte es das nicht gegeben. Ansonsten wird aber eine Menge pseudochristliche Folklore geboten: Die Geburt findet am 24. Dezember statt (wenn schon, hätte es der 25. sein müssen), und Maria und Josef werden nicht in einen Stall, sondern in die „Höhle Davids“ geschickt, an einen „heiligen Ort“. Wann immer Jesus ein Wunder tut, führt er seine Hand wie ein Zauberkünstler. Und immer wieder tauchen Hinweise auf Reliquienverehrung auf. Biblisches Geschehen wird so inszeniert, wie es einfache Menschen verstehen können. Die biblischen Szenen sind häufig in frühem Technicolor gefilmt. Die meiste Zeit bleiben aber die Geschichte Jesu (er selbst ist auch nie richtig im Bild) und die des Ben Hur ziemlich unverbunden. Im Interesse der Action kreuzen sie sich erst, wenn Ben Hur seine Rache beinahe vollendet hat.

Ich habe ein wenig auf die Filmtechnik geachtet. Es gibt eine bewegliche Kamera, Totalen, Nahaufnahmen und Schwenks (erfunden hat das ja David W. Griffith). Aber Niblo geht sehr sparsam damit um. Es dürfte Absicht sein, daß er die Bilder speziell während des Wagenrennens in Bewegung bringt. Da wurden 60 Kameras eingesetzt, teils wurde von einem kleinen Flugzeug aus gefilmt, und man verwendete auch Aufnahmen eines echten Unfalls, der ursprünglich nicht im Drehbuch stand. Wie ich gelesen habe, kamen dabei vier Pferde zu Tode. Der Rest des Films ist sehr statisch aufgenommen. Was mir noch auffiel: Massenszenen werden oft durch eingeschnittene kleine Szenen aufgelockert. Das soll aber bereits ein Kennzeichen der Erzählweise von Wallace sein. Angeblich wurde sein Roman recht getreulich abgefilmt.

Ben Hur ist ein typischer amerikanischer Held, ein großer Individualist. Die geschichtliche Situation, die den Hintergrund bildet, bleibt ziemlich unwichtig. Gäbe es das biblische Jerusalem nicht, dann müßte man sich lediglich einen anderen Grund dafür ausdenken, warum der Held am Ende friedfertig wird. Bis dahin ist er aber zielstrebig, zäh und setzt sich hauptsächlich mit Willenskraft gegen alle Widerstände durch. Darsteller ist Ramon Novarro, einer der großen Kinohelden der Stummfilmzeit neben Douglas Fairbanks und dem Herzensbrecher Rodolfo Valentino. Aber auch sein Gegenspieler, Francis X. Bushman (Messala), war im gleichen Fach tätig und in gewissem Sinn der Vorläufer von Clark Gable. Von den übrigen Stars ist glaube ich keiner bis heute bekannt geblieben. Beim Wagenrennen sollen zahlreiche VIPs der damaligen Zeit zu sehen sein, darunter Sam Goldwyn selbst, Lionel Barrymore, Joan Crawford, Harold Lloyd, Myrna Loy und Carole Lombard.

Ich denke, „Ben Hur“ setzte Maßstäbe für eine ganze Reihe von Monumentalfilmen. Sie trugen freilich den Keim des Untergangs in sich, denn sie wurden bis in die frühen 1960er Jahre schließlich so teuer, daß es unmöglich war, die Kosten zu amortisieren, geschweige denn, Gewinn zu machen. Am Ende gelang es dem Genre auch nicht mehr richtig, die Leute von ihren Fernsehgeräten wegzulocken. Das ahnte freilich 1925 noch niemand.

Geändert von Peter L. Opmann (20.01.2024 um 06:56 Uhr)
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