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Alt 27.11.2015, 15:16   #25  
Servalan
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Standard Choderlos de Laclos: Les Liaisons dangereuses (1782)

Le Livre de Poche: Les Classiques de Poche, 573 Seiten
Deutsche Ausgaben bei dtv (2007) / Hanser (2003) und Beck (1988)
https://de.wikipedia.org/wiki/Gefährliche_Liebschaften
https://fr.wikipedia.org/wiki/Les_Liaisons_dangereuses

Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos (1741-1803) beschäftigte sich hauptsächlich mit Rekruten und Kanonen, denn er machte als Hauptmann Karriere und wurde später zum General bei der Artillerie der ernannt.
Etliche Leute behaupten vollmundig, sie könnten einen Roman schreiben. Nun ja, Choderlos de Laclos hat diese Idee in die Tat umgesetzt. Am Vorabend der Französischen Revolution erschien sein einziges Buch und machte sofort Furore. In erster Linie wurde dabei getratscht und gerätselt, welche echten Höflinge sich hinter welchen fiktiven Figuren verbargen.
Wer bösartig sein will, kann den Autor als männliche Charlotte Roche seiner Zeit ansehen. Aber im 19. Jahrhundert wurde der Roman regelmäßig nachgedruckt und seither von den prägenden Gestalten der französischen Literatur (Baudelaire, Giraudoux, Malraux, Roger Vailland) gelobt und verehrt. Und weil der belletristische Seitensprung des Militärs heute unbestritten zur Weltliteratur zählt, würdigt die Wikipedia den Autor der Les Liaisons dangereuses. Lettres recueillies dans une société et publiées pour l’instruction de quelques autres (so der vollständige Titel) mit einem Eintrag.

Natürlich geht es um Kabale und Liebe bei Hofe.
Zwei Libertins, die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmot, versuchen, sich bei ihren Intrigen gegenseitig auszutricksen. Für ihr erotisches Schachspiel nutzen sie dabei skrupellos, raffiniert und hinterlistig lebendige Menschen, über deren Verhalten Wetten abgechlossen werden. Zum Vergnügen korrumpieren und verderben sie diejenigen, über die sie Macht haben und waiden sich an ihrem Schmerz, ihrem Leid und ihrem Unglück.
Zu den Benutzten gehört die 15 Jahre junge Cécile de Volanges, die gerade ihre Klosterschule verlassen hat und bei Höfe die Welt kennenlernt, während sie sich auf ihre Hochzeit mit dem wesentlich älteren Comte de Gercourt vorbereitet.
Bei der zweiten Wette fordert die Marquise de Merteuil den Vicomte de Valmot heraus, seinen Ruf unwiderstehlicher Verführer zu beweisen, indem er Madame de Tourvel, eine loyale, treue und prüde Ehefrau, auf Abwege lockt.
Leider sind die Menschen nicht so naiv und so leicht manipulierbar, wie sich die Strippenzieher das vorstellen. Wenn dann noch eigene Gefühle das Handeln durchkeuzen, muß gewaltig improvisiert werden.

Sprachlich recht anspruchsvoll, erscheinen Choderlos de Laclos' Figuren auf den ersten Seiten wie blasse Chargen, die als Stereotype durchgehen können. Ziemlich rasch brechen die Klischees auf. Der Autor entlarvt das Spiel von Schein und Sein eher unterderhand, verleiht seinen Figuren eigene Stimmen und läßt sie in 175 Briefen lebendig werden.
Choderlos de Laclos' Gefährliche Liebschaften bieten ein größeres Lesevergnügen als der monomanische Über-Philosoph der Libertinage, der "Göttliche Marquis" de Sade. Mit seinen mehrfachen Verschachtelungen, Doppelungen und Brechungen ähnelt er meiner Ansicht nach einem anderen Genre: dem Spionageroman. Hier wie dort gilt es, zu sehen, ohne gesehen zu werden, und zu handeln, ohne dafür belangt zu werden.

Geändert von Servalan (27.11.2015 um 18:16 Uhr)
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