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Alt 08.05.2017, 20:30   #3686  
Peter L. Opmann
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Was ich zu FV # 56 geschrieben habe, nämlich daß trotz mancher Unstimmigkeiten die Story in groben Zügen spannend erzählt ist – so, daß sich der Leser an dem verzapften Unsinn nicht stört, das trifft auch auf dieses Heft zu.

Reed Richards ist in die lebensgefährliche Negativzone gezogen worden, wo er wie ein Schiffbrüchiger seinem sicheren Tod entgegentreibt. In dieser nervenzerreißenden Situation taucht Crystal von den Nichtmenschen im Baxter Building auf und verspricht, sich um Hilfe zu kümmern. Man kann sich gleich auf den ersten Seiten über ein paar Details aufregen: Ding kann mittels eines „Trans-Barrieren-Phons“ mit Reed telefonieren. Die Negativzone hat zwar praktisch noch nie zuvor ein Mensch betreten, aber Reed hat vorsorglich schon mal ein Kommunikationsgerät entwickelt, mit dem man sich zwischen unserer und jener Welt verständigen kann. Und Crystal läßt sich von Schoßhund zielgenau herteleportieren, also von eben jenem Wesen, das zuvor Johnny und Wyatt überallhin gebracht hat, nur nicht in die Große Zuflucht, wohin sie wollten.

Ich muß gestehen, da finde ich die Geschichten vom Baron Münchhausen weitaus glaubwürdiger. Und es geht im gleichen Stil weiter: Fremdartige Bewohner der Negativzone sind in einem Raumschiff und mit einer seltsamen Fracht unterwegs: Ein Wesen in einem „Adhäsionsanzug“ (das ist ein grüner Ganzkörperdress, in dem es an einen Meteoriten angeklebt werden kann) wollen sie loswerden, damit es in ihrer Welt keinen Schaden mehr anrichten kann. Wenn man umblättert, sieht man, daß der Felsen, an dem es klebt, genau der ist, an den sich auch Reed gehängt hat. Die Story will uns weismachen, daß der Anführer der FV nur mitbekommt, wie das Raumschiff sich entfernt, nicht aber, wie es den grünen Anzug an der Unterseite seines Meteoriten befestigt hat. Vielleicht hat er die ganze Zeit von steigenden Auflagenzahlen geträumt… Aber für die Rettung von Reed hat sich Stan Lee etwas ganz anderes ausgedacht.

Jetzt ist es wieder mal Zeit für einen Szenenwechsel. Mit Atomwaffen ausgerüstete Soldaten (ihre Herkunft bleibt im Dunkeln) landen „an der Küste Europas“, um hier eine Insel zu besetzen. Gut möglich, daß es sich hier im Original um eine kommunistische Armee mit Welteroberungsplänen handelt, aber der Übersetzer ihre Identität verwischt, weil die schlimmsten Auswüchse des Kalten Krieges zu Williams-Zeiten schon vorbei waren. Jedenfalls begegnen diese Streitkräfte sogleich den Nichtmenschen, die sich ihrerseits sofort für die Rettung der freien Welt ins Zeug legen. Der kiemenatmende Triton haut derweil ein U-Boot der Aggressoren zu Klump. Kaum ist der Angriff abgewehrt, erscheint Crystal auf der Bildfläche und bittet ihre Artgenossen um Hilfe für Reed Richards. Anführer Black Bolt wählt einen aus, um eine Rettungsaktion einzuleiten.

Lee verschweigt zunächst, welcher der Nichtmenschen Reed retten soll. Auch auf dem Cover ist seine Gestalt nur umrißhaft zu sehen. Das große Überraschungsmoment erschließt sich mir jedoch nicht. Es handelt sich um Triton, der sich angeblich in der Negativzone wie in einem Ozean bewegen kann. Vielleicht ist dieses Paralleluniversum von einer Art Plasma erfüllt – ich weiß nicht, was sich der Autor dabei gedacht hat. Daß Triton ausgewählt ist, finde ich nun nicht aufsehenerregender, als wenn es Gorgon oder Black Bolt selbst oder womöglich Schoßhund gewesen wäre. Triton brauchte halt mal einen großen Auftritt, nachdem er bisher wegen seiner Atemprobleme außerhalb des Wassers eher wie ein Klotz am Bein gewirkt hatte.

Blastaar ist auf dem Cover übrigens falsch platziert, da er in der Negativzone nicht in Aktion tritt. Vor einiger Zeit habe ich mal mit einem Freund darüber debattiert, ob nun DC seine Leser mit Covermotiven hinters Licht geführt hat oder nicht. Da ist zum Beispiel immer wieder zu sehen, wie Superman stirbt oder seine Identität aufgedeckt wird; liest man dann die Story, stellt sich heraus, daß es soweit dann doch nicht gekommen ist. Hier haben wir ein Marvel-Cover, das – zwar nur in einem Detail, aber immerhin – nicht der tatsächlichen Story entspricht.

Während er zu Reed „schwimmt“ (genau genommen benutzt er eine „Luftdruck-Pistole“, um sich fortzubewegen) und ihn aus der explosiven (?) Planetenumlaufbahn herausreißt, wird es im „Adhäsionsanzug“ lebendig. Der erwähnte Blastaar (der Name klingt ein bißchen wie „Sprengmeister“) befreit sich, will natürlich sofort wieder alles kaputtmachen und folgt zu diesem Behufe Triton und Reed, die dabei sind, in unsere Welt zurückzukehren. Die FV bereiten ihnen einen hochemotionalen Empfang, bemerken angeblich aber nicht, daß gleich hinter ihnen der gorillaartige Blastaar auftaucht und sich im Baxter Building neugierig umschaut. Offenbar ist diese Umgebung für ihn langweilig, denn er klettert ins Freie und wird da von der Riesenhand des Sandmanns gegrapscht. Sandmann hatte gedacht, ein Mitglied der FV verlasse auf diesem Weg, durchs Fenster, sein Hauptquartier. Die beiden Typen erkennen sich gegenseitig auf Anhieb als Bösewichter und beschließen, sich zusammenzutun. Dabei deuten sich aber gleich auch Konflikte zwischen ihnen an. Erstmal wird aber Blastaar als die große Bedrohung der nächsten Ausgabe angekündigt.

Tja, wem will Lee eigentlich eine solche Story erzählen, dachte ich mir beim Wiederlesen. Doch soviel man auch über die Einzelheiten den Kopf schüttelt, in den großen Linien ist die Story packend und anrührend, obwohl der hilflos in der Negativzone treibende Reed ja vor nicht allzu langer Zeit schon mal in dieser Situation war. Die Erschütterung der Teammitglieder darüber, daß Reed nun rettungslos verloren ist, vermittelt sich gut. Der Rettungseinsatz von Triton ist schön geschildert. Die Nichtmenschen sind effektvoll in Szene gesetzt, und mit Blastaar wird ein hervorragender Cliffhanger erzeugt. Dazu tragen die bombastischen Zeichnungen von Jack Kirby natürlich nicht unwesentlich bei. Er verwendet hier ein Ganzseitenpanel (neben der Splashpage) und sogar ein doppelseitiges Panel, ein großes Panorama der Negativzone mit dem hilflosen Reed darin. Diese Doppelseite ist wieder mal mit Hilfe einer Fotomontage gebaut, wie sie Kirby in dieser Zeit gern verwendete. Alles in allem eine Ausgabe, die mir als Kind sicher gefallen hätte und der ich selbst heute noch etwas abgewinnen kann – trotz all dem Schwachsinn, den Lee hineinrührt.
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