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Alt 21.05.2017, 14:35   #3706  
Peter L. Opmann
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Ich glaube, Sentry sollte so 'ne Art Cyborg sein - aber Stan Lee fehlte das Wissen, das richtig ausdrücken zu können.

Mit dieser Ausgabe könnten wir wieder ganz nahe am DC-Vorbild „Challengers of the Unknown“ dran sein, der Serie, die Jack Kirby Ende der 50er Jahre zeichnete: Wissenschaftler stoßen auf Spuren einer rätselhaften, uralten Zivilisation und finden heraus, daß sie von außerirdischen Besuchern stammen. Wodurch sich die Story aber vermutlich von den „Challengers“ unterscheidet: Die FV kommen nur zufällig ins Spiel, weil sie auf just jener Insel, die den Außerirdischen als Basis diente, Urlaub machen wollen. Und ich glaube auch nicht, daß es bei den „Challengers“ eine Figur wie den Wächter gab, der sich mit den FV eine Riesenklopperei liefert.

Stan Lee startet eine neue Fortsetzungsstory, aber er erzählt erstmals zwei in sich abgeschlossene Episoden. Nächste Ausgabe kommt der Ankläger Ronan, der genau dieser frühzeitlichen außerirdischen Zivilisation abstammt. Beide Teile gehören eng zusammen, aber man kann sie problemlos einzeln lesen. Es entfällt damit allerdings der Cliffhanger, der Anreiz, das nächste Heft zu kaufen, weil man wissen will, wie es ausgeht.

Zu Beginn verweist Lee nochmal kurz auf das zurückliegende Abenteuer – scheint mir eine Spezialität von Marvel zu sein, dem Leser sozusagen ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn er die vorige Ausgabe verpasst hat. Die FV verschließen den Zugang zur Negativzone, aus der ihr letzter Gegner Blastaar kam. Dann wird zu den Forschern übergeblendet, die als erste die Hinterlassenschaften der Kree sehen, der erwähnten außerirdischen Rasse. Und sie wecken versehentlich den Wächter auf. Ding schleudert derweil in New York mit verbundenen Augen einen Dartpfeil auf eine Weltkarte, seine Art, den Urlaubsort auszusuchen, und trifft genau den Punkt, wo sich das Drama mit dem Wächter gerade abspielt.

Johnny, Crystal und Triton bleiben zurück; die drei restlichen Teammitglieder besteigen das Pogoplane („Pogo“ verweist offenbar darauf, daß es sich um ein raketenartiges Heckstarter-Flugzeug handelt). Als sie sich der einsamen Pazifikinsel nähern, geraten sie in ein „Vibrationsfeld“, und gleich darauf pflückt sie der schätzungsweise zehn Meter große Wächter aus der Luft. Der Wächter ist überrascht, daß er auf mächtigere Menschen gestoßen ist, als er das von früher kennt. Ding zerstört mit einem beherzten Schlag die Instrumente in der Brust des Wächters, der eine Mischung aus Maschine und Mensch zu sein scheint. Trotzdem ist er noch kampfbereit. – Vielleicht hat Jack Kirby beim Kreieren dieses Wesens an den altbekannten Golem gedacht.

Die FV haben einen schweren Stand gegen den Wächter. Die Fackel wird daher alarmiert und eilt zu Hilfe. Am Ende wird die gesamte Kree-Basis unter der Inseloberfläche zerstört. Die FV finden noch die Wissenschaftler, die dort gefangen waren. Schoßhund teleportiert die ganze Gruppe zurück nach New York, was bedeutet: das Pogoplane geht verloren. Der Wächter bleibt auf der untergehenden Insel auf seinem Posten und sendet einen letzten Bericht an seine Erbauer.

Ich denke, die Geschichte wäre folgerichtiger gewesen, wenn man sie aus der Perspektive der Wissenschaftler erzählt hätte. Wie kann man die FV ins Spiel bringen? Da fiel Lee und Kirby anscheinend nur ein, den Zufall zu bemühen. Aber bei genauerer Betrachtung kommen noch andere logische Brüche in den Blick: Die Kree-Station ist, wie man hört, seit Jahrmillionen verlassen; die Außerirdischen sind nie zurückgekehrt (bisher jedenfalls). Wozu aber brauchen sie dann einen Wächter?

Und man muß auch sagen: Warum greift der die FV sofort an, die doch nur auf der Insel Urlaub machen wollten und vielleicht von der unterirdischen Basis gar nichts bemerkt hätten? Die Wissenschaftler, die sie schon vorher entdeckt hatten, wurden festgesetzt und hatten wohl keine Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. So gesehen, wäre ja aus Sicht des Wächters alles in Ordnung gewesen. Der Leser weiß aber: Es muß zum Kampf kommen, und so sieht man – jedenfalls als Jugendlicher – über alle Widersprüche hinweg. Angekündigt wird übrigens nicht der Ankläger Ronan, sondern „Alicias Geheimnis“, ein Plot, der erst in der übernächsten Ausgabe zum Tragen kommt. Vielleicht wurde die Ronan-Story in USA noch kurzfristig eingeschoben.

Jack Kirby findet eine erstaunliche Balance in seiner optischen Umsetzung des Spektakels. Es gibt ein ganzseitiges Panel. Ansonsten erzählt er üblicherweise mit vier bis fünf Panels pro Seite, also insgesamt mit recht großen Bildern, die Action und Spannung gut zur Wirkung bringen. Das sieht gut geplant und routiniert aus. Joe Sinnott inkt mit bemerkenswerter Präzision. Visuell ist die Ausgabe also mal wieder ein großer Genuß. Das Cover, das den Wächter und Reed, Sue und Ding einander gegenüberstellt, ist ebenfalls ziemlich gut gelungen, allerdings kein Geniestreich.

Anzumerken bleibt noch: Diese Ausgabe ist ein plakatives Beispiel für die Probleme, die Williams typischerweise mit der Continuity hatte. Was daran lag, daß die meisten Serien gleichzeitig gestartet wurden, während sie in USA einen zeitlichen Abstand aufwiesen. Der Wächter hat hier seine Origin-Story, Williams-Leser kannten ihn jedoch schon längst aus frühen „Rächer“-Heften. Dort trat er in der Zweit-Serie „Captain Marvel“ auf, die in USA erst lange nach den FV losging und dann auf sie aufbaute. Für den deutschen Leser bedeutete das: Er lernte in „Captain Marvel“ eine etwas rätselhafte Figur kennen, und etliche Monate darauf bekam er in FV erst die Hintergründe geliefert. Später tauchte der Wächter - wie Michi Diers gezeigt hat - dann nochmal in "Die Rächer" auf. Manchmal ging die Continuity auch gar nicht weiter, da Williams ja nur einen Teil der US-Serien veröffentlichte.
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