Thema: Filmklassiker
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Alt 21.03.2024, 06:08   #1960  
Peter L. Opmann
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„Kap der Angst“ (1991) von Martin Scorsese steht in der Tradition von „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, von „Katzenmenschen“ oder „Das Ding aus einer anderen Welt“ – alles Remakes der 1980er Jahre, die dank fortgeschrittener Special Effects und weggefallener Zensurbestimmungen all das zeigen konnten, was die Vorlagen nicht zu bieten hatten. Als ich den Film im Kino sah und ihn mit „Ein Köder für die Bestie“ verglich, kam ich zu dem Schluß, das sei eine positive Entwicklung. Heute bin ich nicht mehr ganz sicher. Scorsese ist bei der Ausarbeitung der Story (Drehbuch: Wesley Strick) klar besser. Man kauft ihm das quälende Stalking, gegen das die Familie keine Abwehr findet, eher ab. Und zudem geht das subtiler und wirkungsvoller vor sich als bei J. Lee Thompson – es ist klar, daß manches im Jahr 1962 noch undenkbar gewesen wäre, etwa daß der Strafentlassene die Teenager-Tochter der Familie auf ganz sanfte Weise verführt. Aber am Schluß steigert Scorsese den Psychoterror derart, daß er teilweise ganz knapp an unfreiwilliger Komik entlangschrammt. Da ist der alte Film nach meinem heutigen Empfinden besser, weil geradliniger – der Schrecken bleibt immer auf demselben Level. Immerhin: Offenkundige Schwächen sehe ich bei „Kap der Angst“ nicht.

Die Rolle von Robert Mitchum hat jetzt Robert de Niro, die von Gregory Peck Nick Nolte. Seine Frau ist Jessica Lange, seine Tochter Juliette Lewis (damals 18). Scorsese zollt der Filmgeschichte Tribut und läßt Mitchum und Peck als Nebenfiguren noch einmal auftauchen. Auch Martin Balsam ist wieder dabei (für mich allerdings kaum erkennbar). Elmer Bernstein arrangiert die ursprüngliche Filmmusik von Bernard Herrmann neu. Scorsese ist aber nicht jemand, der die ursprünglichen Kameraeinstellungen nachahmt. Er erzählt die alte Geschichte in den meisten Details völlig neu und mit modernen Mitteln.

De Niro war diesmal 14 Jahre im Knast, und zwar wegen einer brutalen Vergewaltigung. Nolte hat ihn verteidigt, sich dabei aber nicht viel Mühe gegeben. Der Häftling bildete sich im Gefängnis weiter und lernte, daß er mit einer viel geringeren Strafe hätte davonkommen können. Zunächst mal setzt sich De Niro im Kino vor Nolte und Lange und vertreibt sie mit gewaltigem Zigarrenqualm und seiner ordinären Lache. Erst später geht Nolte auf, daß er diesen unverschämten Kerl kennt. Dann folgen ein paar aus der Vorlage bekannte Übergriffe. Aber Nolte hat diesmal nur nachts Angst vor seinem ehemaligen Klienten - dann, wenn es keine Zeugen gibt. Ein starkes Motiv ist de Niros Annäherung an die pubertierende Lewis. Er verfolgt sie nicht bloß in der Schule (wie 1962), sondern gibt sich als ihr neuer Theater-AG-Lehrer aus, bestärkt sie in ihrer Rebellion gegen ihre Eltern und erschleicht sich ihr Vertrauen. Ab da könnte er sie entehren, aber klugerweise beschränkt sich Scorsese darauf zu zeigen, wie er ihr seinen Daumen in den Mund schiebt. Als de Niro wiederkommt, um zu töten, erkennt Lewis endlich, mit wem sie es wirklich zu tun hat.

Die Frau, die von de Niro entsetzlich gequält wird (Illeana Douglas), ist diesmal die Freundin des Helden und löst eine mittlere Ehekrise zwischen Nolte und Lange aus. Der Privatdetektiv (damals Telly Savalas, diesmal Joe Don Baker) hilft der Familie zunächst, sich im eigenen Haus zu verschanzen. Als Haushälterin verkleidet verschafft sich de Niro dennoch Zugang und ermordet den Detektiv. Erst da flieht die Familie auf das Hausboot, das Nolte selbst gehört. De Niro bleibt ihr auf den Fersen, indem er sich über hunderte von Meilen am Unterboden ihres Jeeps festkrallt (der erste ziemlich übertriebene Umstand). Der Kampf auf dem Schiff wird dann kräftig weiter übersteigert. De Niro inszeniert ein Tribunal gegen Nolte, bei dem Lange und Lewis hilflos zusehen müssen. Doch das Schiff ist aus seiner Verankerung gelöst und wird vom Wildwasser hin und her geworfen. Juliette Lewis schafft es, de Niro das Gesicht zu verbrennen – was er jedoch, in eine Monsterfresse verwandelt, überlebt. Im finalen Duell geht er, an die Reling gekettet, mit dem ganzen Schiff unter (nun scheint er endlich tot zu sein). Noltes Familie überlebt und ist nun wieder eine starke Gemeinschaft.

Was ich damals garantiert nicht verstanden habe: Die Figur von de Niro ist als Karikatur eines typisch amerikanischen bibelgläubigen Christen angelegt. Mit seinem frommen Getue drückt er allerdings nur aus: „Mein ist die Rache“ – ein direkter, etwas vielschichtiger angelegter Vorläufer von Samuel L. Jackson in „Pulp Fiction“. Von dem Moment an, als Nolte endgültig klarwird, daß de Niro kommen wird, um sich zu rächen, gibt Scorsese jegliche Glaubwürdigkeit der Handlung auf, und gleichzeitig kommt die Action mächtig in Gang. Vielleicht ist es ein Unterschied, wenn man das auf der großen Kinoleinwand sieht, aber mich hat das damals ziemlich gepackt, und heute denke ich: Da wäre weniger sicher mehr. Das Musterbeispiel ist „Cat People“ – Jacques Tourneur ist Paul Schrader überlegen, indem er statt blutrünstiger Raubkatzen nur Schatten zeigt.

Geändert von Peter L. Opmann (21.03.2024 um 08:54 Uhr)
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