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Alt 09.06.2016, 17:07   #90  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Im besten Fall, im schlimmsten Fall

Einfach mal angekommen, ihr habt das Kunststück vollbracht und euch ist der Durchbruch gelungen. Wie sieht das aus? Was passiert dann? Womit müßt ihr rechnen? Worauf solltet ihr euch einstellen? Auf was müßt ihr euch vorbereiten?

Achtung: Bleiben wir bei den Fakten! Ich möchte niemandem etwas vom Pferd erzählen und mir irgendwelche kruden Ideen aus den Fingern saugen.
Deshalb möchte ich zurück in die Vergangenheit blicken: Schließlich gibt es quer über den Globus die Klassiker der höchsten Hochkultur, von den Heroen aus Weimar und den Romantikern über Dante, Boccaccio und Petrarca oder Racine, Molière und Corneille bis hin zu Swift, Milton und Shakespeare.
Deren Werke müssen es seit Jahrhunderten aushalten, immer wieder neu erfunden, parodiert und persifliert, in alle mögliche Medien übertragen zu werden. Klar, daß darunter auch Nachschöpfungen oder Übersetzungen sind, die die Autoren vermutlich als Verhunzungen oder Entstellungen empfunden hätten.

Leider sind sie tot - und können sich nicht mehr wehren.

Und ab einem gewissen Grad des Erfolgs, läßt sich da nichts mehr kontrollieren.
Wem schon das Lektorat an die Nieren gegangen ist, der muß bei den Rezensionen oder Empfehlungen in den Social Media mit Heftigerem rechnen.
Dünnhäutige wie Günter Grass können sich dann ungerecht behandelt fühlen, selbst wenn andere feststellen, daß eigentlich das positive Echo bei Kritik und Publikum überwiegt.
Der Rummel gehört zum Spiel dazu (Zu Risiken und Nebenwirkungen ...), da müßt ihr durch. Nachher werdet ihr umso erleichter aufatmen, wenn ihr euer nächstes Werk schreibt.

Gary Taylor hat diesen Prozeß bei dem Giganten Shakespeare über mehrere Jahrhunderte verfolgt. In dieser Zeit hat sich die Gesellschaft stark gewandelt, und diese Entwicklungen spiegeln sich im jeweiligen Verständnis dessen, was Zeitgenossen unter Literatur verstanden haben und verstehen.
Das Erstaunliche an dieser Studie war für mich die Erkenntnis: Was schert es die Buche, wenn sich ein Wildschwein an ihr kratzt? So gut wie nichts.
Eher im Gegenteil, solange Werke lebendig bleiben, müssen sie sich auf der Straße bewähren, unter Leuten, nicht nur unter Spezialisten und Fans.
Hier scheint sich der Spruch zu bewähren: Viel Feind, viel Ehr.
Je mehr über das literarische Werk geschrieben wird, wobei schnurz ist, was denn nun: Rezensionen, wissenschaftliche Aufsätze, Ratgeber, Versionen für Kinder, Aktualisierungen ... umso besser: All das fördert nur den Ruhm des Werks.

Mein Lektüretipp:
  • Gary Taylor: Shakespeare - Wie er euch gefällt. Die Geschichte einer Plünderung durch vier Jahrhunderte, Kellner Verlag 1992 [im Original: Hogarth Press 1990], 555 Seiten
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