Thema: Filmklassiker
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Alt 30.08.2023, 12:10   #1525  
Peter L. Opmann
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Im Zusammenhang mit „Elmer Gantry“ ist dieser Filmtitel schon mal gefallen: „Die Nacht des Jägers“ (1955) von Charles Laughton. Den habe ich tatsächlich auch auf Video. Bestimmte Bilder aus diesem Film vergißt man glaube ich nicht so leicht, aber worum es in dem Film geht, wußte ich nur noch in groben Umrissen. Ein schwieriger Fall, finde ich; schwer einzuschätzen, was Laughton damit sagen wollte, wenn es ihm nicht nur um die außergewöhnliche Stilistik ging. „Die Nacht des Jägers“ hat das Publikum der 1950er Jahre durch seine scharfe Religionskritik schockiert. Doch es gibt ja einen krassen Gegensatz zwischen dem „Tartuffe“ Robert Mitchum und der gottesfürchtigen Lillian Gish.

Wenn man sich die zeitgenössische Kritik der katholischen Filmkommission ansieht, kann man vielleicht nachvollziehen, wie die Zuschauer 1955 „Die Nacht des Jägers“ aufgenommen haben: „Ein geistesgestörter amerikanischer Wanderprediger wird zum geldgierigen Mörder und jagt zwei Kinder. Formal interessant, aber in der Verquickung von Gruselelementen und Sadismus mit perversem religiösem Wahn bedrückend und peinlich. Starke Vorbehalte!“ Aber das betrifft nur die erste Filmhälfte. Der zweite Abschnitt, in dem Gish die Kinder mit allen Mitteln gegen den falschen Prediger verteidigt, wirkt mindestens genauso stark.

Was ist die Story? Der Vater von Billy Chapin und Sally Jane Bruce, ein verarmter Farmer, hat wegen 10 000 Dollar einen Menschen umgebracht. Bevor ihn die Polizei abholt, verrät er seinen Kindern, wo er das Geld versteckt hat, und ermahnt sie, das niemandem zu verraten. Im Gefängnis teilt er sich die Zelle mit Mitchum, der davon lebt, begüterte Witwen zu verführen, zu heiraten und dann zu töten. Mitchum bekommt weder von ihm noch später von seiner Frau (Shelley Winters) das Geldversteck heraus. Er tut so, als nähme er sich liebevoll der vaterlosen Kinder an, aber er weiß, daß er nur noch von ihnen das Geheimnis erfahren kann. Auch Winters ermordet er.

Chapin und Bruce schaffen es eben so, vor Mitchum aus dem Haus zu fliehen und fahren mit einem Boot den Fluß herunter. Mitchum ist hinter ihnen her, aber dann zieht Gish sie aus dem Wasser. Zuerst verprügelt sie die Kinder, aber man merkt schnell, daß sie ein Herz für Waisen hat und sich bis zum Letzten für sie einsetzen wird. Mitchum taucht bald an ihrem Haus auf, aber sie hält ihn mit ihrem Gewehr auf Abstand, bis er von der Polizei abgeholt und zur Hinrichtung geführt wird. Die letzten beiden Szenen des Films wirken auf mich etwas angeklebt: Die Masse, die bisher von dem frommen Prediger hingerissen war, fordert nun erbarmungslos seinen Tod. Und dann feiert Gish mit den Kindern Weihnachten, und man sieht noch einmal, daß sie ihr wirklich wichtig sind.

Die kurzzeitige Ehe von Mitchum und Winters ist eine grelle Karikatur des christlichen Ideals, die extreme Leibfeindlichkeit ins Zentrum rückt. Mitchum wird den ganzen Film über eine große Wirkung auf Frauen unterstellt; wenn das seiner Religiosität zugeschrieben wird (wird für mich nicht deutlich), dann ist das auch eine krasse Verzeichnung. Von der Mitchum-Figur führt aber zweifellos eine direkte Linie zu Samuel L. Jackson in „Pulp Fiction“, der einen Bibelspruch zitiert, während er eiskalt einen Kleingangster erschießt. Man sollte auch Lillian Gish beachten. Sie war ein großer Stummfilmstar, galt als grande dame des amerikanischen Kinos, schaffte aber den Übergang zum Tonfilm nur mühsam. Dennoch hatte sie eine lange Karriere; ihr letzter Filmauftritt war 1987, und sie hatte auch nach 1928 bemerkenswerte Auftritte. In "Die Nacht des Jägers" ist sie als sehr bibelgläubig gezeichnet - sie erzieht die Kinder durch Bibelgeschichten.

Heute gilt „Die Nacht des Jägers“ als verkanntes Meisterwerk, weil man inzwischen vor allem die formalen Aspekte des Films und nicht den Inhalt betrachtet. Hier wird wiederum der Begriff „film noir“ ins Spiel gebracht. Aber Laughton verwendet Schwarz-Weiß-Effekte, die sich davon doch etwas unterscheiden. Besonders gern arbeitet er mit Silhouetten. Die Geschichte ist absichtlich holzschnittartig gestaltet; hier geht es nicht um Realismus, sondern um ein möglichst drastisches, zugleich irgendwie märchenhaft-unwirkliches Geschehen. Dafür war das Publikum der 50er Jahre wahrscheinlich noch nicht reif. Laughton hat neue Darstellungsmittel erkundet und stellenweise höchst wirkungsvoll angewendet. Noch ein Wort zu ihm: Dies ist zwar seine einzige Regiearbeit (und zwar für United Artists), aber er hatte daneben auch eine große Theaterkarriere, und ich kann mir vorstellen, daß er da auch Regieerfahrungen sammeln konnte.
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